Das Brett des Karneades

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Brett des Karneades Fall: Damit sie nicht ertrinken, klettern zwei Schiffbrüchige auf eine Holzplanke. Diese kann aber nur eine Person tragen. Daher stößt eine Person die andere von der Planke, um sich zu retten.

T und O sind schiffbrüchig. Damit sie nicht ertrinken, klettern beide auf eine Holzplanke. Diese kann aber nur eine Person tragen. Daher stößt T den geschwächten O von der Planke, um sich zu retten. O ertrinkt, T überlebt.

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Einordnung des Falls

Bei dem „Brett des Karneades“ handelt es sich um einen fiktiven „Fall“, der dem griechischen Philosophen Karneades zugeschrieben wird. Der Fall handelt von zwei Schiffbrüchigen und behandelt die (rechts-)philosophische Frage, inwieweit es zulässig ist, einen anderen Menschen zu töten, um selbst zu überleben. Nach deutschem Strafrecht ist in einer solchen Lage das Handeln des Täters zwar nicht gerechtfertigt. Allerdings handelt der Täter aufgrund des bestehenden entschuldigenden Notstandes zumindest entschuldigt (§ 35 StGB), sodass er im Ergebnis straffrei bleibt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T den Tatbestand des Totschlags ( § 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht, indem er O von der Planke stieß?

Ja!

T müsste einen anderen Menschen vorsätzlich getötet haben. Der Taterfolg ist eingetreten, O ist tot. Diesen Tod hat T kausal und objektiv zurechenbar verursacht, indem er O von der Planke stieß. Dass der geschwächte O infolge des Stoßes in das Wasser ertrinken würde, war T bewusst. Er handelte mithin vorsätzlich (§ 15 StGB). Somit hat T den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB verwirklicht. Fraglich ist aber, ob T auch rechtswidrig gehandelt hat. Es könnte ein Rechtfertigungsgrund eingreifen. In Betracht kommt zunächst ein Handeln in Notwehr (§ 32 StGB).
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2. Ist die Tat des T nach § 32 StGB (sog. Notwehr) gerechtfertigt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Dann müsste ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorgelegen haben (sog. Notwehrlage). Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Ein tatsächliches Handeln durch O ist jedenfalls nicht gegeben, da er sich nur auf der Planke befand. Mit der h.M. mag man einen Angriff auch durch Unterlassen für möglich erachten. Allerdings liegt die dafür erforderliche Garantenstellung nicht vor, weshalb § 32 StGB nicht einschlägig ist. Das Verhalten des T könnte aber nach § 34 StGB (sog. rechtfertigender Notstand) gerechtfertigt sein.

3. Ist die Tat des T nach § 34 StGB (sog. rechtfertigender Notstand) gerechtfertigt?

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar bestand eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des T (sog. Notstandslage), die nicht anders als durch das Stoßen des O in das Wasser abwendbar war. Jedoch müsste T auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt haben, das bedrohte Interesse müsste also das beeinträchtigte wesentlich überwogen haben. Angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Lebensinteressen von T und O ist dies aber nicht der Fall. Demnach scheidet § 34 StGB aus. Rechtswidrigkeit liegt vor. Fraglich ist, ob T auch schuldhaft handelte. So könnte die Tat nach § 35 Abs. 1 StGB (sog. entschuldigender Notstand) entschuldigt sein.

4. Ist die Tat des T nach § 35 Abs. 1 StGB (sog. entschuldigender Notstand) entschuldigt?

Ja!

Es bestand eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für das Leben des T (sog. Notstandslage). Nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB entfällt der Schuldvorwurf nur dann nicht, wenn dem Täter die Hinnahme der Gefahr zugemutet werden kann. Das ist in der Regel nur dann der Fall, wenn er die Gefahr selbst verursacht hat oder in einem besonderen Rechtsverhältnis mit erhöhten Gefahrtragungspflichten steht. So liegt es bei T indes nicht. Mithin konnte ihm auch nicht zugemutet werden, den drohenden Ertrinkungstod hinzunehmen. Auch der Gefahrabwendungswille war bei T vorhanden. Er ist demnach entschuldigt, also nicht wegen § 212 Abs. 1 StGB strafbar.
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