Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Klassiker im Strafrecht

Der Pfeffertütenfall: Unmittelbares Ansetzen schon beim Auflauern?

Der Pfeffertütenfall: Unmittelbares Ansetzen schon beim Auflauern?

8. August 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchss Illustration: T wartet im Auto vor einem Bahnhof auf einen Geldboten. T hat eine Pfeffertüte in der Hand.

T will den Geldboten O ausrauben. T weiß, dass O die Bahn nutzt, und wartet an der Haltestelle. Immer wenn eine Bahn kommt, lässt T den Motor anlaufen, um sofort fliehen zu können. T hat eine Tüte Pfeffer dabei, die er O ins Gesicht streuen will, um O dann den Geldkoffer zu entreißen. Nach der fünften Bahn merkt T, dass er O verpasst hat.

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Einordnung des Falls

In diesem Klassiker beschäftigt sich der BGH mit dem unmittelbaren Ansetzen beim Auflauern. Haben die Täter alle Schritte unternommen, die in ihrer Kontrolle lagen, um den geplanten Angriff durchzuführen, liegt ein unmittelbares Ansetzen auch dann vor, wenn das Opfer nicht erscheint und der Täter umsonst aufgelauert an.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Versuch eines Raubes/einer räuberischen Erpressung (§ 249 Abs. 1 StGB/ §§ 253, 255 StGB) strafbar?

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Raub/räuberische Erpressung ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 1 Jahr beträgt (§§ 12 Abs. 1, 249 Abs. 1 StGB).
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2. Hat T "Tatentschluss" bezüglich eines Raubes?

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen, den O auszurauben.

3. Hat der BGH 1951 geurteilt, dass T durch das Auflauern am Bahnhof "unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt"?

Ja!

Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Der BGH hat damals das unmittelbare Ansetzen bejaht, wobei die Vorschrift in der damals geltenden Form keine Unmittelbarkeit erforderte. Dabei meint der BGH, dass bei tatsächlichem Eintreffen an "dem Tatbestand des versuchten schweren Raubes schlechthin nicht zu zweifeln [wäre]". Dass dies tatsächlich nicht eingetreten ist, könne keine andere Beurteilung rechtfertigen. Dies gelte zumindest dann, wenn der Täter irrtümlich davon ausgehe, dass sich das Opfer "sogleich dem verbrecherischen Angriff aussetze[...]". Eine andere Entscheidung würde auch den Angeklagten "unverständlich erscheinen".

4. Führt ein Auflauern immer zu einem unmittelbaren Ansetzen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Urteil wurde in der Literatur stark kritisiert und auch der BGH sieht in einem bloßen Auflauern regelmäßig kein unmittelbares Ansetzen, da es am unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang fehlt und wesentliche Zwischenschritte erforderlich sind. Das damalige Urteil beruhte aber vermutlich maßgeblich auf der alten Norm für die Versuchsstrafbarkeit, die keine Unmittelbarkeit erforderte. Mittlerweile wird ein Auflauern regelmäßig erst dann strafbar sein, wenn der Täter davon überzeugt ist, dass sich das Opfer nun unmittelbar nähert. Dies ist entweder dann der Fall, wenn der Täter das Opfer wahrnimmt oder fest davon überzeugt ist, dass es zu einem eng umgrenzten Zeitraum den Tatort betritt und dieser Zeitraum eingetreten ist. In der Regel kommt lediglich die erste Alternative in Betracht.

5. Hat der BGH damals den Rücktritt (§ 24 StGB) bejaht, da der Täter nach Hause gefahren ist?

Nein, das trifft nicht zu!

Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch erfordert zunächst, dass der Versuch nicht fehlgeschlagen ist. Der Versuch ist dann nicht fehlgeschlagen, wenn der Täter davon ausgeht, dass er diesen noch mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne wesentliche zeitliche Zäsur zur Vollendung bringen kann. Vorliegend hat T erkannt, dass O nicht erschienen ist und geht davon aus, dass er diesen verpasst hat. T geht daher davon aus, dass er den Versuch nicht mehr vollenden kann, sodass ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Raubes (§ 249 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Qualifiziertes Nötigungsmittel (Gewalt gegen Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib/Leben)
      3. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (Finalzusammenhang, subj. und zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, obj.)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Zueignungsabsicht
    3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
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Eine Besprechung von:
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FL

Florian

13.9.2024, 16:53:56

Würde sich heute eine andere Beurteilung ergeben? Ich finde, dass die Formulierungen "der BGH hat damals entschieden" dies sehr suggerieren. Andernfalls fände ich sie verwirrend. Danke für eure Antwort! :)

FL

Florian

8.10.2024, 21:26:34

Anything new?

BLAC

Blackiel

12.10.2024, 14:02:42

In den Begründungen unter der Aufgabe steht, dass der BGH damals unter Bezugnahme des § 22 StGB a.F. entschied. Damals gab es den Zusatz des "unmittelbaren" ansetzen noch nicht. Weder der BGH noch die h.L bestreiten die Voraussetzung des "unmittelbaren" Ansetzen aufgrund des heutigen eindeutigen Wortlautes der Norm. Über die Definition des unmittelbaren Ansetzen (Überschreitung der subjektiven Schwelle zum "Jetzt-gehts-los" und objektiv dürfen keine wesentlichen Zwischenakte nötig sein) herrscht auch Einigkeit. Lediglich die Auslegung im Einzelfall ist oftmals streitig. Da im vorliegenden Fall, der T dem O noch den Koffer mittels der Pfeffertüte entreißen hätte müssen, sind unstreitig noch wesentliche Zwischenakte nötig, weshalb heute der BGH mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den versuchten Raub verneinen würde. Vielmehr handelt es sich bloß um (noch) straflose Vorbereitungshandlungen.


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