Abwandlung 2 zum im Zusammenhang bebauten Ortsteil

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F möchte ebenfalls ein Wohnhaus in H errichten. Sein Grundstück liegt auch abgelegen, aber in der Umgebung liegen im Abstand von jeweils ca. 100 Metern zueinander sechs weitere Einfamilienhäuser. Dazwischen befinden sich Felder und Koppeln. Ein Bebauungsplan existiert nicht. ‌

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Abwandlung 2 zum im Zusammenhang bebauten Ortsteil

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhaben richtet sich nach § 34 BauGB, wenn das Vorhaben in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegt und ein Bebauungsplan nicht existiert.

Genau, so ist das!

§ 34 BauGB regelt die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben im sogenannten unbeplanten Innenbereich. Dieser Bereich zeichnet sich durch zwei Voraussetzungen aus: (1) Negativ darf die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht im Anwendungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegen (Abgrenzung zu § 30 BauGB). (2) Positiv muss die Fläche in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 Abs. 1 BauGB) liegen (Abgrenzung zu § 35 BauGB). Da kein Bebauungsplan existiert, ist § 30 BauGB nicht anwendbar. Damit § 34 BauGB anwendbar ist, müsste sich Es Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befinden.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Eine Fläche liegt in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 Abs. 1 BauGB), wenn in ihrer größeren räumlichen Umgebung sich landwirtschaftliche Betriebe befinden.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 34 Abs. 1 BauGB setzt positiv voraus, dass die Fläche, in der das Vorhaben realisiert werden soll, sich in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil befindet. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil setzt sich aus den beiden Merkmalen Ortsteil und Bebauungszusammenhang zusammen, die kumulativ gegeben sein müssen: - Ein Bebauungszusammenhang i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. - Ein Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Wenn in Deiner Klausur ein landwirtschaftlicher Betrieb auftaucht, solltest Du immer sofort an eine Abgrenzung zum § 35 BauGB denken. Denn landwirtschaftliche Betriebe sollen nach der gesetzgeberischen Grundvorstellung überwiegend im Außenbereich stehen (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB).

3. § 34 BauGB setzt zunächst einen Ortsteil voraus. Bilden die umliegenden Bauten einen Bebauungskomplex, der nach Anzahl seiner Bauten ein gewisses Gewicht aufweist?

Ja!

Ein Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Wann das notwendige gewisse Gewicht vorliegt, lässt sich nicht pauschal festlegen, sondern ist abhängig von der für die Gegend typischen Siedlungsform. Im Einzelfall können auch schon wenige Bauten ausreichend sein. Allerdings stellen weniger als fünf zusammenstehende Bauten typischerweise keinen Ortsteil dar. In die Betrachtung einbezogen werden nur Bauten, die zum ständigen Aufenthalt von Menschen bestimmt sind. Die sechs Wohnhäuser, die Fs Grundstück umgeben, sind städtebaulich prägend in die Betrachtung einzubeziehen. Die Gemeinde H ist ländlich geprägt. In solchen Gebieten ist eine geringe, weitläufige Bebauung typisch, sodass es sich bei den sechs Wohnhäusern um einen Bebauungskomplex von einem gewissen Gewicht handelt. Führ Dir nochmal vor Augen: Am Merkmal „Ortsteil“ erfolgt die Abgrenzung zur unerwünschten Splittersiedlung. Nicht jede Aneinandersammlung von Gebäuden ist automatisch ein Ortsteil; Gegenstück zum Ortsteil ist die – bauplanungsrechtlich unerwünschte – Splittersiedlung. Für die vorliegende Einordnung der Bebauung als Ortsteil ist maßgeblich, dass – wie dargestellt – diese Art der Bebauung in ländlichen Gebieten typisch ist.

4. Neben dem hinreichenden Gewicht verlangt das Merkmal des Ortsteils i.S.d. § 34 BauGB auch eine organische Siedlungsstruktur. Weist die Bebauung hier eine organische Siedlungsstruktur auf?

Genau, so ist das!

Das Merkmal der organischen Siedlungsstruktur erfordert eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereichs. Hieran kann es fehlen etwa bei einer Anhäufung behelfsmäßiger Bauten oder einer völlig regellosen oder funktionslosen Bebauung. Die sechs Einzelhöfe bilden sogar eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung und stellen damit eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung dar. Ein Ortsteil kann auch durch eine unterschiedliche und sogar gegensätzliche Bebauung gebildet werden. Auch die Entstehungsweise der vorhandenen Bebauung ist unerheblich. Sie braucht keinen Schwerpunkt der baulichen Entwicklung darstellen und muss auch nicht ein gewisses eigenständiges Leben gestatten. Diese Punkte sind für die Annahme eines Ortsteils zwar ausreichend, aber nicht notwendig.

5. Neben dem Merkmal des Ortsteils setzt § 34 BauGB einen Bebauungszusammenhang voraus. Bilden die sechs allein stehenden Wohnhäuser einen Bebauungszusammenhang?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Gefordert wird eine tatsächlich aufeinanderfolgende, eben zusammenhängende Bebauung. Gibt es Baulücken oder freie Flächen, ist fraglich, ab wann der Zusammenhang unterbrochen ist. Dabei kommt es darauf an, ob nach der Verkehrsauffassung noch der Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zusammengehörigkeit vermittelt wird. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Die Einzelhöfe grenzen nicht unmittelbar aneinander an, sondern stehen allein und sind umgeben von Feldern und Koppeln. Die Wohnhäuser sind voneinander ca. 100 Meter entfernt. Durch diese Unterbrechungen und Distanz wird die Einzellage der Wohnhäuser unterstrichen. Nach der Verkehrsauffassung ist nicht von einer zusammengehörenden Bebauung auszugehen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

© Jurafuchs 2024