Leistungsnähe II - Gäste
3. Juni 2025
13 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M lebt in einer Kreuzberger Wohnung, die er von Hausbesitzerin H gemietet hat. Regelmäßig lädt er Freunde zum Kochen ein. Als seine Freundin F sich nach einem köstlichen Mahl auf den Heimweg macht, tritt sie auf eine morsche Holzstufe und bricht sich dabei das Bein. H wusste, dass die Treppe morsch war.
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Einordnung des Falls
Leistungsnähe II - Gäste
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F könnte gegen H ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung Dritter (VSD) zustehen.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Im Hinblick auf die Gefahren, die von dem Haus ausgingen, lag für F Leistungsnähe vor.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ahimes
7.5.2023, 14:45:34
Lässt sich hier nicht auch anders argumentieren? Lt. Sachverhalt sind doch M und F ein Paar. Dann wäre doch denkbar, dass F als Freundin des M öfters in das Haus ein und ausgeht. Ich wäre ggf an anderer Stelle aus der Prüfung rausgegangen. Vlt erst bei Erkennbarkeit für den
Schuldner.... liege ich jetzt ganz falsch ?
se.si.sc
7.5.2023, 18:46:48
Das kann man sicherlich mit entsprechender Begründung in der Klausur so vertreten. Die Abgrenzung ist auch in der Rspr nicht unumstritten: Während mit dem Mieter in der Wohnung lebende Personen zweifelsfrei erfasst sein sollen (zB Kleinkinder, auch wenn sie später erst geboren werden), geht es bei nicht ehelichen Lebenspartnern in einen Graubereich (insoweit str). Bloße Gäste/Besucher sollen jedenfalls mangels "gesteigertem Kontakt" nicht geschützt sein. Bei detailliertem Interesse kommst du an einem Blick in den Kommentar nicht herum (bei §
328 BGBwird man meist fündig). Die dort zitierten Entscheidungen sind allerdings oft Jahrzehnte alt, möglicherweise hätte sich gerade an der Einschätzung der
Leistungsnähebei Freund/Freundin heutzutage etwas geändert.
QuiGonTim
13.3.2024, 08:47:03
Der bestimmungsgemäße Gebrauch der Wohnung umfasst die Entfaltung der Persönlichkeit in einem privaten Rahmen. Dazu zählt grundsätzlich auch, dass Empfangen von Gästen und damit den deren Wege durch das Treppenhaus. Sie kommen mit der Leistung also bestimmungsgemäße genauso in Berührung wie der Mieter. Damit besteht die
Leistungsnähe. (Absatz) Problematisch erscheint vielmehr das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers. Dieses muss ein rechtlich begründetes sein. F und M sind bloß Freunde („Freundin“ ist hier wohl eher platonisch zu verstehen). Private Einladungen zum gemeinsamen Kochen und Essen sind regelmäßig bloße
Gefälligkeitsverhältnisse und eben keine
Schuldverhältnisse. Anhaltspunkte dafür, dass es vorliegend anders sein sollte, bestehen nicht. M hat gegenüber F keine besonderen rechtlichen Pflichten. Insbesondere hat er nicht im Rahmen einer rechtlichen Sonderverbindung für das Wohl und Wehe der F einzustehen. Ein Einbeziehungsinteresse des M liegt demnach nicht vor.
hagenhubl
5.5.2024, 12:05:51
Anderseits ist es doch auch üblich, dass der Mieter Besuch empfangen darf. Damit muss der Vermieter rechnen.
Schatzfund
29.11.2024, 11:13:38
Ich würde zwar auch argumentieren, dass Sie hier bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommen, aber eben nicht im selben Maß wie der Mieter selber. Der Mieter wohnt dort und wird regelmäßig dort fest Leben. Die Gäste hingegen sind, wenn auch regelmäßig, nur zeitweise dort und werden eben nicht im SELBEN der Gefahr einer
Pflichtverletzungausgesetzt wie der Mieter.

Lt. Maverick
3.5.2025, 22:35:11
Die Leistung aus dem Mietverhältnis ist aber die dauerhafte Gebrauchsüberlassung an der Mietwohnung nebst Instandsetzung und Instandhaltung. Hier muss vor allem auf die räumliche und zeitliche Nähe zur Leistung abgestellt werden. Der Mieter sowie mit ihm lebende Personen sind in einer anderen sachlichen und räumlichen Nähe zur Mietwohnung, indem sie dort ihren Lebensmittelpunkt gebildet haben, regelmäßiger, wahrscheinlich täglich, mit der Mietsache in Berührung kommen und damit unmittelbar von Art und Umfang der Leistungs- und
Schutzpflichtendes Vermieters betroffen sind. Damit haben der Mieter und mit ihm lebende Personen ein höheres Eigeninteresse an des Vermieters Leistung. Der Besucher hingegen hat wenig Eigeninteresse an der Leistung des Vermieters, wodurch schon kaum eine
Leistungsnähegegeben ist.
