Zivilrecht

Sonstige vertragliche Schuldverhältnisse

Dienstvertrag, §§ 611ff. BGB

Pflichten des Dienstgläubigers – Vergütungspflicht ohne Dienstleistung: Kurzzeitige Verhinderung, § 616 BGB

Pflichten des Dienstgläubigers – Vergütungspflicht ohne Dienstleistung: Kurzzeitige Verhinderung, § 616 BGB

24. November 2024

4,7(5.731 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Intendant I hat mit Opernsängerin O einen Dienstvertrag für 25 Vorstellungen von „Die Zauberflöte" geschlossen, die jeweils Freitagabend stattfinden. Für jede Vorstellung ist eine Vergütung von €800 vereinbart. Kurz vor der letzten Vorstellung erkrankt die nicht krankenversicherte O an einer Erkältung, sodass sie nicht singen kann.

Diesen Fall lösen 92,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Pflichten des Dienstgläubigers – Vergütungspflicht ohne Dienstleistung: Kurzzeitige Verhinderung, § 616 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Vergütungsanspruch der O bleibt nach § 616 BGB erhalten, wenn diese für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in ihrer Person liegenden Grund ohne ihr Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.

Genau, so ist das!

§ 616 BGB durchbricht ebenfalls den Grundsatz in § 326 Abs. 1 BGB, wonach ein Schuldner, der an seiner eigenen Leistung gehindert ist zugleich seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert ("Ohne Arbeit kein Lohn"). Voraussetzungen für das Fortbestehen des Vergütungsanspruch bei Verhinderung der Dienstleistung sind (1) ein wirksames Dienstverhältnis und (2) ein persönlicher Verhinderungsgrund. Die Verhinderung muss (3) für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit vorliegen und der Dienstleistungsverpflichtet darf die Verhinderung (4) nicht verschuldet haben. Der Vergütungsanspruch für die letzte Vorstellung in Höhe von €800 könnte nach § 616 BGB trotz Verhinderung der Dienstleistung der O bestehen bleiben. Dafür bedarf es ein wirksames Dienstverhältnis und einen persönlichen Verhinderungsgrund für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Die Verhinderung dürfte zudem nicht von O verschuldet sein.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Erkältung der O stellt einen persönlichen Verhinderungsgrund für die letzte Opernvorstellung dar.

Ja, in der Tat!

Die Hinderung der Dienstleistung muss in der Person des Dienstverpflichteten oder in seinen persönlichen Verhältnissen begründet sein. Insbesondere gelten Erkrankungen als persönlicher Verhinderungsgrund. Ein persönlicher Verhinderungsgrund kann aber auch vorliegen, wenn dieser nur aus der persönlichen Sphäre des Dienstleistungsverpflichteten stammt (zB. Verhaftung, behördlich angeordnete Quarantäne, Krankheit eines Kindes oder Todesfall eines nahen Angehörigen). Die Erkrankung der O ist in ihrer Person begründet und stellt damit einen persönlichen Verhinderungsgrund im Sinne von § 616 BGB dar.

3. Die Verhinderung der O bestand für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit und war nicht von O verschuldet.

Ja!

Der Vergütungsanspruch besteht nur fort, wenn die persönliche Verhinderung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit besteht. Es ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen, wobei die Gesamtdauer des Dienstvertrages, verflossene und noch zu erwartende Beschäftigungszeit und die für den Verhinderungsgrund erforderliche Zeit zu berücksichtigen sind. Die Verhinderung muss zudem unverschuldet sein. Nach h.M. ist der Maßstab dienstschuldnerfreundlich nicht § 276 BGB. Vielmehr liegt Verschulden nur bei sogenannten "Verschulden gegen sich selbst" vor, nämlich wenn grob gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Sorgfalt verstoßen wird. O war durch die Erkrankung an einer von 25 Opernvorstellungen verhindert. Da die Vertragsdauer längerfristig war, stellt die einmalige Verhinderung eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit dar. Die Erkrankung war zudem nicht von O verschuldet.Die Rechtsprechung ist aus sozialpolitischen Motiven im Rahmen von § 616 BGB sehr dienstschuldnerfreundlich. So sollen zB. Verletzungen aus der Teilnahme an gefährlichen Sportarten und sogar aus einem Selbstmordversuch unverschuldet sein.

4. O hat gegen I für die letzte Vorstellung einen Anspruch auf Zahlung von €800, aber muss sich dasjenige anrechnen, was ihr aufgrund der Verhinderung aus einer bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.

Genau, so ist das!

Da der Dienstverpflichtete durch den Dienstleistungsausfall aber auch keinen Vorteil erlangen soll, muss er sich gemäß § 616 S. 3 BGB den Betrag anrechnen lassen, den er aufgrund einer bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung bekommt. O hat gemäß §§ 611, 616 S. 1 BGB einen Anspruch gegen I auf Zahlung von €800. Da sie nicht krankenversichert ist, muss sie sich nach § 616 S. 3 BGB keinen Betrag auf ihre Vergütung anrechnen lassen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

9.8.2023, 14:37:21

Meint ihr nicht § 616 S. 2 BGB?

Charliefux

Charliefux

19.3.2024, 14:58:18

Ja, Hier ist § 616 s.2 einschlägig. Schade, dass es immer noch nicht geändert wurde.

LEA

Lea

19.10.2023, 10:45:01

Würde man dann in der Fallbearbeitung, wenn es eine Verhinderung des Dienstverpflichteten gibt, gar nicht den § 326 BGB nennen oder würde man zunächst sagen, dass nach den allgemeinen Regeln danach die Wertersatzpflicht entfallen würde und dann aber § 616 BGB nennen?

LELEE

Leo Lee

21.10.2023, 15:28:54

Hallo Lea, da § 616 BGB eine spezielle Norm für die Aufrechterhaltung der Gegen

leistungspflicht

ist, die dem 326 Abs. 2 vorgeht, würde man zunächst ganz normal den § 326 I BGB ansprechen un prüfen. Dann würdest du weitermachen damit, dass jedoch hier eine Sonderregelunge greifen könnte, weshalb die Gegen

leistungspflicht

doch aufrechterhalten wird. Hierzu kann ich dir die Lekütre von MüKo-BGB 8. Auflage, Ernst § 326 Rn. 43 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen