Tragen eines Kopftuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schülerin S ist gläubige Muslimin und trägt gemäß den Vorschriften ihrer Religion ein Kopftuch. Ihre Mitschüler sind der Meinung, es reiche völlig aus, wenn S ihr Kopftuch zu Hause trage. S lehnt dies ab. Auf Drängen der Mitschüler verweist Direktor D die S schließlich der Schule.

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Einordnung des Falls

Tragen eines Kopftuchs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Tragen eines Kopftuchs fällt aus dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit heraus, da ein religiöses Bekenntnis verbal geäußert werden muss.

Nein, das ist nicht der Fall!

Teil des forum externum der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) sind sowohl die Bekenntnis-, als auch Betätigungsfreiheit. Die Bekenntnisfreiheit umfasst die Freiheit des Einzelnen, seinen Glauben im Wege religiös geprägter Meinungsäußerung nach außen kundzutun. Ein Bekenntnis kann sowohl in Wort und Schrift erfolgen als auch symbolisch, zum Beispiel durch Kleidungsvorschriften, zum Ausdruck gebracht werden. Der eigene Glaube kann mithilfe von Kleidung nach außen kundgetan werden. Dieses Bekenntnis, hier durch Tragen eines Kopftuchs, fällt als Teil des forum externum in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Mach Dir die Mühe, im Rahmen des Schutzbereichs sauber zwischen Bekenntnis- und Betätigungsfreiheit zu differenzieren. Damit beweist Du Verständnis.
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2. Nicht alle Musliminnen erachten das Tragen eines Kopftuchs als für sich religiös verpflichtend. Fällt das Tragen eines Kopftuchs daher aus dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit heraus?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Verhalten fällt unter die religiöse Betätigungsfreiheit, wenn es nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild eine religiös motivierte Handlung. Ob dies der Fall ist, richtet sich auch nach dem Selbstverständnis der betroffenen Religion(sgemeinschaft). Das bedeutet, das jeweilige Verhalten muss nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung als Glaubensregel der betreffenden Religion plausibel erscheinen. Es reicht jedoch aus, dass ein Verhalten unter verschiedenen Richtungen einer Religionsgemeinschaft verbreitet ist. Es muss kein uneingeschränkter Konsens innerhalb der Gemeinschaft bestehen. Das Tragen eines Kopftuchs fällt in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Dem steht nicht entgegen, dass nicht alle Musliminnen das Tragen eines Kopftuchs als für sich religiös verpflichtend erachten.

3. Das Tragen eines Kopftuchs in der Schule fällt aus dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit heraus, weil die Freiheit zum religiösen Bekenntnis nur im privaten Raum geschützt ist.

Nein!

Die Bekenntnisfreiheit umfasst die Freiheit des Einzelnen, seinen Glauben im Wege religiös geprägter Meinungsäußerung nach außen kundzutun. Ein Bekenntnis kann sowohl in Wort und Schrift als auch symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Dabei ist der Schutz der Glaubensfreiheit nicht auf die private Sphäre beschränkt. Vielmehr entfaltet das Freiheitsgrundrecht gerade seine Wirkung, wenn der Glaube in der öffentlichen Sphäre gelebt wird und dort auf Zustimmung oder Widerstand stößt. Indem S aus religiöser Motivation während der Schulzeit ein Kopftuch trägt, bekennt sie ihren muslimischen Glauben auch in der Öffentlichkeit. Dieses öffentliche Bekenntnis wird als Teil des forum externum von der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) geschützt. Gerade der Schutz des öffentlichen Bekenntnisses macht die Wirkkraft der Glaubensfreiheit aus. Sie stellt das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen in der öffentlichen Sphäre unserer pluralistischen Gesellschaft sicher. Soweit die Religionsausübung im öffentlichen Raum mit Grundrechten Dritter kollidiert, kommt eine Einschränkung in Betracht. Dies ist eine Frage der Rechtfertigung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GilgameshTG

GilgameshTG

28.8.2022, 21:17:41

Ich verstehe einerseits die Argumentation, weshalb das Kopftuch unter die Bekenntnisfreiheit fallen soll. Andererseits halte ich es aber insbesondere mit Blick auf den verpflichtenden Charakter, der hier auch angesprochen wird, für deutlich plausibler, das Kopftuchtragen unter die Betätigungsfreiheit zu subsumieren. So handelt es sich ja gerade um ein religiös motiviertes, subjektiv verpflichtendes Verhalten für viele Muslima und eben nicht um ein Kundtun der Religion. Genauso wie das Beten in einem anderen Fall hier, das ja auch nicht als "konkludentes Bekenntnis" bewertet wurde, sondern eben als Verhalten im Sinne der religiösen Vorschriften. Liegt die abweichende Kopftuch-Subsumtion vielleicht an der Diskussion um Lehrkräfte, denen das Kopftuch verboten wurde? Denn dort wird es ja tatsächlich gerne mit der "Kreuzkette" verglichen, was aber mE noch eher den Unterschied deutlich macht: Eine Kreuzkette bei Christen ist ein freiwilliges Bekenntnis nach außen, ein Kopftuch bei Muslima ein verpflichtendes Verhalten für sich selbst.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.9.2022, 16:21:10

Hallo GilgameshTG, danke für deine Nachfrage und Überlegungen. Grundsätzlich sind unter Bekenntnisfreiheit alle Handlungen, die in religiöser Form in einem persönlichkeitsbezogenen Sinne identitätsstiftend sind. So gehört zum religiösen Bekenntnis nicht nur Gottesdienste, die Werbung einschließlich des liturgischen Glockengeläuts, das Unterrichten und Praktizieren von Riten und Bräuchen aber eben auch das Tragen symbolischer Kleidungsstücke. Zusammenfassend werden von der Bekenntnisfreiheit alle Handlungen erfasst, die explizit bzw. äußerlich erkennbar im Zeichen eines Glaubens (oder einer Weltanschauung oder des Gewissens) stehen. Darüber hinaus ist fraglich welche weiteren Handlungen noche erfasst werden. Gemeinhin werden darunter Handlungen erfasst, die religiös motiviert sind ohne das dies ausdrückliches Bekenntnis ist oder offenkundig ist. Die Abgrenzung ist also eine etwas andere als du sie vornimmst. Dementsprechend hat das Urteil auch eine andere Gewichtung vorgenommen, denn das Kopftuch ist ja gerade etwas von einem Betrachter offenkundig wahrnehmbares das sich einer Religion/einem Glauben zuordnen lässt. Ebenso wie es eine Kreuzkette wäre. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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