Öffentliches Recht
Grundrechte
Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)
Reichweite des Schutzes: Verhalten muss glaubensgeleitet und verpflichtend sein (Negativbeispiel 1b: Extrembeispiel)
Reichweite des Schutzes: Verhalten muss glaubensgeleitet und verpflichtend sein (Negativbeispiel 1b: Extrembeispiel)
19. Februar 2025
10 Kommentare
4,8 ★ (12.551 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
P ist Mitglied einer in Deutschland anerkannten Religionsgemeinschaft. Diese erlaubt aus religiösen Gründen die Mehrehe, schreibt sie aber nicht vor. Als P eine zweite Frau heiraten möchte, untersagt das Standesamt dies. P sieht sich in seiner Glaubensfreiheit beeinträchtigt.
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Einordnung des Falls
Reichweite des Schutzes: Verhalten muss glaubensgeleitet und verpflichtend sein (Negativbeispiel 1b: Extrembeispiel)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Damit P in seiner Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) beeinträchtigt sein könnte, müsste deren Schutzbereich eröffnet sein. Schützt die Glaubensfreiheit jegliches glaubensgeleitetes Verhalten ohne Einschränkungen?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Kann P plausibel darlegen, dass die Mehrehe auch nach dem Selbstverständnis seiner Religionsgemeinschaft eine religiös motivierte Handlung ist?
Ja!
3. Ps Religionsgemeinschaft erlaubt aus religiösen Gründen die Mehrehe, schreibt sie aber nicht vor. Kann P sich zur Eingehung einer weiteren Ehe auf den Schutzbereich der Glaubensfreiheit berufen?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Daniel
4.7.2022, 13:33:22
Ich meine gelernt zu haben, dass es eben nicht auf eine angenommene religiöse Verpflichtung ankommt, sondern das die Religionsfreiheit das Ausrichten des gesamten Verhaltens an der Religion umfasst. Insbesondere auch, dass religiös empfohlenen Handlungen nachgegangen wird (wobei der SV hier nur von einem Erlaubnis und nicht von einer Empfehlung spricht).

Nora Mommsen
19.7.2022, 14:27:19
Hallo Daniel, grundsätzlich ist geschützt, dass der Grundrechtsträger sein gesamtes Verhalten anhand seiner religiösen Überzeugung ausrichtet. Kommt es aber zu einer staatlichen Maßnahme ist der Schutzbereich dann eröffnet, wenn der Grundrechtsträger zum Einen plausibel den Religionsbezug des Verhaltens darlegen kann (hier durch die Erlaubnis der Mehrehe). Darüber hinaus ist aber erforderlich, dass der Beschwerdeführer darlegt, nicht ohne innere Not von dem Verhalten abweichen zu können. Da es sich hier um eine reine Erlaubnis aber nicht um eine bindende Vorschrift handelt, kann P diese innere Not nicht allein damit begründen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper
23.7.2022, 16:09:08
Habe ich das richtig verstanden, dass ein Verhalten aus dem Schutzbereich fällt wenn es nicht "verpflichtend" ist? Ist das nicht ziemlich problematisch denn so würde ja der Staat die Deutung darüber treffen was verpflichtend ist Un was nicht. Diese Deutungshoheit möchte man ja gerade verhindert

Nora Mommsen
13.8.2022, 10:27:19
Hallo Edward Hooper, in der Tat kommt es darauf an, dass die religiöse Praxis in der Weise verpflichtend ist, dass der Bürger nicht ohne innere Not davon abweichen kann. Allerdings ist der Maßstab dafür das Selbstverständnis der Religion(sgemeinschaft). Es obliegt also nicht dem Staat über den verpflichtenden Charakter zu
urteilen. Vorliegend erlaubt P die Mehrehe schreibt sie aber nicht vor. Nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft liegt somit keine verpflichtende Handlung vor. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Vanilla Latte
12.4.2024, 03:12:02
Was ist der Unterschied zu dem vorherigen Fall, indem gesagt wird, dass mehrmals Beten pro Tat eben keine Pflicht ist?

Kathi
25.6.2024, 13:47:45
Ich denke, weil mehrmaliges Beten pro Tag nicht verboten oder mit Strafe behängt ist.
hannabuma
29.11.2024, 13:31:56
Im Fall davor geht es darum festzustellen, dass auch wenn einzelne Gläubige die Ansicht vertreten die Gebete seien nicht verpflichtend, dennoch der SB eröffnet ist. Es muss innerhalb der Gruppe keine vollkommen übereinstimmende Auffassung über die Verpflichtung des Handelns herrschen. In diesem Fall mit der Mehrehe wird schon im SV klargestellt, dass überhaupt nicht vertreten wird, dass diese Pflicht ist. Deswegen ist der Schutzbereich nicht eröffnet.
Robert
8.8.2024, 09:59:18
Man stelle sich vor, eine neue Religion würde z.B. die Mehrehe vorschreiben, also religiös verpflichtend machen. Es wäre spannend zu sehen, wie das BVerfG diesen Konflikt zwischen staatlichen und religiösen Normen regeln würde.