Recht auf Selbstbestimmung: Recht, sein Geschlecht zu wechseln?

4. Juli 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F hat sich einer Geschlechtsanpassung unterzogen. Im Geburtenregister ist sie aber noch als „männlich“ eingetragen. Dies will F nun zu „weiblich“ ändern lassen. Nach dem Personenstandsgesetz ist eine Eintragung zur Änderung des Geschlechts aber nicht zulässig.

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Einordnung des Falls

Recht auf Selbstbestimmung: Recht, sein Geschlecht zu wechseln?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität.

Genau, so ist das!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll sichern, dass die einzelne Person ihre Individualität selbstbestimmt entwickeln und wahren kann. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet demnach die Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität. Führ Dir immer die enorme Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für den Einzelnen bzw. die Einzelne vor Augen!
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2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt, dass F sich (mittlerweile) als weiblich identifiziert.

Ja, in der Tat!

Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht richtet sich zunächst nach den Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt der Geburt. Allein danach kann sie aber nicht bestimmt werden. Sie hängt wesentlich von der nachhaltig selbst empfundenen Geschlechtlichkeit des Grundrechtsträgers und der Grundrechtsträgerin ab. Widerspricht das eigene Geschlechtsempfinden den ursprünglich zugeordneten Geschlechtsmerkmalen, gebietet das allgemeine Persönlichkeitsrecht die neue geschlechtliche Identität des Betroffenen anzuerkennen. F ordnet sich mittlerweile dem weiblichen Geschlecht zu. Die Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität umfasst auch dies. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt somit As eigene Identifikation als weiblich.

3. Die gesetzliche Verwehrung einer personenstandsrechtlichen Änderung des Geschlechts beeinträchtigt F in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Ja!

Mit dem Personenstand wird eine Person nach den gesetzlich vorgesehenen Kriterien vermessen. Er umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Unabhängig davon, welche Folgen außerhalb des Personenstandsrechts an den Geschlechtseintrag geknüpft sind, betrifft die Eintragung selbst die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit einer Person. F kann aufgrund der gesetzlichen Regelung ihren Personenstand nicht übereinstimmend mit ihrer persönlichen geschlechtlichen Identifikation eintragen lassen. Die Verwehrung der Änderung beeinträchtigt F somit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hanna

Hanna

24.1.2024, 16:28:04

Wäre hier auch noch Art. 3 III zu prüfen? Bei der beschriebenen Situation handelt es sich ja um eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts - „biologische“ Männer oder Frauen können ihr Geschlecht wahrheitsgemäß eintragen lassen, transgeschlechtliche nicht. (Bitte um Ent

schuld

igung für evtl. untechnische Begriffe)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 17:50:54

Hallo Hanna, danke für deine Frage. In der Tat erfasst der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG "Geschlecht" neben der Ungleichbehandlung zwischen Männer und Frauen zudem auch Ungleichbehandlungen von Hermaphroditen bzw. von Personen ohne bestimmtes Geschlecht. Zudem wird eine Ungleichbehandlung wegen des Wechsels des Geschlechts erfasst, was für Transsexuelle von Bedeutung ist. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG lässt es ohne Weiteres zu, sie in den Schutz einzubeziehen. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG spricht ohne Einschränkung allgemein von „Geschlecht“, was auch ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich sein kann. Dabei wird nochmal von der sexuellen Identität abgegrenzt, also der Richtung sexuellen Interesses. Das Bundesverfassungsgericht hat sich recht intensiv mit der Einbeziehung nonbinärer Geschlechtsidentitäten in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG in der folgenden Entscheidung ab Rn. 58 auseinandergesetzt: BVerfGE 147, 1 (10.10.2017 - 1 BvR 2019/16). Dabei hat er auch die Entstehungsgeschichte sowie systematische Argumente in Betracht gezogen. Das BVerfG urteilt in der Entscheidung, dass es auch für die Ungleichbehandlung (keine Eintragung eines unbestimmten Geschlechtes in das Personenstandsregister) i.S.d. Art. 3 Abs. 3 GG keine Rechtfertigung gibt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

dolo agitation

dolo agitation

2.6.2025, 16:46:26

Unter einem der vorherigen Fälle war eine Frage mit Bezug zu diesem Fall aufgekommen. Die würde ich gerne aufgreifen, da sie dort nicht beantwortet wurde und auf

diesen Fall

verwiesen wurde. "Verständnisfrage: Ich weiß, das Thema ist sehr sensibel, ich möchte es dennoch verstehen: Bei einem anderen Fall [Anm.: https://applink.jurafuchs.de/lKP5PljgSTb]hieß es, dass es keinen Anspruch darauf gibt, von anderen so dargestellt zu werden wie man sich selber sieht. Nun ist das Geschlecht (das biologische) dem Beweis zugänglich, wieso kann also eine Person, die sich zwar männlich fühlt aber tatsächlich weiblich ist, dennoch in Anspruch nehmen so bezeichnet zu werden, wie sie sich fühlt? Oder liegt das eher an einer sich ändernden Definition von Geschlecht? Danke schon mal!“ Ist diese spezifische Situation auf die besondere Bedeutung des staatlich registrierten Geschlechts von der Präsenz in Ausweisdokumenten bis hin zur Anrede in

Behörde

nschreiben zurückzuführen? Liegt der Fall im Verhältnis von Privaten zueinander anders, weil es dann (wie im früheren Fall ausgeführt) gerade keine mittelbare Wirkung des APR gibt? Bereits vielen Dank!


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