+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Behörde B erteilt T eine Geeignetheitsbestätigung für das Aufstellen von Spielautomaten in seiner Imbissstube. T betrieb jedoch nie eine Imbissstube, sondern eine Tankstelle mit integriertem Bistrobereich. B hebt die Geeignetheitsbestätigung gem. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG auf.
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Einordnung des Falls
Keine Modifikation von Widerrufsgründen bei analoger Anwendung des § 49 Abs. 2 VwVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte
Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2022
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Sog. Geldspielgeräte dürfen gem. § 1 Abs. 1 Spielverordnung (SpielV) nur in bestimmten Räumlichkeiten aufgestellt werden.
Ja, in der Tat!
Richtig! Ein Spielgerät, bei dem der Gewinn in Geld besteht (sog. Geldspielgerät), darf nur in den gesetzlich geregelten Räumlichkeiten aufgestellt werden (§ 1 Abs. 1 SpielV). Dazu zählen Räume von Schank- oder Speisewirtschaften, Beherbergungsbetriebe, Spielhallen und Wettannahmestellen. Mit der Geeignetheitsbestätigung (§ 33c Abs. 3 S. 1 GewO) erteilte die zuständige
Behörde dem T die Bestätigung, seine „Imbissstube“ entspreche den Vorschriften der SpielV und sei damit als Aufstellungsort für Geldspielgeräte geeignet.
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2. Der Betrieb des T ist eine „Schank- und Speisewirtschaft“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV).
Nein!
Das Getränke- und Speiseangebot steht bei T nicht im Vordergrund, sondern wird lediglich als Nebenleistung zum Tankstellenbetrieb angeboten. In Betrieben, in denen die Verabreichung von Speisen und Getränken nur eine untergeordnete Rolle spielt, dürfen Geldspielgeräte nicht aufgestellt werden (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 SpielV). Mangels ausreichender baulicher Trennung ist der Bistrobereich auch nicht als eigenständige Schank- und Speisewirtschaft anzusehen.
3. Die Geeignetheitsbestätigung war von Anfang an rechtswidrig, da der Betrieb des T nie für die Aufstellung von Geldspielgeräten geeignet war.
Genau, so ist das!
Der Betrieb des T wurde von Anfang an unverändert als Tankstelle mit integriertem Bistrobereich betrieben. Die Beschaffenheit der Räumlichkeiten genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 SpielV; Geldspielgeräte hätten dort nie aufgestellt werden dürfen. Mithin war die Geeignetheitsbestätigung (§ 33c Abs. 3 S. 1 GewO) von Anfang an rechtswidrig.
4. Verwaltungsakte können – vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen – nach Maßgabe der §§ 48ff. VwVfG nachträglich ganz oder teilweise aufgehoben werden.
Ja, in der Tat!
Die grundsätzliche Bindungswirkung von Verwaltungsakten wird durch die Bestimmungen der §§ 48ff. VwVfG begrenzt, die es der Verwaltung erlauben, einen VA nachträglich aufzuheben. Welche Anforderungen eine Aufhebung erfüllen muss, richtet sich in erster Linie danach, ob sie einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen VA zum Gegenstand hat: Die Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte wird als Rücknahme bezeichnet (§ 48 VwVfG), die Aufhebung rechtmäßiger Verwaltungsakte als Widerruf (§ 49 VwVfG).
5. Rechtmäßige Verwaltungsakte (§ 49 VwVfG) sind solche, die zur Zeit ihres Erlasses – also von Anfang an – rechtmäßig waren.
Ja!
BVerwG: Rechtmäßige Verwaltungsakte (§ 49 VwVfG) sind solche, die ursprünglich rechtmäßig waren (RdNr. 13). Es ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses abzustellen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Widerrufstatbeständen, die an nachträglich eingetretene Tatsachen bzw. geänderte Rechtsvorschriften anknüpfen (§ 49 Abs. 2 Nrn. 3, 4 VwVfG). Umgekehrt gilt die Rücknahme (§ 48 VwVfG) nur für ursprünglich rechtswidrige Verwaltungsakte; ein nachträgliches „rechtswidrig werden“ genügt nicht.
6. Die Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte kann auch auf § 49 VwVfG analog gestützt werden.
Genau, so ist das!
BVerwG: Es sei anerkannt, dass § 49 VwVfG auf ursprünglich rechtswidrige Verwaltungsakte entsprechend angewendet werden kann, wenn die übrigen Widerrufsvoraussetzungen gegeben sind. Dies folge aus einem „Erst-recht-Schluss“ : Wenn und soweit schon rechtmäßige Verwaltungsakte aufgehoben werden dürfen, muss dies erst recht für rechtswidrige Verwaltungsakte gelten. Die Analogie überbrücke jedoch nur das Fehlen der ursprünglichen Rechtmäßigkeit; die Widerrufsvoraussetzungen dürfen nicht übergangen werden (RdNr. 14f.).
7. Die analoge Anwendung des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte ist denklogisch ausgeschlossen, da diese nicht durch spätere Tatsachen rechtswidrig werden können.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerwG: Dies sei nicht denklogisch ausgeschlossen: „Nachträgliche Änderungen der Sachlage können nämlich dazu führen, dass Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen entfallen, die bei Erlass des – bereits aus anderen Gründen rechtswidrigen – Verwaltungsakts noch vorlagen“. Gemeint seien also nachträgliche Tatsachen, derentwegen die
Behörde auch unabhängig von den ursprünglichen Mängeln des VA berechtigt wäre, diesen nicht zu erlassen (RdNr. 15; a.A. OVG Münster in der Vorinstanz).
