+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A begehrt Zugang zu Twitter-Direktnachrichten eines Bundesministeriums (B). Über diese können Nutzer abseits der Öffentlichkeit kommunizieren. B nutzt die Nachrichten als Ersatz für fernmündliche Kommunikation. Twitter speichert die Nachrichten auf seinen Servern. B speichert die Nachrichten nicht.
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Einordnung des Falls
Herausgabe von Twitter-Direktnachrichten des BMI
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B verweigert A Zugang zu den Twitter-Direktnachrichten. A erhebt Klage zum Verwaltungsgericht. Ist für As Begehren nach § 1 Abs. 1 IFG die allgemeine Leistungsklage statthaft?
Nein, das ist nicht der Fall!
§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG gewährt für jedermann gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Lehnt die Behörde das Informationsbegehren ab, stehen dem Antragsteller Widerspruch und Verpflichtungsklage offen (§ 9 Abs. 4 IFG (gesetzliche Anordnung der statthaften Klageart).
Statthaft ist - nach erfolglosem Widerspruch gegen die Versagung - die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO i.V.m. § 9 Abs. 4 IFG.
Der Entscheidung liegt eine Sprungrevision gegen die Ausgangsentscheidung des VG zugrunde. Diese ist zulässig, wenn Kläger und Beklagter ihrer Einlegung schriftlich zustimmen und die Sprungrevision vom VG zugelassen wird (§ 134 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Sprungrevision ist begründet, wenn das Urteil Bundesrecht verletzt und es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 144 Abs. 4 VwGO). Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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2. Um gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt zu sein, müsste A darlegen können, dass die begehrten Informationen einen konkreten Bezug zu seiner Person aufweisen.
Nein, das trifft nicht zu!
Die Klagebefugnis im Rahmen der Verpflichtungsklage richtet sich nach § 42 Abs. 2 VwGO. Danach ist klagebefugt, wer geltend machen kann, durch die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein.
As Klagebefugnis stützt sich auf § 1 Abs. 1 S. 1 IFG. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 IFG hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG vermittelt damit jedermann einen materiell voraussetzungslosen Anspruch<. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass As Recht aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG durch die Ablehnung seines Informationsbegehrens verletzt ist.
Weitere Probleme in der Zulässigkeit stellen sich hier nicht. 3. As Verpflichtungsklage ist begründet, wenn die Ablehnung des Zugangs zu den begehrten Informationen rechtswidrig war und A dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Ja!
Die Begründetheit der - im Rahmen von Klagen nach dem IFG statthaften - Verpflichtungsklage richtet sich nach § 113 Abs. 5 VwGO.
A ist durch die Ablehnung seines Begehrens durch B in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO), wenn er aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG einen Anspruch auf Zugang zu den Direktnachrichten hätte.
Ob die nach IFG begehrte Herausgabe amtlicher Informationen einen Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) darstellt - so das VG - oder angesichts ihrer eher tatsächlichen Charakters als Realakt einzuordnen ist - so Teile der Lit. -, kann dahinstehen.
Du musst in der Klausur auf die Rechtsnatur der begehrten Herausgabe von Informationen nicht eingehen. Wichtig ist, dass Du erkennst, dass § 9 Abs. 4 IFG die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage anordnet. 4. As Anspruch auf Zugang zu den Twitter-Direktnachrichten des B aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG setzt voraus, dass A einen bestimmten Grund gelten machen kann.
Nein, das ist nicht der Fall!
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 IFG hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Der Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG unterliegt keinen materiellen Voraussetzungen. Formelle Voraussetzung für die Gewährung des Zugangs ist ein hinreichend bestimmter Antrag durch eine Anspruchsberechtigte Person bei einer anspruchsverpflichteten Behörde. Anspruchsberechtigt sind jedenfalls natürliche Personen.
A ist als natürliche Person anspruchsberechtigt. Im Ausgangsfall hatte A auch einen hinreichend bestimmten Antrag bei B gestellt.
Weitere Anspruchsgrundlagen für den Zugang zu amtlichen Informationen sind beispielsweise im UIG und im VIG zu finden. Zudem könnte ein presserechtlicher Auskunftsanspruch bestehen.
5. Der Zugangsanspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG beschränkt sich auf amtliche Informationen. Ist das Vorliegen einer „amtlichen Information“ i.S.d. § 2 Nr. 1 S. 1 IFG dadurch ausgeschlossen, dass es sich um eine bei Twitter gespeicherte Direktnachricht handelt?
Nein, das trifft nicht zu!
§ 2 Nr. 1 S. 1 IFG definiert den Begriff der amtlichen Information. BVerwG: Der Begriff ist im Hinblick auf die in Betracht kommenden Aufzeichnungs- bzw. Speicherungsmedien weit auszulegen. Umfasst sind sowohl analoge als auch digitale Medien. Die Auslegung der Norm sollte regelmäßig entsprechend der technischen Entwicklung angepasst werden. Allein durch die Wahl eines anderen Aufzeichnungs- oder Speicherungsmediums entfällt nicht der Charakter einer Information als amtlich (RdNr. 14).
Demnach ist es grundsätzlich möglich, dass auch eine bei Twitter gespeicherte Direktnachricht eine amtliche Information ist.
6. Die Frage, ob der Begriff der „amtlichen Information“ (§ 2 Nr. 2 S. 1 IFG) auch in inhaltlicher Hinsicht weit auszulegen ist, ist umstritten.
