Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungsverfahren

Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundestages - einzelne Abgeordnete ohne BT-Beschluss (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG)

Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundestages - einzelne Abgeordnete ohne BT-Beschluss (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Elf Abgeordnete aus der Karnevalshochburg Köln bringen fraktionsübergreifend eine Gesetzesvorlage beim Bundestag ein. Sie schlagen vor, Karneval zum nationalen Feiertag zu machen.

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Einordnung des Falls

Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundestages - einzelne Abgeordnete ohne BT-Beschluss (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Gesetzesvorschlag „aus der Mitte des Bundestages“ umfasst vom Wortsinn her auch eine Einbringung durch elf Abgeordnete.

Ja, in der Tat!

Gesetzesvorlagen können aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG). Das Grundgesetz sagt nicht, was unter „Mitte des Bundestages“ zu verstehen ist. Auch ein kleine Gruppe von Abgeordneten gehören im Wortsinn auch zur Mitte des Bundestages. Sogar ein einzelner Abgeordneter kann im Wortsinn zur „aus der Mitte des Bundestages“ im Sinne des Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG zählen.
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2. Nach § 76 Abs. 1 GO-BT sind die elf Abgeordneten initiativberechtigt.

Nein!

Nach § 76 Abs. 1 GO-BT müssen Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages (§ 75) von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet werden. Der Gesetzesvorschlag wurde nicht von einer Fraktion eingebracht. Auch erreichen elf Abgeordnete alleine nicht die erforderliche Anzahl von fünf Prozent der Abgeordneten. Wenn die aktuelle Mitgliederzahl im Sachverhalt nicht angegeben ist, solltest Du die gesetzliche Mitgliederzahl von 630 Abgeordneten (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG) als Ausgangspunkt verwenden.Zum 14.6.2023 ist die (Regel-) Mitgliederzahl von 598 auf 630 Abgeordnete angehoben worden. Im Gegenzug wurden Überhangmandate abgeschafft, die dazu geführt hatten, dass der Bundestag faktisch deutlich mehr Mitglieder hatte (zuletzt 736).

3. § 76 Abs. 1 GO-BT definiert abschließend, was „aus der Mitte des Bundestages“ im Sinne des Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG bedeutet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die GO-BT steht als parlamentarisches Innenrecht im Rang einer Satzung unter dem Grundgesetz. Die GO-BT kann daher Begriffe der Verfassung nicht definieren. Sonst stünden Begriffe der Verfassung zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Es bedarf daher einer verfassungsautonomen Begriffsbildung.

4. § 76 Abs. 1 GO-BT stellt eine verfassungsrechtlich zulässige Konkretisierung des Begriffs „aus der Mitte des Bundestages“ im Sinne des Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG dar.

Ja, in der Tat!

Durch das Quorum von fünf Prozent wird das Gesetzesinitiativrecht der Abgeordneten zwar beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung ist aber gerechtfertigt. Sinn und Zweck des Quorums des § 76 Abs. 1 GO-BT ist es nämlich, die Funktionsfähigkeit des Bundestages zu wahren. So soll eine Überlastung des Bundestages durch aussichtslose Gesetzesvorlagen verhindert werden. Bei einer Beschränkung auf fünf Prozent der Abgeordneten können auch kleinere Gruppen bereits Gesetzesvorlagen einbringen, während bloße Einzelanliegen außen vor bleiben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

28.7.2022, 23:31:36

Also von dem was ich gehört habe ist man sich eigentlich einig, dass ein einzelner Abgeordneter nicht initiativberechtigt ist, da der dies sonst vom Gesetzgeber deutlicher zum Ausdruck gebracht worden wäre

