Gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn?


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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K ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem ein Reihenhaus steht. Vorne ist es an eine öffentliche Straße angebunden. Hinter dem Haus steht eine baurechtlich nicht genehmigte (und nicht genehmigungsfähige) Garage, die nur über einen seit Jahrzehnten genutzten Weg über das Grundstück des B erreichbar ist. Zudem nutzt K den Weg, um seine Mülltonnen - die nicht durch den Hausflur passen - zur Straße zu bringen. Im Grundbuch ist kein Wegerecht zugunsten des K eingetragen. B sperrt den Weg mit einem Tor.

Einordnung des Falls

Gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund jahrzehntelanger Duldung durch den Nachbarn?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Unterlassungsanspruch bzgl. der Sperrung des Weges, wenn ihm ein dingliches oder ähnliches Recht zur Nutzung des Grundstücks des B zusteht (§§ 1027, 1004 BGB).

Genau, so ist das!

Der Unterlassungsanspruch des K und eine entsprechende Duldungspflicht des B können sich aus §§ 1027, 1004 BGB ergeben. Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines Rechts des K, das durch B rechtswidrig beeinträchtigt wird. In Betracht kommt hier ein Wegerecht als eine Grunddienstbarkeit im Sinne der §§ 1018, 1027 BGB, mit dem das Grundstück des B belastet sein könnte. Als dingliches Recht setzt die Entstehung des Wegerechts grundsätzlich die dingliche Einigung und Eintragung ins Grundbuch voraus (Weber in: Staudinger, 2017, § 1018 RdNr. 18).

2. Ein Wegerecht kann sich auch aus Gewohnheitsrecht ergeben.

Ja, in der Tat!

In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass auch Wegerechte unter bestimmten Voraussetzungen gewohnheitsrechtlich entstehen können (RdNr. 7 und 9 mit Nennung weiterer Urteile). Gewohnheitsrecht entsteht nach der Rechtsprechung durch längere, tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Es enthält als ungeschriebenes Recht eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. Dabei muss Gewohnheitsrecht aber kein "Jedermann-Recht" sein; es gibt auch örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht (RdNr. 8f.).

3. Wegen der jahrzehntelangen Nutzung hat K ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht erworben.

Nein!

Gewohnheitsrecht entsteht nach der Rechtsprechung durch längere, tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Es enthält als ungeschriebenes Recht eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. BGH: Als eine dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle könne Gewohnheitsrecht nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf das konkrete Rechtsverhältnis zwischen K und B. Die Annahme eines solchen konkreten Gewohnheitsrechts führte zu einer nicht im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit; das sehe das BGB nicht vor (RdNr. 9ff.).

4. K hat gegen B einen Unterlassungsanspruch bzgl. der Sperrung des Weges, wenn ihm ein Notwegerecht zusteht (§ 917 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

§ 917 Abs. 1 BGB gestattet die Inanspruchnahme eines benachbarten Grundstücks als Notweg, wenn dem betreffenden Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Entsprechend dazu hat der Nachbar diese Benutzung zu dulden; einer Beeinträchtigung dieses Notwegrechts kann mit dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB begegnet werden. § 917 Abs. 1 BGB setzt eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage des Grundstücks voraus. Eine solche besteht nicht, wenn eine andere Verbindungsmöglichkeit ebenfalls die ordnungsgemäße Grundstücksbenutzung gewährleistet.

5. Der Weg über das Grundstück des B ist für eine ordnungsgemäße Nutzung des Grundstücks des K notwendig. K hat ein Notwegerecht.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Notweg muss für eine ordnungsmäßige Nutzung des Grundstücks des K erforderlich sein. BGH: Die Nutzung einer Garage, die baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung im Sinne von § 30 Abs. 2 BauGB auch nicht genehmigungsfähig ist, sei nicht ordnungsmäßig. Für die Erschließung genüge ein Notweg nach § 917 BGB nicht. Auch Nachteile aus dem Umstand, dass K die Mülltonnen durch das Wohnhaus hindurch zur Straße bringen müsste, könnten ein Notwegrecht nicht rechtfertigen - es sei K zumutbar, kleinere Mülltonnen zu beschaffen, die durch den Hausflur passen, um den Transport durch das Haus zur Straße zu ermöglichen (RdNr. 27ff.).

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JWL

JWL

21.4.2020, 15:23:44

Grüße, ließe sich eine Wegerecht oder allgemein gesprochen ein Nutzungsrechtt auch NUR schuldrechtlich vereinbaren? Im Palandt steht ja, dass Dienstbarkeit und schuldrechtlicher Nutzungsvertrag nebeneinander stehen.. Das würde dann natürlich keine dingliche Wirkung entfalten. Aber wäre dies möglich?