Ja!
Das VG spricht sich dafür aus, den Begriff der amtlichen Information auch in inhaltlicher Hinsicht weit auszulegen. Ausgenommen sind danach nur Informationen, die allein privaten Zwecken dienen. Das BVerwG hingegen legt den Begriff der amtlichen Information eng aus. Amtlich sei eine gespeicherte oder aufgezeichnete Information nur dann, wenn nicht nur ihr Inhalt sondern auch gerade ihre Aufzeichnung amtlichen Zwecken dient (RdNr. 13ff.).
Nach der Auffassung des VG hätte A einen Anspruch auf Zugang zu den Direktnachrichten (§ 1 Abs. 1 IFG), da sie keinen eindeutige privaten Zwecken dienen und somit amtliche Informationen im Sinne des IFG sind. Im Rahmen der Ansicht des BVerwG stellt sich zunächst die Folgefrage, ob gerade die Aufzeichnung der Direktnachrichten amtlichen Zwecken gedient hat.
7. Die Aufzeichnung der Direktnachrichten diente amtlichen Zwecken.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der amtliche Zweck einer Information ergibt sich entweder aus objektiven Regelungen über eine ordnungsgemäße Aktenführung oder aus dem subjektiven Willen der Behörde, die die Aufzeichnung veranlasst. Nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Aktenführung dient die Aufzeichnung von Informationen amtlichen Zwecken, wenn die Informationen aktenrelevant sind.
Eine subjektive Bestimmung zur Aufzeichnung der Nachrichten durch B hat nicht stattgefunden. B speichert die Nachrichten selbst nicht. Sie ersetzen lediglich fernmündlichen Kontakt. Auch nach den objektiven Grundsätzen ordnungsgemäßer Aktenführung waren die Direktnachrichten nicht aufzuzeichnen.
Diese relativ technischen Maßstäbe werden voraussichtlich nicht Gegenstand Deiner Klausur sein, weil sie abstraktes Wissen voraussetzen, das typischerweise nicht Prüfungsstoff ist.
8. Für die weite Auslegung des Begriffs der „amtlichen Information“ (§ 2 Nr. 2 S. 1 IFG) spricht der Gesetzeszweck des IFG.
Ja, in der Tat!
Der Gesetzeszweck des IFG liegt darin, die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger durch die Verbesserung der Informationszugangsrechte zu stärken und auf der Grundlage der so vermittelten Erkenntnisse der Meinungs- und Willensbildung in der Demokratie zu dienen. Diesem Zweck würde es widersprechen, in § 1 Abs. 1 IFG - wie es die enge Auffassung tut - das ungeschrieben Tatbestandsmerkmal der Aktenrelevanz hineinzulesen oder den Anwendungsbereich der Vorschrift dahingehend teleologisch zu reduzieren. Gerade wenn eher abseitige Gesetze Gegenstand Deiner Klausur sind, kann es von Dir gefordert sein, Tatbestandsmerkmale so überzeugend wie möglich nach den Auslegungsmethoden auszulegen. Hier liegen in der Klausur die Punkte.
9. Für die enge Auslegung des Begriffs der „amtlichen Information“ (§ 2 Nr. 2 S. 1 IFG) spricht, dass ein zu weitgehender Zugangsanspruch der Bürger die zuständigen Behörden überlasten würde.
Nein!
Das BVerwG argumentiert nicht mit der Gefahr der Überlastung der zuständigen Behörde, sondern mit der Regierungsbegründung zum Entwurf des IFG (BT-Drs. 15/4493, S. 9). Bereits aus diesem ergebe sich, dass nicht nur private Informationen vom Begriff der amtlichen Informationen herauszunehmen seien, sondern auch solche, die nicht mit amtlicher Tätigkeit zusammenhängen (RdNr. 18). Informationen zur Gesetzesbegründung musst Du nicht kennen oder gar auswendig lernen! Es kann sein, dass im Sachverhalt Deiner Klausur solche Informationen enthalten sind. Dann musst Du sie natürlich verwenden.
10. Nach der engen Auslegung des BVerwG handelt es sich bei den Twitter-Direktnachrichten von B um „amtliche Informationen“ (§ 2 Nr. 2 S. 1 IFG), sodass As Anspruch aus § 1 Abs. 1 IFG besteht.
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach Ansicht des BVerwG sei eine gespeicherte oder aufgezeichnete Information nur dann amtlich i.S.d. § 2 Nr. 2 S. 1 IFG, wenn nicht nur ihr Inhalt sondern auch gerade ihre Aufzeichnung amtlichen Zwecken dient
Die Aufzeichnung dient nach BVerwG nicht amtlichen Zwecken. Denn B habe die Aufzeichnung subjektiv nicht veranlasst und objektiv waren die Direktnachrichten auch nicht aufzuzeichnen. (s.o.). Damit versagt das BVerwG dem A den Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG auf Zugang zu den Direktnachrichten des B.
Zwingend ist die Auffassung des BVerwG nicht. Die vom VG vertretene weite Auslegung findet sich auch in Stimmen in der Literatur (z.B. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2.A. 2016, § 2 RdNr. 55).
Hier kannst Du in der Klausur guten Gewissens beide Ansichten vertreten. Wichtig ist, dass du das Problem erkennst und gut die wichtigsten Argumente wiedergibst.