Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Tatbestand der Willenserklärung
Vermeintliches Kaufangebot - Kündigung (Geschäftswille)
Vermeintliches Kaufangebot - Kündigung (Geschäftswille)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A unterschreibt einen Brief in dem Glauben, es handele sich um die Kündigung seines Mietvertrags über einen Tiefgaragenstellplatz. Tatsächlich unterzeichnet er ein Angebot zum Verkauf seines Autos für €10.000, das K ihm geschickt hatte.
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Einordnung des Falls
Vermeintliches Kaufangebot - Kündigung (Geschäftswille)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hatte beim Unterschreiben des Angebots zum Autoverkauf den Willen und das Bewusstsein, zu handeln (Handlungswille).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hatte beim Unterschreiben des Angebots zum Autoverkauf das Bewusstsein, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben (Erklärungsbewusstsein).
Ja!
3. A hatte beim Unterschreiben des Angebots zum Autoverkauf das Bewusstsein, das Angebot zum Verkauf seines Autos für €10.000 anzunehmen (Geschäftswille).
Nein, das ist nicht der Fall!
4. A hat wirksam einen Kaufvertrag zum Verkauf seines Autos für €10.000 abgeschlossen.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Acrys
9.2.2020, 17:05:14
Zu einem Kaufvertrag gehört meines Wissens auch eine Annahme des von A versendeten Angebots. Deshalb kann der wirksame KV hier nur verneint werden. Ich fürchte, dass man da nochmal nachformulieren muss.
Büşra MB
10.2.2020, 13:05:31
A unterschreibt hier das Angebot, nimmt seinerseits also das Angebot an.
Relieh
21.2.2020, 09:33:44
Trotzdem muss, damit der Vertrag abgeschlossen wird, die WE des A wirksam werden. Von Abgabe und Zugang ist dem Sachverhalt jedoch nichts zu entnehmen.
gelöscht
21.3.2020, 13:20:02
@Acrys und Relieh - natürlich habt ihr Recht, dass dem SV nichts konkretes über Abgabe und Zugang zu entnehmen ist. Allerdings ist offensichtlich, dass diese nicht in Frage zu stellen sind. Die WE sind zugegangen und der Vertrag damit zu Stande gekommen. In fortgeschrittenen Aufgabenstellungen müssen gewisse Dinge auch nicht problematisiert werden - so liegt der Fall auch hier im Hinblick auf Abgabe und Zugang.
Ira
27.10.2020, 16:40:56
Wer suchet, der findet:) Wenn man den Fokus auf den Fall legt und nicht darauf, Fehler zu finden, dann versteht man den Fall sowie die Fragen schon richtig:)
Juranus
30.11.2020, 11:18:47
Bei der letzten Frage könnte es etwas missverständlich sein, da nach dem wirksamen Vertragsschluss gefragt wird. Nach einer Auffassung steht der Wirksamkeit aber eine Anfechtung entgegen. Hier kann A anfechten. Bei lebensnaher Auslegung des SV wird A vermutlich auch anfechten. Wäre die Frage dann nicht präziser, ob A zunächst eine Annahme erklärt hat?
