Grundfall zum im Zusammenhang bebauten Ortsteil

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E möchte ein Einfamilienhaus auf seinem Grundstück in der Gemeinde G errichten. Ein Bebauungsplan liegt nicht vor. Das Grundstück ist das einzige noch freie Grundstück und liegt inmitten einer Siedlung aus 20 Häusern.

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Einordnung des Falls

Grundfall zum im Zusammenhang bebauten Ortsteil

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei dem Einfamilienhaus handelt es sich um die Errichtung eines Vorhabens i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB. Müssen die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen an die Errichtung baulicher Anlagen der §§ 30ff. BauGB erfüllt sein?

Ja!

Die Vorschriften zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit (§§ 30-37 BauGB) finden gemäß § 29 Abs. 1 BauGB auf Vorhaben Anwendung, welche die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Gegenstand haben Eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB setzt voraus, dass die Anlage (1) in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden wird und (2) bodenrechtliche Relevanz aufweist. Das Einfamilienhaus ist eine auf Dauer künstlich mit dem Erdboden verbundene Anlage. Sie ist zudem geeignet, Belange i.S.d. § 1 Abs. 5, Abs. 6 Nr. 11 BauGB zu berühren, so dass das Vorhaben auch bodenrechtliche Relevanz aufweist. Auch wenn – wie hier – die Anwendbarkeit der §§ 30 ff. BauGB offensichtlich ist, musst du diesen Prüfungspunkt in der Klausur immer ansprechen und zumindest kurz subsumieren. Genauigkeit zahlt sich aus!
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2. Richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens des E nach § 30 BauGB?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Zulässigkeit eines Vorhabens richtet sich nur nach § 30 BauGB, wenn ein Bebauungsplan aufgestellt wurde. Gemeinde G hat aber gar keinen Bebauungsplan aufgestellt. Liegt laut Sachverhalt eindeutig kein Bebauungsplan vor, brauchst Du auch kein Wort zur Unterscheidung von einfachem und qualifizierten Bebauungsplan zu verlieren.

3. Richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhaben nicht nach § 30 BauGB, ist § 34 BauGB maßgeblich.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 34 BauGB regelt die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben im sogenannten unbeplanten Innenbereich. Dieser Bereich zeichnet sich durch zwei Voraussetzungen aus: (1) Negativ darf die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht im Anwendungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegen (Abgrenzung zu § 30 BauGB). (2) Positiv muss die Fläche in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 Abs. 1 BauGB) liegen (Abgrenzung zu § 35 BauGB). Da kein Bebauungsplan existiert, ist § 30 BauGB nicht anwendbar. Damit § 34 BauGB anwendbar ist, müsste sich das Grundstück des E innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befinden. Der unbeplante Innenbereich steht im Gegensatz zum beplanten Innenbereich (= Planbereich), also denjenigen Flächen, für die ein Bebauungsplan vorliegt.

4. Eine Fläche liegt in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 Abs. 1 BauGB), wenn in ihrer größeren räumlichen Umgebung eine wie immer geartete Bebauung zu finden ist.

Nein!

§ 34 Abs. 1 BauGB setzt positiv voraus, dass die Fläche, in der das Vorhaben realisiert werden soll, sich in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil befindet. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil setzt sich aus den beiden Merkmalen Ortsteil und Bebauungszusammenhang zusammen, die kumulativ gegeben sein müssen: - Ein Bebauungszusammenhang i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. - Ein Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. In baurechtlichen Klausuren, die im § 34 BauGB „spielen“, werden häufig einzelne Tatbestandsmerkmale des Innenbereichs abgeprüft. Mach es Dir einfach, indem Du in Deiner Klausur die Merkmale sauber voneinander trennst.

5. Das Grundstück des E befindet sich innerhalb eines Bebauungszusammenhangs i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB.

Genau, so ist das!

Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Das Grundstück des E ist umgeben von 20 bereits errichteten Wohnhäusern. Es ist das einzige noch unbebaute Grundstück in der näheren Umgebung, sodass gar keine Baulücken mehr vorhanden sind. Die vorhandenen Wohnhäuser erwecken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit, sodass ein Bebauungszusammenhang gegeben ist.

6. Der Bebauungszusammenhang, in dem das Grundstück des E liegt, stellt einen Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB dar.

Ja, in der Tat!

Ein Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Nicht jede Aneinandersammlung von Gebäuden ist automatisch ein Ortsteil; Gegenstück zum Ortsteil ist die – bauplanungsrechtlich unerwünschte – Splittersiedlung. Wann das notwendige gewisse Gewicht vorliegt, lässt sich nicht pauschal festlegen, sondern ist abhängig von der für die Gegend typischen Siedlungsform. Eine organische Siedlungsstruktur ist gegeben, wenn es eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des betreffenden Bereiches gibt. Die bereits vorhandenen 20 Wohnhäuser stellen einen Bebauungskomplex mit einem gewissen Gewicht dar. Die Bebauung besteht ihrer Art nach ausschließlich aus Wohnhäusern, sodass organisch die Siedlungsstruktur eines reinen Wohngebiets (§ 3 Abs. 2 BauNVO) entstanden ist. Warum im Rahmen von § 34 BauGB die Qualifikation eines Ortsteils in Anlehnung an die Gebietstypen der BauNVO relevant ist, erfährst Du gleich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

6.12.2023, 16:30:52

Zur Bestimmung, ob ein Ortsteil vorliegt, sind doch lediglich Gebäude maßgeblich, die dem dauerhaften Wohnen dienen, oder?

MLENA

MLena

11.5.2024, 09:22:52

Nein, nicht ganz, es ist jegliche Bebauung relevant, die dem dauerhaften Aufenthalt von Menschen dient (sonst wären zum Beispiel Industrieeinrichtungen nicht erfasst oder Geschäfte). Der Battis/Krautzberger/Löhr Kommentar zum Baugesetzbuch (15. Auflage 2022) sagt dazu das Folgende: Für das Merkmal der „organischen Siedlungsstruktur“ ist nicht darauf abzustellen, ob es sich um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt; auch eine unterschiedliche oder eine in ihrer Art und Zweckbestimmung gegensätzliche, also nicht homogene, Bebauung kann einen Ortsteil bilden. [...] Dies gilt auch für industriell oder gewerblich geprägte Bereiche, die häufig durch große Flächen und umfangreiche, oftmals technische, bauliche Anlagen geprägt sind, weniger hingegen durch bauliche Anlagen, in denen sich Menschen dauerhaft aufhalten. Auch in diesen Fällen liegt ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil oder jedenfalls ein Teil eines solchen Ortsteiles vor, wenn der betreffende Bereich zumindest auch bauliche Anlagen umfasst, die dem Aufenthalt von Menschen dienen (zB Sozialgebäude, Büros...) [...] Ein Kleingartengebiet bildet (unbeschadet einer durchgehenden Laubenbebauung) keinen Ortsteil, weil die Gebäude (Gartenhäuser) nicht für den dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind.


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