Paul König

Paul König

30.7.2022, 11:54:05

Hey @[Blotgrim](167544), im Endeffekt hat die einzelne Abgeordnete zwar nicht das Recht, eine Gesetzesvorlage einzubringen (insofern liegst Du genau richtig!). Allerdings ist ein vom BT später beschlossenes Gesetz, das von einer einzelnen Abgeordneten eingebracht wurde, nicht aus diesem Grund formell verfassungswidrig. Das wird im folgenden Fall noch deutlicher. Das Argument, dass dies vom "Gesetzgeber" sonst deutlicher zum Ausdruck gebracht worden wäre, halte ich aber für schwach: In § 76 Abs. 1 GO-BT ist es deutlich geregelt, Art. 76 Abs. 1 GG ist eine Verfassungsnorm (stammt also nicht vom "einfachen Gesetzgeber"). Diese werden üblicherweise (aus verschiedenen Gründen) nicht so präzise gefasst, wie beispielsweise Strafvorschriften, weshalb wir hier einen anderen Maßstab anlegen müssen: Wir können nur an wenigen Stellen erwarten, dass der Verfassungsgeber etwas deutlich zum Ausdruck bringt. Daher lieber mit den Argumenten in den Hinweistexten zu diesem und dem folgenden Fall arbeiten! Danke für Deine Beiträge! Liebe Grüße — Paul (für das Jurafuchs—Team) @[Lukas Mengestu](136780)

BL

Blotgrim

30.7.2022, 12:00:57

An sich gebe ich dir Recht, aber der Gesetzgeber hätte sonst die Formulierung "Abgeordneter" statt "aus der Mitte des Bundestages" wählen können. Ist ja jetzt nicht das gleiche wie bei z.B. Sittenwidrigkeit

Paul König

Paul König

1.8.2022, 19:42:49

Hey @[Blotgrim](167544), ich glaube, dass das keine gute Herangehensweise an die Auslegung der Verfassung ist. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben oftmals bewusst Fragen nicht entschieden (also nicht "ein Abgeordneter" geschrieben), uA weil sie das dem politischen Prozess überlassen wollten (s. zB: https://de.m.wikibooks.org/wiki/OpenRewi/_Staatsorganisationsrecht-Lehrbuch/_Grundlagen/_Methoden_der_Verfassungsinterpretation#Anker:Interpretationsoffenheit). Die Verfassung wurde eben nicht vom einfachen Gesetzgeber geschrieben und daher müssen wir insoweit oftmals geringere Anforderungen an die Präzision des Normtexts der Verfassung haben. Wenn Du den Willen der Verfassungsgeberinnen nicht aus den historischen Materialien rekonstruieren kannst (und das geht in der Klausursituation idR nicht), gehe ich davon aus, dass deine Korrektorin dieses Argument nicht so gut finden würde! Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team)

antoniasophie

antoniasophie

25.7.2023, 12:50:13

Im Fall steht noch die alte gesetzliche Anzahl an Abgeordneten im BT und nicht die neue aus § 1 I 1 BWahlG mit 630 Abgeordneten

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.7.2023, 14:39:52

Vielen Dank für den Hinweis, Antonia! Das haben wir korrigiert :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

18.8.2023, 14:38:57

Ich tue mich mit §76 GOBT etwas schwer, weil ich nicht verstehe, warum man 5% der Abgeordneten braucht, wenn auch ein Einzelinitiativrecht besteht. Wenn ein einzelner Abgeordneter einen guten Vorschlag macht, warum sollte dieser dann nicht eingebracht werden dürfen? Und wenn ich dann im Sachverhalt einen einzelnen Abgeordneten habe, der eine Gesetzesinitiative einbringt, lehne ich das einfach nur ab, weil §76 GOBT dies normiert, während Art.

76 GG

sagt, dass aus der Mitte des Bundestags auch ein einzelner Abgeordneter theoretisch gemeint sein kann.

FL

Flohm

19.9.2024, 10:35:05

Leider fehlt mir hier die Subsumtion. Es wird zwar gesagt, dass §76 GO-BT die Verfassung konkretisiert. Allerdings sagt das nichts drüber aus, ob es ein "Problem" ist, dass der Vorschlag von nur 11 Abgeordneten stammt. Welche Folge hat der Verstoß gegen die GO-BT als Satzung aber nicht die Verfassung?


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