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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eigentümer E vermietet eine Wohnung in seinem Haus an F, die dort mit ihrem Ehemann M lebt. M stürzt nach Schneefall auf dem nicht geräumten Teil des öffentlichen Gehwegs (Behandlungskosten: 5.000 €). Die Räum- und Streupflicht hat die Stadt München nicht auf E übertragen.

Einordnung des Falls

Räum- und Streupflichten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E ist aus dem Mietvertrag verpflichtet, F und M einen gefahrlosen Zugang zur Mietsache zu gewähren (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB). Diese Pflicht hat er verletzt, indem er es unterlassen hat, den Gehweg vor der Straße zu räumen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermieter hat die Pflicht, dem Mieter und in den Schutzbereich einbezogenen Dritten den Zugang zur Mietsache zu gewähren. Der öffentliche Gehweg wäre davon nur umfasst, wenn die Gemeinde dem E die Räum- und Streupflicht übertragen hätte. BGH: Die Räum- und Streupflicht des Eigentümers erstrecke sich nur unter besonderen Umständen in den öffentlichen Verkehrskreis hinein, etwa beim Zugang zum Grundstück, wenn eine Straße noch nicht erschlossen ist. Solche Umstände lägen hier nicht vor (RdNr. 20ff.).

2. M ist nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ("VSD") in den Mietvertrag zwischen E und F einbezogen.

Ja, in der Tat!

M und E haben keinen eigenen Vertrag geschlossen. M ist aber nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in das Vertragsverhältnis zwischen E und F einbezogen (vgl. Grüneberg, in: Palandt, 78. A., § 328 RdNr. 13ff.): (1) Angehörige der F kommen bestimmungsgemäß mit der Leistung (hier dem Haus) in Berührung (Leistungsnähe). (2) Angehörige der F sollen typischerweise durch den Vertrag geschützt werden, weil M ein Interesse daran hat (Gläubigernähe). (3) Für E ist erkennbar, dass F mit Familienangehörigen lebt (Erkennbarkeit). (4) Eigene gleichwertige Ansprüche (also vertragliche, wegen der Beweislastumkehr aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB) Ansprüche des M gegen E bestehen nicht (Schutzbedürftigkeit).

3. Wenn die Stadt München die Räum- und Streupflicht auf E übertragen hätte, wäre E verpflichtet gewesen, den Gehweg zu jeder Zeit völlig frei von Schnee zu halten.

Nein!

Verkehrssicherungspflichten erfordern die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar (BGH NJW 2007, 762, RdNr. 11).BGH: Bei Gehwegen reiche es in der Regel aus, einen Streifen von 1 bis 1,20 m zu räumen (anders ggf. besonders frequentierte Orte wie Haltestellen und Bahnhöfe). Ein Fußgänger müsse im Einzelfall auch eine kurze Distanz auf einem nicht geräumten Teil des Gehwegs zurücklegen. Lasse er hierbei nicht die von ihm zu verlangende Sorgfalt walten, verwirkliche sich sein allgemeines Lebensrisiko (BGH, RdNr. 28).

4. Räum- und Streupflichten können auch eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB auslösen.

Genau, so ist das!

Räum- und Streupflichten fallen unter die Verkehrspflichten. Die wichtigsten Fallgruppen sind (1) Herrschaft über eine Gefahrenquelle, (2) Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit und (3) vorangegangenes gefährliches Tun (im strafrechtlichen Duktus auch Ingerenz), siehe dazu (Sprau, in: Palandt, 78. A., § 823 RdNr. 45ff.). Das Unterlassen der Erfüllung von Verkehrspflichten kann eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB auslösen. Die Rechtswidrigkeit ist immer ausdrücklich festzustellen!Vorliegend liegen die Voraussetzungen aber nicht vor, weil E nicht zum Räumen verpflichtet ist und damit nicht die Herrschaft über die Gefahrenquelle innehat.

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ZAV

Zavviny

19.9.2020, 15:27:43

Es hätte noch der prima facie Beweis behandelt werden können

Blackpanther

Blackpanther

24.3.2022, 12:01:16

Warum hat der BGH in diesem Fall einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angenommen, aber beispielsweise im Fall mit dem Fußgitter abgelehnt? In letztem wurde ausgeführt, dass ein VSD nur zugunsten der Mitbewohner des Mieters bejaht werden könne, da sonst das Hafungsrisiko des Vermieters ausufern würde. Wenn ich es richtig verstanden habe, war M hier, wenn auch Ehemann der F nur Besucher und eben kein Mitbewohner, weshalb der Mietvertrag - folgt man dem Fußgitter-Fall - für ihn keine Schutzwirkung entfaltet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.3.2022, 16:57:19

Vielen Dank für den Hinweis, Blackpanther. Das war hier in der Tat missverständlich. Der BGH und die Vorinstanz haben auf die enge Verbindung der E und des M abgestellt (im Originalfall waren sie zum Zeitpunkt des Unfalls noch Lebensgefährten). Ob M in der Wohnung gelebt hat, geht aus den Sachverhalten der beiden Entscheidungen nicht hervor, da sich diese zT auf die unveröffentliche Entscheidung der Ausgangsinstanz bezogen. Das Zusammenleben liegt indes nahe, weswegen wir hier den Sachverhalt noch einmal entsprechend angepasst haben. Denn in der Tat sind Gäste, auch wenn es sich dabei um enge Freunde/Familienmitglieder handelt, nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht in den Mietvertrag über den VSD einbezogen. Vielmehr hat der BGH die Ausdehnung der Haftung des Vermieters an das Zusammenleben und das Bestehen der Hausgemeinschaft geknüpft (vgl. bereits BGH NJW 1951, 596). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

GNU

Gnu

17.2.2023, 12:09:40

Wenn E zum räumen und streuen verpflichtet wäre, könnte er diese Pflicht dann (Formular-)vertraglich auf den Mieter abwälzen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

17.2.2023, 18:15:44

Hallo Gnu, der Vermieter kann die Räum- und Streupflicht im Mietvertrag auf den Mieter übertragen oder auch in einer Hausordnung regeln, auf die der Mietvetrag verweist. Sind mehrere Mieter eines Objekts vorhanden, kann er die Pflicht aber nicht formularmäßig lediglich einem Mieter auferlegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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