benjaminmeister
30.12.2024, 12:02:43
Um die Bedeutung des Vertrages mit Schutzwirkung
zugunsten Dritterhervorzuheben, wäre es doch eigentlich sinnvoller den Sachverhalt derart abzuändern, dass nicht klar ist, ob der Vermieter
schuldhaft (bzw. wissentlich) unterlassen hat. Dann geht nämlich ein Schadensersatzanspruch aus Deliktsrecht leer (mangels Beweisbarkeit), während man beim VSD mithilfe der Beweislastumkehr des § 280 I S. 2 weiter kommt bzw. weiter kommen würde (nicht im vorliegenden Fall, weil es am VSD ja auch fehlt),
Lt. Maverick
23.5.2025, 16:06:00
Das ist doch die Tücke bei deliktischen Ansprüchen. Wenn nichts eindeutig zum Ver
schulden feststeht, ist davon auszugehen, dass dieses nicht gegeben ist, weil es nicht bewiesen wurde. Derjenige, der sich auf für ihn begünstigende
Tatsachenberuft, trägt grds. die Beweislast. Ergo: Kein deliktischer Anspruch, da kein Beweis über das Ver
schulden erfolgt ist. Es muss also nicht konkret auf die Unklarheit hingewiesen werden, ob den Vermieter ein Ver
schulden trifft oder nicht. Das fehlende Ver
schulden im Rahmen der §§ 823 ff. BGB ergibt sich allein daraus, dass im Sachverhalt Angaben zum Ver
schulden fehlen.
benjaminmeister
26.5.2025, 14:48:02
@[Lt. Maverick](229751) "Wenn nichts eindeutig zum Ver
schulden feststeht, ist davon auszugehen, dass dieses nicht gegeben ist, weil es nicht bewiesen wurde." Im Sachverhalt steht allerdings, dass H wusste, dass die Stufe morsch war. Wenn der Vermieter das weiß dann dürfte man hier eine Sorgfalts
pflichtverletzungdarin sehen, dass er das Problem nicht aus der Welt schafft. Deshalb liegt hier mMn. eine
Pflichtverletzungund ein Ver
schulden des Vermieters vor. Dann braucht man aber den Vertrag mit Schutzwirkung
Dritternicht wirklich, weil schon über § 823 Abs. 1 eine ausreichende Haftung ggü. der Tochter bestehen würde. Mein Änderungsvorschlag ist deshalb ja gerade, dass man den Sachverhalt so anpasst, dass kein Ver
schulden ersichtlich ist und es deshalb auf die Beweislastumkehr des § 280 Abs. I S. 2 ankommt. Die greift aber nur bei
Pflichtverletzungen bei bestehenden
Schuldverhältnissen. Ohne feststehendes Ver
schulden läuft dann § 823 Abs. 1 leer und es kommt auf das Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkung
zugunsten Dritteran.
Lt. Maverick
26.5.2025, 17:02:44
Allein von der Kenntnis der morschen Treppen auf ein Ver
schulden zu schließen, halte ich gerade im Rahmen von Verkehrssicherungspflichten für gewagt. Den Geschädigten trifft die Beweislast hinsichtlich aller haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Tatbestandsmerkmale, außer in Ausnahmefällen, wie beim Anscheinsbeweis o.ä. Die Reinigungskraft im Büro, die frisch gewischt hat, weiß auch, dass der Boden nass und rutschig ist sowie eine Sturzgefahr für Dritte birgt. Allein aus dieser Kenntnis kann aber noch kein Ver
schulden gezogen werden. Vielmehr müsste der Geschädigte darlegen und beweisen, dass trotz Kenntnis entsprechende Maßnahmen unterlassen wurden (z.B. kein Warnschild). Im Sachverhalt steht aber nicht, dass der Vermieter solche Maßnahmen unterlassen hat. Das liest du hier allein aufgrund seiner Kenntnis rein und das ist pure Sachverhaltsquetsche. Dieses Unterlassen wird bei § 280 I BGB gerade vermutet, der Vermieter müsste zur Exkulpation also vortragen, dass er Warnschilder anbrachte oder eine Absperrung vornahm. In § 823 I BGB müsste der Geschädigte aber gerade selbst vortragen, dass der Schädiger um die Gefahrenquelle wusste und zumindest fahrlässig Sicherungsmaßnahmen unterlassen hatte. Davon steht aber nichts im Sachverhalt.