Ausnahme: Zugang nicht erfolgt

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Klassisches Klausurproblem

Personalleiter Lucius will Arthur (A) zum 31.8. kündigen. Als er A am 1.6. zuhause die Kündigung überbringen will, trifft er dort nur As vierjährige Tochter Ginny (G) an. Er gibt G die Kündigung. G verbuddelt sie im Garten. Erst am 1.9. erfährt Arthur davon.

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Einordnung des Falls

Ausnahme: Zugang nicht erfolgt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigungerklärung wird nur wirksam, wenn sie zugeht.

Genau, so ist das!

Die Kündigungserklärung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine solche bedarf für ihre Wirksamkeit des Zugangs beim Erklärungsempfänger (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei verkörperten Willenserklärungen liegt Zugang vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.Der Zeitpunkt des Zugangs ist besonders relevant, wenn Fristen (zB Kündigungsfrist) eingehalten werden müssen. Im Arbeitsrecht ist der Zugang zudem relevant für die Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 7 iVm § 4 S. 1 KSchG).
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2. Die Kündigung ist zugegangen, als unter normalen Umständen mit der Weiterleitung der Erklärung von G an A zu rechnen war.

Nein, das trifft nicht zu!

Zugang tritt bei Übergabe der Erklärung an einen Empfangsboten als Mittelsperson zu der Zeit ein, zu der nach normalen Umständen mit der Weiterleitung an den Empfänger zu rechnen ist. Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt und geeignet anzusehen ist. Das sind bei Privatleuten etwa Ehegatten (auch außerhalb der gemeinsamen Wohnung) sowie andere geeignete Familienmitglieder. Kleine Kinder wie die vierjährige G dürften weder ausdrücklich von den Eltern noch von der Verkehrsanschauung als ermächtigt zur Entgegennahme von Willenserklärungen gelten. S ist nicht als Empfangsbote, sondern als Erklärungsbotin anzusehen.

3. Die Kündigung ist unwirksam.

Ja!

Wird eine Willenserklärung einer Person übergeben, die zur Entgegennahme weder bestellt noch nach der Verkehrsanschauung als bestellt und geeignet anzusehen ist (kleines Kind, Handwerker, Nachbar), so ist diese Person als Erklärungsbote des Erklärenden einzustufen. Die Übermittlung erfolgt in diesem Fall auf Risiko des Erklärenden. Die Erklärung über einen Erklärungsboten des Erklärenden geht nur bei tatsächlicher Übermittlung an den Empfänger zu. Da G die Erklärung nicht übermittelt hat, ist diese A nicht zugegangen und infolgedessen nicht wirksam geworden (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB).

4. Kann sich A auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen, obwohl mehr als drei Wochen seit Ausspruch der Kündigung vergangen sind?

Genau, so ist das!

Es obliegt dem Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben (§ 4 S. 1 KSchG). Unterlässt er dies, so werden etwaige Mängel der Kündigung grundsätzlich geheilt (§ 7 KSchG). Auf den Mangel des Zugangs kann sich der Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist berufen. Denn die Frist und die Wirksamkeitsfiktion beziehen sich nur auf zugegangene Kündigungen.A ist die Kündigung nie zugegangen. Es ist unschädlich, dass A hier nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG Klage erhoben hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

11.7.2023, 18:26:34

Verständnisfrage: statthafte Klageart wäre hier wiederum die allgemeine

Feststellungsklage

, oder? Da der

Wortlaut

von § 4 S. 1 KschG (Kündigungsschutzklage) den Zugang voraussetzt, der hier aber fehlt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.7.2023, 14:21:35

Hallo Denislav, genau so ist es! Fehlt es an der Schriftform, dem Zugang oder einer wirksamen Vertretung, so liegt keine wirksame Kündigung vor, gegen die man sich wenden könnte. Beharrt der Arbeitgeber aber auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so besteht die Möglichkeit die allgemeine

Feststellungsklage

zu erheben, die auf die Feststellung gerichtet ist, dass das Arbeitsverhältnis weiterhin besteht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BE

Bioshock Energy

7.4.2024, 12:25:52

Hallo, ist die Kündigung als komplett nichtig anzusehen (mit der Folge, dass der Arbeitgeber eine neue Kündigung schreiben müsste), obwohl dem Arbeitnehmer die Kündigung am 01.09. dann doch tatsächlich zugegangen ist, oder kann man die Kündigung dann umdeuten und sagen, dass die Kündigung dann auf den nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt gerichtet ist (Kündigung zum 15.09.). Denn der Arbeitgeber hat die Erklärung ja auch nicht widerrufen und der Wille zu Kündigen tritt ja dennoch eindeutig hervor, sodass der Arbeitnehmer auch nicht mehr schutzbedürftig ist. Oder müsste dazu der Arbeitgeber in seine Kündigung beispielsweise reinschreiben: "hilfsweise Kündige ich zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt", damit die Kündigung "umgedeutet" werden kann? Vielen Dank!


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