Kontinuität zwischen Beruf und Studium

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist italienische Staatsangehörige und lebt in Österreich, wo sie für zwei Monate in einer befristeten, unselbstständigen Tätigkeit als Kellnerin arbeitet. Anschließend möchte A Jura studieren und beantragt in Österreich Studienhilfe, die sie nicht erhält.

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Einordnung des Falls

Kontinuität zwischen Beruf und Studium

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Begriff des Arbeitnehmers ist anders auszulegen als im deutschen Arbeitsrecht.

Ja, in der Tat!

Der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 45 AEUV ist ein Begriff des Unionsrechts und wird unionsrechtsautonom ausgelegt. Arbeitnehmer ist danach jeder, der während einer bestimmten Zeit weisungsgebunden Leistungen von einem wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält.
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2. Studierende können sich nie auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen.

Nein!

Studierende können sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nur dann auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, wenn zwischen ihrer früheren Berufstätigkeit und dem Studium ein inhaltlicher Zusammenhang besteht. Vorliegend besteht zwischen der Tätigkeit der A als Kellnerin und Ihrem Jurastudium kein inhaltlicher Zusammenhang. Eine Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit scheidet daher grundsätzlich aus. Für alle Studierende gelten zunächst die allgemeinen Gleichbehandlungs- und Freizügigkeitsrechte, die gemäß Art. 20 und Art. 21 i. V. m. Art. 18 AEUV allen Unionsbürgern zustehen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist dagegen spezieller und beinhaltet weitergehende Rechte.

3. Ausnahmsweise können sich Studierende auch ohne inhaltlichen Zusammenhangs auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, wenn sie unfreiwillig arbeitslos werden und aufgrund der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung gezwungen sind.

Genau, so ist das!

Für solche Fälle der sog. Wanderarbeitnehmer sieht die Rechtsprechung des EuGH eine Ausnahme vor. Studierende können sich in diesen Fällen auch ohne Kontinuität zwischen Beruf und Studium auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Die Ausnahme gilt allerdings nicht für Missbrauchsfälle, in denen ein Unionsbürger sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort nach kurzer Beschäftigung eine Studienförderung in Anspruch zu nehmen.

4. A ist schon deshalb freiwillig arbeitslos, weil ihr von vornherein befristeter Arbeitsvertrag geendet ist. Damit ist sie keine Arbeitnehmerin i.S.d. Art. 45 AEUV.

Nein, das trifft nicht zu!

Freiwillige Arbeitslosigkeit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH erfasst bisher ausschließlich Entlassungsfälle. Bei der Prüfung, ob die Arbeitslosigkeit freiwillig oder unfreiwillig ist, sind die Gepflogenheiten, die Möglichkeiten in diesem Sektor eine nicht befristete Tätigkeit zu finden, sowie etwaige Verlängerungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Im Bereich der Gaststättenwirtschaft sind befristete Arbeitsverhältnisse üblich, sodass eine Auswertung der Umstände dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit der A unfreiwillig ist. Damit ist der Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eröffnet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

26.6.2023, 23:18:34

Kann sich ein Student neben den hier genannten Fällen der Verbindung mit dem Studium und der erzwungen Umschulung nicht auch dann auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, wenn er neben dem Studium arbeitet ? Oder ist das so selbstverständlich, dass man das hier gar nicht erwähnen muss?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.6.2023, 11:21:49

Hallo Blotgrim, Rechtspechung dazu gibt es (noch) nicht. Jedenfalls darf eine Tätigkeit nicht von gänzlich untergeordneter Bedeutung sein, wann das der Fall ist, wurde aber bisher nicht klar definiert. War der Student vor der Aufnahme des Studiums Arbeitnehmer und erfüllt er die Voraussetzungen für den Fortbestand der Arbeitnehmereigenschaft, kann er sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Insbesondere kann er in Fall des Wanderarbeitnehmers die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie ein inländischer Arbeitnehmer erhalten. Hierauf gestützt kann der Student umfassende Gleichstellung mit inländischen Studenten verlangen, wozu auch die Studienförderung gehört, die inländischen Studenten gewährt wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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