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EU-Grundrechte
Verhältnis von Grundrechten des GG und Grundrechten der EU-GrCh ("Recht auf Vergessen I")
Verhältnis von Grundrechten des GG und Grundrechten der EU-GrCh ("Recht auf Vergessen I")
23. Mai 2025
17 Kommentare
4,8 ★ (21.822 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B begehrt vom S-Verlag, es zu unterlassen, über seine Straftat aus dem Jahr 1981 unter Nennung seines Nachnamens zu berichten. B wurde 2002 aus der Haft entlassen, die entsprechenden Berichte sind online weiterhin verfügbar. Vor den Fachgerichten bleibt B erfolglos.
Diesen Fall lösen 72,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Verhältnis von Grundrechten des GG und Grundrechten der EU-GrCh ("Recht auf Vergessen I")
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Neben den Grundrechten des Grundgesetzes findet stets auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) Anwendung.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der vorliegende Fall betrifft aufgrund des erkennbaren Bezugs zum europäischen Datenschutzrecht die „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh).
Ja!
3. Beurteilungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG) sind grundsätzlich die Grundrechte des Grundgesetzes.
Genau, so ist das!
4. Ob Fälle im Anwendungsbereich des Unionsrechts vom BVerfG trotzdem am Maßstab des GG geprüft werden, hängt davon ab, ob sie durch das Unionsrecht vollständig determiniert sind.
Ja, in der Tat!
5. Der Anwendbarkeit des GG als Prüfungsmaßstab des BVerfG im nicht vollständig determinierten Bereich steht jedoch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegen.
Nein!
6. Der vorliegende Fall ist vom BVerfG nach den Grundrechten des GG zu beurteilen.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Juri
14.9.2020, 17:18:54
Oben in der Antwort mal „KorrelaT“ statt „Korrelar“

Eigentum verpflichtet 🏔️
14.9.2020, 17:47:02
Hallo D, das BVerfG (Rn. 42 auf der Website) schreibt selbst "Korollar". Dabei handelt es sich um einen Satz, der aus einem bewiesenen Satz folgt bzw. von ihm abgeleitet wird.
Juri
12.1.2021, 15:42:50
Na da sieh an, spannend! Wieder was gelernt!
Melanie 🐝
13.9.2021, 17:12:26
Thema Verhältnis GrCH und Grundrechte bei Prüfung des BVerfG
waren Thema der Examensklausur 2021 im Herbst in Bawü

Lukas_Mengestu
14.10.2021, 10:32:05
Vielen Dank für den Hinweis, Melanie! Das wird direkt getagged :) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Flohm
7.7.2023, 11:56:50
Woran erkennt man, ob es sich um volldeterminiertes Recht handelt oder nicht?
GO
18.2.2024, 19:16:52
Hallo @Flohm, dies erkennt man daran, ob zb den Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der jeweiligen Richtlinie ein Ermessensspielraum eingeräumt wurde oder nicht. Also wenn die Mitgliedsstaaten die Richtlinie genau so in ihr einfaches Gesetz übernehmen ohne es zu "verändern" liegt ein vollständig determiniertes Recht vor.

Whale
10.6.2024, 11:56:49
Bedeutet eine Vollharmonisierung, sodass für den Mitgliedstaat kein Entscheidungsspielraum mehr besteht, auch eine vollständige Determinierung, sodass nur die GRCh angewandt (Anwendungsvorrang) werden darf?
Johannes99
10.6.2024, 19:10:28
Ja, bedeutet es. Ansonsten könnte das vollharmonisierende EU-Recht am Maßstab des Grundgesetzes überprüft werden, was im Hinblick auf den Anwendungsvorrang und dem effet utile problematisch wäre. Grundlegend zur Thematik sind auch die „
Recht auf Vergessen“-Entscheidungen des BVerfG

MenschlicherBriefkasten
11.12.2024, 10:31:43
Im Umkehrschluss dann: Nicht vollständig determiniert = teilharmonisiert?

Whale
10.6.2024, 11:58:23
Ich habe leider nicht verstanden, in welchen Fällen nun eine kumulative Anwendung der GRCh und der Grundrechte aus dem GG möglich ist :( alles etwas verwirrend
Lilyphant
17.7.2024, 12:53:12
Also, wenn ich das richtig verstanden habe, wendet das BVerfG grundsätzlich das GG an. Wenn jedoch ein Bereich des Unionsrechtes betroffen ist, findet auch die GR-Charta Anwendung. Ist der Bereich dabei dann vollständig vom Unionsrecht determiniert, findet NUR die GR-Charta Anwendung. Besteht weiterhin ein Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, sind die nationalen Grundrechte im Lichte der GR-Charta auszulegen.

Whale
17.7.2024, 12:57:18
Danke! Das ist echt eine gute Zusammenfassung! Ich frage mich nur wie diese "kumulative" Anwendung in der Klausur aussehen soll, falls Unionsrecht betroffen ist, der Bereich aber nicht vollständig
unionsrechtlich determiniertist.
Lilyphant
18.7.2024, 16:44:16
Nach dem ersten Gefühl würde ich wahrscheinlich im sachlichen Schutzbereich schreiben, dass die nationalen Grundrechte in einer solchen Konstellation anhand der unionsrechtlichen Grundrechte auszulegen sind und dann bei der Bestimmung des Schutzbereiches im Wege der Auslegung auch auf die GR-Charta verweisen. Dann bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Rahmen der Abwägung, wenn die Charta dort zur Argumentation herangezogen werden kann. Aber bisher ist es mir zum Glück erspart geblieben, so eine Klausur wirklich schreiben zu müssen, deshalb kann ich es nicht mit Sicherheit sagen.
okalinkk
15.4.2025, 01:22:35
@[Lilyphant](243009) das stimmt soweit ich weiß nicht ganz, dass im vollständig determinierten Bereich “NUR” die Grundrechtecharta anwendbar sei. Vielmehr ist dies zwar grds der Fall, jedoch bleiben die nationalen Rechte als Auffanggrundrechte ausnahmsweise anwendbar, wenn die GR Charta keinen ausreichenden Schutz bietet. Da die GRCh aber einen Grundrechtsschutz gewährleistet, der dem des GG im Wesentlichen gleich zu achten ist, ist die Ausnahme jedoch faktisch nie einschlägig
superrevisionsinstanz21
24.4.2025, 12:15:57
Wie wäre das in einer Klausur dann erkennbar? Würde dann auf das entsprechende Unionsrecht hingewiesen oder wird das Wissen erwartet?

Wendelin Neubert
24.4.2025, 16:53:20
Danke für Deine Frage @[superrevisionsinstanz21](211674), in der Klausur würde von Dir nicht erwartet werden zu wissen, ob eine bestimmte Regelung des Unionsrechts eine umfassende Harmonisierung beinhaltet oder nicht. Allenfalls müsstest Du – in einem gut gewählten Einzelfall – in der Klausur herausarbeiten, ob eine in der Klausur abgedruckte Norm eine umfassende Harmonisierung beinhaltet oder nicht. In der Klausur würde aller Voraussicht nach von Dir erwartet werden, die Maßstäbe sauber darzustellen und dann – auf Grundlage der im Sachverhalt verfügbaren Informationen – zu erläutern, warum hier noch die Grundrechte des GG anwendbar sind oder warum doch nur auf die Grundrechte der GRCh zurückgegriffen werden kann. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team