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

21.4.2020, 16:03:26

Hi, die Antwort ist Ja. Das geht ohne Weiteres - nur wird man das in der Regel wegen der rein schuldrechtlichen Wirkung (Inter partes!) nicht wollen. Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

JWL

JWL

21.4.2020, 16:15:35

Vielen Dank für die antwort. Aber wenn man sagt, dass ein schuldrechtliches Nutzungsrecht vereinbart werden kann und auch Wirkung entfaltet, wenn auch nur inter partes, dann könnte man doch auch sagen, dass vorliegend ein Nutzungsrecht schulrdrechtlich vereinbart wurde, zB konkludent. Dass der Eigentümer die Nutzung seines Grundstücks über Jahre hinweg duldet indiziert doch bei entsprechenden Vortrag des Klägers, dass ein Nutzungsrecht vereinbart wurde. Das soll sich jetzt gar nicht konkret auf den vorliegenden Fall beziehen, sondern ist eine eher allgemein gestellte Frage.

JWL

JWL

21.4.2020, 16:19:35

Wenn ein schuldrechtlich vereinbartes nutzungsrecht vorliegt, dann ließe sich der Eigentümer ja darauf verklagen, dass er die Nutzung dulden muss. Will man also nur ein Nutzugsrecht für sich und strebt gar kein Nutzungsrecht an, dass auch nach dem Verkauf des Grundstücks bestehen bleibt, wäre ein schuldrechtlicher Vertrag ja eine gute Alternative. Er würde eine ähnliche Wirkung entfalten und man würde sich die Kosten der EIntragung im GB sparen.

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

21.4.2020, 19:25:04

Eine konkludente Vereinbarung ist grundsätzlich zwar denkbar. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass bloßes Schweigen keinen Erklärungswert hat - man bräuchte also schon irgendein Erklärungszeichen. Das gab es in der hiesigen Fallkonstellation nicht. Und auch generell indiziert das bloße Dulden (zumindest in einer solchen Konstellation, es handelt sich ja nicht gerade um ein Geschäft des täglichen Lebens) kein Erklärungszeichen. Selbst wenn man dies so sähe - was ich kaum für vertretbar halte - müsste man im gleichen Zug mit einer konkludenten Kündigung durch das Sperren des Tores argumentieren. Gäbe es ein solches schuldrechtliches Nutzungsrecht, wäre natürlich eine klageweise Durchsetzung möglich.

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

21.4.2020, 19:25:23

Das schuldrechtliche Nutzungsrecht wäre also in der Tat eine Alternative. Es ist aber in vielen Fällen nicht gewollt: Die Dienstbarkeiten werden in der Praxis in aller Regel gem. § 1018 BGB als subjektiv-dingliche Dienstbarkeiten eingetragen (die also immer zugunsten des Eigentümers des benachbarten Grundstückes wirken). Denn es geht ja gerade darum, die Nutzbarkeit des herrschenden Grundstückes zu gewährleisten (hier hinsichtlich der Garage). Im Grunde kommt es bei der Ausgestaltung wohl auf die Ausgestaltung des Nutzungsrechts an. Geht es bspw. um einen Stellplatz für ein Auto, reicht ein schuldrechtliches Nutzungsrecht den Parteien vermutlich aus. Gerade bei Wegerechten wollen die Parteien aber häufig die Nutzbarkeit ihres Grundstückes (das beeinflusst auch den Wiederverkaufswert)

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

21.4.2020, 19:25:53

absichern. Hierfür ist die Grunddienstbarkeit besser geeignet, weil sie stets dem Eigentümer des herrschenden Grundstückes zusteht. Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

GEL

gelöscht

3.6.2020, 10:11:53

Meiner Meinung nach ist dies kein Fall des Schweigens dem kein Erklärungehalt zukommt. In dem Dulden liegt gerade Erklärungehalt. Vielmehr ist dies ein Problem des Rechtsbindungswillens. Da es für solche Nutzungsrechte jedoch die 1018 ff. bgb gibt und diese eine notarielle Beurkundung erfordern und man bei der Annahme eines schudrechtlichen Nutzungsrecht allein durch Duldung dieses Erfordernis umginge darf in einem solchen Fall kein Rechtsbindungswille angenommen werden

GEL

gelöscht

13.5.2020, 01:05:40

Hallo, was ist mit einer längeren tatsächlichen Übung gemeint und was bedeutet eine Vielzahl von Rechtsinduviduen?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.5.2020, 01:05:09

Damit ist eine abstrakt-generelle Regelung gemeint, dafur ist nötig, dass über einen längeren Zeitraum (Jahre), zwischen mehreren Personen, ein Zustand allgemein anerkannt ist. Ausreichend für die Bildung von Gewohnheitsrecht wäre demnach wohl eine Regelung zwischen den (alle) Bewohnern einer Gemeinde, nicht jedoch nur zwischen 2 Nachbarn. Das ist das wirklich neue an dem Urteil.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

10.9.2020, 11:36:46

Falls zur Zeit des Urteils das Auto noch im hinteren Grundstücksteil geparkt war, müsste m.E. aber zmd. eine einmalige Nutzung des Weges gestattet sein. I.G.z. Mülltonnen wäre der Neukauf eines Autos ja wohl gänzlich unzumutbar...

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

10.9.2020, 18:41:28

Hallo Lexderogans, sehen wir auch so. Möglicherweise könnte man das mit einer analogen, einmaligen Anwendung des § 917 BGB rechtfertigen, oder eventuell über §§ 904, 242 BGB.


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