Eigentum verpflichtet 🏔️
30.11.2020, 20:38:56
Hallo Juranus, danke für die Frage. Vorsicht! Du darfst nichts in den Fall reinlesen, was da nicht steht, weil es vielleicht logisch ist (großer Fehler bei Klausuren an der Uni). Ohne rechtzeitige Anfechtungserklärung ist der Kaufvertrag wirksam. Daran ändert das Bestehen eines Anfechtungsgrundes nichts. LG ;)
Oliver Bachmann
27.4.2021, 14:43:41
Die Wirksamkeit des KV ist nicht abhängig vom
Geschäftswillen. Daher kommt erst einmal ein wirksamer KV zustande, der aber gem.§119 I Alt 2 BGB angefochten werden kann
Tigerwitsch
28.4.2021, 01:31:43
Ganz genau. Das sagt ja die Lösung in der letzten Antwort auch 😊 Der
Geschäftswillewird nach hM nicht als notwendiges Element einer Willenserklärung angesehen. Mit anderen Worten kann man sagen: Wer weiß, dass er handelt (
Handlungswille) und etwas Rechtserhebliches erklärt (Erklärungsbewusstsein), muss selbst aufpassen, welchen speziellen Inhalt diese Erklärung hat (
Geschäftswille). Der Irrtum über den Inhalt der rechtlich erheblichen Erklärung soll nicht entgegenstehen, dass eine WE wirksam wird. Das ergibt sich bereits aus dem Gesetz, insbesondere aus § 119 Abs. 1 BGB: Dieser spricht von einer Anfechtungsmöglichkeit der Willenserklärung in einem Irrtumsfall. Die Vorschrift bezieht sich gerade den fehlenden
Geschäftswillen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine WE bestehen muss.
Cosmonaut
23.8.2022, 19:08:34
Hallo alle, Wäre der Fall anders zu bewerten wenn A Kaufmann gem. HGB gewesen wäre? Hätte er dann auch ein Anfechtungsrecht? (Analog zum Gedanken des kaufm. Bestätigungsschreibens) Dank euch!
Lukas_Mengestu
2.1.2023, 18:09:56
Hallo Cosmonaut, vielen Dank für die Nachfrage! Grundsätzlich gelten die Regelungen des BGB auch im kaufmännischen Verkehr, soweit es hier keine abweichende Sonderregelung gibt, die als lex specialis vorgeht. Insoweit bestünde auch hier ein Anfechtungsrecht. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben ist etwas anders gelagert. Denn hier ist der Vertragsschluss bereits erfolgt und soll durch die Bestätigung lediglich noch einmal abgesichert werden. Bleibt der Kaufmann hierauf untätig und war sein gegenüber redlich, kann sich der Geschäftspartner regelmäßig darauf verlassen, dass der Vertrag zu den im Bestätigungsschreiben aufgeführten Konditionen zustande gekommen ist. Die hier vorliegende Konstellation unterscheidet sich davon insoweit, als erst durch die Unterschrift des A überhaupt erst ein Vertrag zustande gekommen ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Law_yal_life
18.9.2023, 13:47:24
Das heißt
Geschäftswilleist enger als der Erklärungswille? Aber ingesamt ist der Erklärungswille wichtiger als der GW?
Leo Lee
15.10.2023, 14:52:59
Hallo Prädikatkandidat, das könnte man so sagen! Der
Geschäftswilleist enger, da hier der Wille darauf gerichtet sein muss, eine GANZ BESTIMMTE Rechtsfolge (beim Erklärungswillen reicht IRGENDIENE Rechtsfolge aus) herbeizuführen. Bzgl. deiner zweiten Frage: Der Erklärungswille ist i.E. wichtiger, weil der
Geschäftswillenicht nötig ist, damit eine WE wirksam wird (denn die Anfechtungsmgl. Gem. 119 beweist gerade, dass der GW kein essenzieller Bestandteil ist) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Whale
13.6.2024, 10:03:22
Der
Geschäftswillebesteht demnach ja nur auf subjektiver Ebene, während das Erklärungsbewusstsein eine objektive Ausgestaltung in Form des Rechtsbindungswillens aufweist. Wenn das Erklärungsbewusstsein fehlt, prüft man den Anschein auf objektiver Ebene. Wenn der
Geschäftswillefehlt, dann ist das egal. Wäre es nicht konsequenter hier einen „Anschein“ zu fingieren, damit man klar inneren und äußeren Tatbestand der Willenserklärung abgrenzen kann?