8. Die Widerrufsvoraussetzungen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG liegen vor.
Nein!
BVerwG: Die Geeignetheitsbestätigung war von Anfang an rechtswidrig; die Betriebsstätte erfüllte zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Aufstellung von Geldspielautomaten (§ 1 Abs. 1 SpielV). Eine nachträgliche Änderung der für den Erlass des VA erheblichen Sachlage – wie es der Widerrufsgrund voraussetzt – sei hier nicht ersichtlich. Insbesondere eine Gleichbehandlung nachträglicher Sachverhaltsänderungen und nachträglicher Kenntnis vom Sachverhalt sei abzulehnen. Die subjektive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit sei keine „Tatsache“ in diesem Sinne und berechtige nur zur Rücknahme nach § 48 VwVfG (RdNr. 18, 20ff.).
9. Die Aufhebung der Geeignetheitsbestätigung des T konnte nicht auf § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG gestützt werden.
Genau, so ist das!
BVerwG: Die
Behörde hätte § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG nur anwenden dürfen, wenn dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorgelegen hätten. Auch eine Erstreckung dieses Widerrufsgrunds auf alle Fälle ursprünglicher und fortdauernder materieller Rechtswidrigkeit überschreite die Grenzen zulässiger Analogie. Die fortdauernde ursprüngliche Rechtswidrigkeit sei der klassische Fall der Rücknahme (§ 48 VwVfG), sodass schon keine planwidrige Regelungslücke bestehe. Andernfalls würde zudem der speziell für die Aufhebung rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte geltende Vertrauensschutz (§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4 VwVfG) verkürzt (RdNr. 16f.).
10. Wählt die Behörde eine falsche Rechtsgrundlage für einen VA, kann sie vom Gericht im Prozess durch eine andere Rechtsgrundlage ausgetauscht werden.
Ja, in der Tat!
Sollte sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausstellen, dass die von der
Behörde angeführte Ermächtigungsgrundlage den VA nicht trägt, dieser aber auf eine andere Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann, kann grundsätzlich ein Austausch der Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht stattfinden. Denn das Gericht hat alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, ob sie von der
Behörde angeführt worden sind oder nicht (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO). Wird dabei allerdings der VA in seinem Wesen verändert, ist ein Austausch nicht möglich und eine förmliche Umdeutung (§ 47 VwVfG) erforderlich.
11. Eine Umdeutung eines Widerrufs (§ 49 VwVfG) in eine Rücknahme (§ 48 VwVfG) ist ausgeschlossen.
Nein!
Bei der Umdeutung (§ 47 VwVfG) wird ein fehlerhafter
Verwaltungsakt in einen fehlerfreien anderen V umgewandelt, an die
Behörde bei Erlass nicht gedacht hat, dessen Voraussetzungen jedoch zugleich vorliegen. Die Umdeutung eines Widerrufs in eine Rücknahme ist grundsätzlich möglich, da beide auf dasselbe Ziel – die Aufhebung eines VA – gerichtet sind. Insbesondere sei die Umdeutung laut BVerwG auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässig (RdNr. 23f.).
12. Eine Umdeutung ist zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 47 VwVfG vorliegen.
Genau, so ist das!
Richtig, danach muss der andere
Verwaltungsakt, in den umgedeutet wird, auf das gleiche Ziel gerichtet sein und dessen formelle und materielle Voraussetzungen müssen erfüllt sein (Abs. 1). Der andere VA darf der erkennbaren Absicht der
Behörde nicht widersprechen, für den Betroffenen nicht ungünstiger sein als der fehlerhafte VA und tatsächlich rücknehmbar sein (Abs. 2). Schließlich darf eine gebundene Entscheidung nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs. 3) und der Betroffene muss vor der Umdeutung grundsätzlich angehört werden (Abs. 4).
13. Die Voraussetzungen der Umdeutung (§ 47 VwVfG) liegen hier vor.
Ja, in der Tat!
BVerwG: Insbesondere hätte die Rücknahme von der
Behörde auch in der gleichen Verfahrensweise und in der gleichen Form verfügt werden können. Auch die angestellten Ermessenserwägungen seien auf die Rücknahme übertragbar und die Rücknahme entspreche der Absicht der
Behörde, rechtmäßige Zustände herbeizuführen. Da die Voraussetzungen der Umdeutung vorliegen, lässt das BVerwG offen, ob Widerruf und Rücknahme so wesensverschieden sind, dass eine Umdeutung nötig wird oder ob der bloße Austausch der Ermächtigungsgrundlage ausreichend gewesen wäre (RdNr. 23, 25ff.).
14. Die Aufhebung der Geeignetheitsbestätigung hat somit als Rücknahme (§ 48 VwVfG) Bestand und ist rechtmäßig.
Ja!
Richtig – die Aufhebung der Geeignetheitsbestätigung kann in zulässiger Weise auf § 48 VwVfG und nicht auf die von der
Behörde angegebene Ermächtigungsgrundlage gestützt werden. Die Aufhebung ist rechtmäßig, denn der Betrieb des T war nie als Aufstellungsort (§ 1 Abs. 1 SpielV) geeignet. Die Geldspielgeräte muss T somit entfernen.
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