Zivilrecht

Sachenrecht

Negatorischer Abwehr- und Unterlassungsanspruch

Besteht ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei Belastung des Grundstücks mit Schrotblei?

Besteht ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei Belastung des Grundstücks mit Schrotblei?

11. Juli 2025

10 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A besitzt ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück. Direkt daneben betreibt S ihre Schießanlage. Wegen dieser Anlage fällt immer wieder Schrotblei auf As Grundstück. Dies führt zu einer Bodenverseuchung, welche alle Grenzwerte überschreitet. A wusste nichts von der Verseuchung durch das Schrotblei.

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Einordnung des Falls

Besteht ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei Belastung des Grundstücks mit Schrotblei?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A stand hinsichtlich des Schrotbleis ein Abwehranspruch gegen S aus § 1004 Abs. 1 BGB zu.

Ja!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist, (2) eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, (3) der Anspruchsgegner Störereigenschaft hat. Schließlich darf (4) keine Pflicht zur Duldung der Störung bestehen. Bei dem Schrotblei handelt es sich um eine von A nicht zu duldende Grobimmission. Diese hatte S als mittelbarer Störer zu verantworten. Allein die Beseitigung des Schrotbleis ändert allerdings nichts an der bereits eingetretenen Bodenverseuchung, durch das freigesetzte Blei.
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2. Sind damit die Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs gegeben (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anspruchsvoraussetzungen sind (1) die Wahrung der Subsidiarität. Es muss (2) eine wesentliche, ortsübliche Beeinträchtigung vorliegen, welche (3) nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen verhinderbar ist. Die Beeinträchtigung muss (4) für den Eigentümer unzumutbar sein. Der (5) Anspruchsgegner muss der sein, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt. Zuletzt ist (6) die Anspruchshöhe zu bestimmen. Hier bestand eigentlich ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Dieser sperrt aufgrund der Subsidiarität die direkte Anwendung des Ausgleichsanspruchs. Außerdem liegen hier Grobimmissionen vor und keine unwägbaren Stoffe vor. Ein Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in direkter Anwendung scheidet also aus.

3. Es kommt aber eine analoge Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs in Betracht (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog).

Ja, in der Tat!

§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB kann in unterschiedlichen Fällen analog angewandt werden. So ist eine Analogie für Pächter, Mieter und Inhaber beschränkter dinglicher Rechte anerkannt. Die relevanteste Gruppe der analogen Anwendung der Norm betrifft allerdings die Unmöglichkeit der Störerabwehr.In der Klausur solltest Du stets auch kurz auf die Voraussetzungen der Analogie – eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage – eingehen.

4. A war es aus rechtlichen Gründen unmöglich, die Bodenverseuchung nach § 1004 Abs. 1 BGB abzuwehren.

Nein!

Die relevanteste Gruppe der analogen Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs betrifft die Unmöglichkeit der Störerabwehr. Es kann dem Beeinträchtigten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sein, den an sich gegebenen Abwehranspruch geltend zu machen. Bei der rechtlichen Unmöglichkeit ergibt sich aus gesetzlichen Vorschriften oder zum Schutz besonderer Allgemeininteressen eine Duldungspflicht. Es sind keine Vorschriften oder Gründe des Allgemeinwohls ersichtlich, welche A von der Ausübung des Abwehranspruchs gehindert haben. Die Geltendmachung des Anspruchs wäre A also rechtlich möglich.

5. A war es aus tatsächlichen Gründen unmöglich, die Bodenverseuchung nach § 1004 Abs. 1 BGB abzuwehren.

Genau, so ist das!

Die Unmöglichkeit der Störerabwehr aus tatsächlichen Gründen setzt einen faktischen, unverschuldeten Duldungszwang voraus. Der Anspruchsberechtigte wird aus tatsächlichen Gründen gehindert, die Störung nach § 1004 Abs. 1 BGB oder § 862 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden und hat dadurch unzumutbare Nachteile erlitten. A wusste nichts von der schleichenden Bodenverseuchung durch das Schrotblei. Als A davon erfuhr, war der Schaden (Bodenverseuchung) bereits eingetreten. Die vorherige Störerabwehr war A also aus tatsächlichen Gründen unmöglich.

6. Ist die Beeinträchtigung für A zumutbar?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Ausgleichsanspruch setzt voraus, dass das betroffene Grundstück über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt sein (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB). Hier ist derselbe Maßstab wie bei der Beurteilung der Wesentlichkeit anzulegen. Wird die Wesentlichkeitsgrenze überschritten, geht die Einwirkung über das zumutbare Maß hinaus. Das Schrotblei verseuchte As Landwirtschaftsgrundstück erheblich. Die zulässigen Grenzwerte sind überschritten. Eine landwirtschaftliche Nutzung ist so nicht mehr möglich. Es liegt eine unzumutbare Beeinträchtigung vor.

7. Kann A von S einen angemessenen Ausgleich für die Schädigung verlangen (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)?

Ja!

§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist nach h.M. kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Wertersatzanspruch. So sind etwa Personenschäden und Schmerzensgeld nicht erfasst. Verlangt werden kann ein angemessener Ausgleich in Geld. Diese Entschädigung kann aber auch Ersatz für Schäden an beweglichen Sachen erfassen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. A kann angemessenen Ersatz verlangen.
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