Timurso
13.6.2024, 10:15:03
Das stimmt. Oft wird objektiv auch ein Spiegelbild aller drei inneren Tatbestandsmerkmale einer Willenderklärung vorausgesetzt. Alternativ kann man es über Auslegung nach dem
objektiven Empfängerhorizont(§§ 133, 157 BGB) und Voraussetzung der essentialia negotii lösen (kommt aufs gleiche Ergebnis). Von daher: Vollkommen richtig, allein die Prüfung des (Nicht-)Vorliegens des
Geschäftswillens reicht nicht aus, um zu entscheiden, ob ein Vertrag zustande gekommen ist oder nicht.
Whale
13.6.2024, 10:20:28
Man würde in diesem Fall also zwar subjektiv zu einem verneinenden, nach Auslegung aber zu einem positiven Ergebnis kommen (
Geschäftswilleliegt aus Sicht des Empfängers vor, weil zumindest der Anschein dessen besteht/erweckt wurde).
Timurso
13.6.2024, 10:54:16
@[Whale](252844) genau. Und dann in einem dritten Schritt stellt man fest, dass objektive und subjektive Seite auseinanderfallen und fragt sich, wie sich das auswirkt. Wo man dann ggf. auch noch mehr Argumente unterbringen kann als hier in der Lösung, je nach Klausurschwerpunkt.
Whale
13.6.2024, 13:37:15
Danke für die Hilfe :) Welche weiteren Argumente würdest denn noch anbringen?
Timurso
13.6.2024, 14:27:33
Gut vorliegend sind eigentlich gar keine Argumente gebracht. Die zwei Hauptargumente sind 1. Schutz des Rechtsverkehrs überwiegt in dieser Konstellation dem Schutz des wirklichen Willens des Erklärenden überwiegt, da diesem, wenn er sich schon bewusst ist, dass er eine rechtlich relevante Erklärung abgibt (also Erklärungsbewusstsein hat), auch zugemutet werden kann, dass er darauf achtet, nicht etwas falsches zu erklären. Zudem gebieten die §§ 133, 157 BGB eben einen Ausgleich zwischen Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Erklärung und dem wahren Willen des Erklärenden und wenn wir bereits bei dem geringsten Mangel die Wirksamkeit der Willenserklärung verneint, kann dies kein Ausgleich zwischen diesen beiden Gütern sein, sondern würde nur den wahren Willen berücksichtigen. 2. Hauptargument ist die Systematik der §§ 119 ff. BGB. Wenn bereits diese "niedrigste" Stufe der Irrtümer die Unwirksamkeit der Willenserklärung zufolge hätte, müsste dies logischerweise auch bei fehlendem Erklärungsbewusstsein und
Handlungswillen gelten. Dann wäre allerdings jede Willenserklärung unwirksam, die an irgendeinem Fehler leidet. Eine Anfechtung hätte dann keinen Anwendungsbereich mehr bzw. wäre überhaupt nicht mehr erforderlich.
Whale
13.6.2024, 14:50:33
Zu (2.) noch eine Frage: Inwiefern können wir da einen Erst-Recht-Schluss als Argument anführen, wenn der
Handlungswillen und das Erklärungsbewusstsein "ranghöher" sind, wie du selbst schreibst?
Timurso
13.6.2024, 15:01:32
Erklärungsbewusstsein und
Handlungswillesind nicht "ranghöher", sondern grundlegendere Voraussetzungen einer Willenserklärung, weshalb ein Fehlen der jeweiligen Voraussetzung noch gewichtiger ist als beim
Geschäftswillen.
Whale
13.6.2024, 15:15:02
Jetzt verstehe ich. Wenn bereits durch einen "niedrigen" oder trivialen Irrtum im Rahmen des
Geschäftswillen Unwirksamkeit der Willenserklärung folgen würde, dann müsste dies logisch auch beim Erklärungsbewusstsein/
Handlungswillen passieren, da diese sozusagen grundlegender sind. Es wäre nur konsequent Irrtümer dieser Art auch bei den anderen Willenselementen des inneren Tatbestands der Willenserklärung aufzunehmen.