Mehrere Akte öffentlicher Gewalt (objektive Beschwerdehäufung)


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Student S versammelt sich mit Gleichgesinnten vor dem Rathaus der Stadt F, um gegen die im Rahmen der Corona-Pandemie bestehenden Versammlungsverbote zu demonstrieren. Unter Verweis auf das gegebene Infektionsrisiko löst die Polizei die Versammlung auf. Die von S dagegen erhobene Klage bleibt vor den Verwaltungsgerichten letztinstanzlich erfolgslos. S sieht sich dadurch in seiner Versammlungsfreiheit beeinträchtigt und beschließt gegen das letztinstanzliche Urteil Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Einordnung des Falls

Mehrere Akte öffentlicher Gewalt (objektive Beschwerdehäufung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt das Vorliegen eines tauglichen Beschwerdegegenstandes voraus (Art.93 Abs.1 Nr.4a GG, §90 Abs.1 BVerfGG).

Ja!

Tauglicher Beschwerdegegenstand sind alle Akte öffentlicher Gewalt (Art.93 Abs.1 Nr.4a GG, §90 Abs.1 BVerfGG). Akte der öffentlichen Gewalt sind dabei alle nach außen rechtlich wirksamen Maßnahmen der staatlichen, an das GG gebundenen Hoheitsgewalt. Zur öffentlichen Gewalt gehören somit alle Organe der deutschen vollziehenden, gesetzgebenden und rechtsprechenden Gewalt. Maßnahmen können dabei sowohl in einem Tun als auch Unterlassen bestehen (§§92, 95 Abs.1 S.1 BVerfGG).

2. S greift mit der Verfassungsbeschwerde nicht nur das letztinstanzliche Urteil, sondern ebenso die Auflösungsverfügung an.

Genau, so ist das!

S hat gegen das letztinstanzliche Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Dies beschränkt den Beschwerdegegenstand nicht. Viel mehr ist davon auszugehen, dass S alle Akte der öffentlichen Gewalt in der Sache angreifen wollte. Werden mehrere Akte öffentlicher Gewalt in der gleichen Sache angegriffen, geschieht dies stets im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (objektive Beschwerdehäufung). Mithin sind sowohl das Urteil als auch die Auflösungsverfügung Gegenstand der Verfassungsbeschwerde des P.

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ri

ri

18.7.2021, 04:00:37

Wie würde man Urteile bzgl. umgesetzten EU-Rechts in der Klagebefugnis behandeln?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 21:35:38

Hallo Ri, auch insoweit beschränkt sich die Prüfung des Bundesverfassungsgerichtes formal auf die deutsche Gewalt, also a) das Urteil und b) den entsprechenden Umsetzungsakt. Dagegen sind Akte der Unionsorgane (zB EU-Verordnungen, Richtlinien) grundsätzlich der direkten Prüfung durch das Verfassungsgericht entzogen. Indirekt können aber auch die Unionsakte beschränkt im Hinblick darauf überprüft werden, ob diese nicht die Kompetenz der Union überschreitet (ultra vires) bzw. die Identität und den Kernbereich des Grundgesetz verletzt (Identitätskontrolle). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

OLF

olfis

4.5.2022, 10:51:09

Das ist so nicht richtig, meine ich. Seit (und wegen) Recht auf Vergessen II prüft das BVerfG nunmehr im unionsrechtlich determinierten Bereich selbst europäische Akte anhand der GRCh.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.5.2022, 14:08:15

Vielen Dank für Deinen Hinweis, olfis. An dieser Stelle musst Du allerdings etwas differenzieren. In seiner Entscheidung Recht auf Vergessen II (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/11/rs20191106_1bvr027617.html) hat das BVerfG explizit darauf verwiesen, dass es allein dem EuGH vorbehalten ist, Unionsrecht zu verwerfen oder für ungültig zu erklären (vgl. RdNr. 51). In der Entscheidung geht es insofern gerade nicht um die Überprüfung des europäischen Rechts selbst, also ob zB eine Rechtsverordnung oder eine Richtlinie bzw. das umgesetzte nationale Recht gültig und wirksam ist. Im Streit stand vielmehr die ANWENDUNG des europäischen Rechts bzw. einer deutschen Norm, die auf einer europäischen Richtlinie beruht. Im konkreten Fall ging es um ein Löschungsgesuch gegenüber Google. Es stand im Raum, ob der Beschwerdeführerin ein solcher zustand oder ob die Speicherung des in Streit stehenden Links zulässig war. Lediglich die Auslegung der Normen nimmt das BVerfG also anhand des Maßstabes der Unionsgrundrechte vor. Und auch dies nur mit der Einschränkung, dass diese Fragen geklärt (acte éclaire) bzw. aus sich heraus klar sind (acte clair), vgl. hierzu RdNr. 137ff. Schau Dir hierzu gerne auch noch einmal die Entscheidungsbesprechung in unserer aktuellen Rechtsprechung an (https://applink.jurafuchs.de/mJfwmye9Ipb). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team

IS

IsiRider

23.6.2022, 22:09:10

Gibt's zu dieser Entscheidung schon Fälle hier bzw. wurde sie schon eingearbeitet?

JO

jomolino

17.12.2021, 18:34:23

Die letze Frage gibt der SV m.M.n. Nicht her. Ihr ist es möglich beides oder eins von beiden aufzunehmen in die VB, aber der Sachverhalt spricht nur vom Urteil, gegen das sie Beschwerde erheben will.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 21:22:57

Hallo nomamo, bei der Überprüfung von letztinstanzlichen Urteilen legt man den Antrag des Beschwerdeführers in der Regel dahingehend aus, dass er sich mit seiner Beschwerde gegen alle Akte der öffentlichen Gewalt richten möchte, sofern er dies nicht eingeschränkt hat (vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein-BVerfGG, 60.EL Juli 2020, § 90 RdNr. 183; Kahl, JuS 2000, 1090). Da im Sachverhalt Anhaltspunkte dafür fehlen, dass S die Klage nur auf das Urteil beschränken wollte, ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sich die Beschwerde auch gegen die Verfügung richtet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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