Zivilrechtliche Nebengebiete
Erbrecht
Gewillkürte Erbfolge
Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)
Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Erblasser E hatte seinen letzten Willen vor einigen Jahren vor dem Notar N erklärt. Als Alleinerben hatte er nur seinen Sohn S bestimmt und die Tochter T enterbt. Kurz vor seinem Tod, entnimmt E das Testament aus der amtlichen Verwahrung, um es seinem Sohn zu zeigen. Er wollte seinem Sohn dadurch lediglich seine Stellung als Alleinerbe beweisen.
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Einordnung des Falls
Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Erklärung des letzten Willens gegenüber dem Notar stellt ein öffentliches Testament dar.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat E das Testament durch die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung widerrufen?
Ja, in der Tat!
3. Kann S (!) den Widerruf des Testaments wegen eines Inhaltsirrtums nach § 2078 Abs. 1 BGB anfechten?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
aviva
25.2.2023, 13:59:15
Gilt das trotz der Belehrung nach § 2256 I 2? Dann handelte er doch in Kenntnis der Rechtsfolge.
se.si.sc
25.2.2023, 18:28:54
Gute Frage! Zunächst können wir festhalten, dass die Belehrung nach § 2256 I 2 BGB "nur" eine Soll-Vorschrift ist. Die entsprechende Belehrung muss daher nicht zwingend erfolgen und kann daher auch nicht konstitutiv für die Wirkungen der Rückgabe nach Abs. 1 S. 1 sein. Anders gewendet liegt also bei Rückgabe auch dann ein Widerruf vor, wenn der Erblasser das Testament zurück erhält und nicht über die damit verbundenen Folgen nach Abs. 1 S. 2 belehrt wurde (Grüneberg, § 2
346 Rn. 1) Ob nun vor diesem Hintergrund der Widerruf vom Erblasser mit der Begründung angefochten werden kann, er habe die Folgen der Rückgabe nicht erkannt, ist umstritten und hängt auch von den Umständen des Falls ab. Jedenfalls dann, wenn die Belehrung tatsächlich erfolgt ist, dürfte es gut vertretbar sein, die
Anfechtbarkeitabzulehnen (so ein gewichtiger TdL, Nachweise zB bei MüKo-BGB, § 2256 Rn. 16). Die Rspr. ist hier tendenziell weniger restriktiv und möchte die Anfechtung selbst bei vorhergehender Belehrung zumindest als "nicht von vorneherein und regelmäßig nicht ohne nähere Prüfung aus[geschlossen]" ansehen (so wörtlich OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.12.2015 – I-3 Wx 285/14). Zumindest das OLG Düsseldorf will hier den rechtsunkundigen Erblasser in gewissem Umfang schützen und zumindest eine Hintertür offen lassen, wohl auch vor dem Hintergrund des bei Testamenten so wichtigen § 133 BGB. Ich persönlich halte das zumindest für den Fall für wenig überzeugend, in dem wir eine klare und unmissverständliche Belehrung nach § 2356 I 2 BGB haben, das kann man aber natürlich anders sehen. In unserem Fall auf jurafuchs steht von einer Belehrung allerdings nichts. Ob das nun heißt, dass sie nicht erfolgt ist, oder wir vielmehr vom gesetzlichen "soll-Fall" ausgehen müssen, dass sie doch erfolgt ist, lässt sich abstrakt kaum beantworten. Im Klausurfall dürfte hier aber sicherlich vieles vertretbar sein, sofern das Problem überhaupt erkannt wird.
aviva
26.2.2023, 20:55:00
Dankeschön!
Rubinho
10.11.2023, 22:34:44
Eine Anfechtung scheitert hier doch schon daran, dass der E als Erblasser nicht Anfechtungsberechtigter iSd § 2080 ist.
Dogu
29.12.2023, 19:04:53
Vorliegend hat der Erblasser ja nicht einmal eine Vorstellung davon, dass die Herausnahme aus der Verwahrung überhaupt eine Erklärung darstellt. Ist das daher nicht eher ein Erklärungs- als ein
Inhaltsirrtum? Denn wenn die Kontrollfrage ist, dass der Erklärende nicht weiß, was er sagt, muss das doch erst recht gelten, wenn der Erklärende überhaupt nicht weiß, dass er etwas sagt und lediglich von einem Realakt ohne Rechtsfolgen ausgeht.
Sebastian Schmitt
21.12.2024, 10:07:38
Hallo @[Dogu](137074), die Quellen in der Lit, die dazu explizit etwas sagen, sehen hier wohl einen
Inhaltsirrtum(so zB Kössinger/Najdecki/Zintl, Hdb der Testamentsgestaltung, 7. Aufl 2024, § 16 Rn 16) oder sogar einen beachtlichen
Motivirrtum(Staudinger/Baumann, BGB, Neubearb 2022, § 2256 Rn 39; Musielak, ZEV 2016, 353, 357). Von einem
Erklärungsirrtumhabe ich insoweit bei meiner spontanen Recherche nichts gelesen. Die Abgrenzung zwischen Inhalts- und
Erklärungsirrtumist natürlich nie 100 %-ig trennscharf. ME hat unser Fall allerdings zumindest mit den typischen Fällen des
Erklärungsirrtums (versprechen, verschreiben, vergreifen) wenig zu tun. Dein erst-recht-Schluss hat durchaus etwas für sich. Andererseits geht es hier um eine Fehlvorstellung über die zwingenden rechtlichen Folgen des eigenen Verhaltens, nämlich die Fiktion des § 2256 I 1 BGB - also um einen
Rechtsfolgenirrtum, ein typisches Beispiel für einen
Inhaltsirrtum. Der Streit ist ohnehin ohne praktische Relevanz, weil sowohl Inhalts- als auch
Erklärungsirrtumvon § 2078 I BGB erfasst werden - vermutlich findet man deshalb auch nicht gerade viele Stellungnahmen dazu. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Joseph
7.3.2024, 17:41:32
§ 2078 I setzt die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung voraus. Zwar erfolgt der Widerruf nach § 2254 und § 2258 durch letztwillige Verfügung (§ 1937), mir erschließt sich jedoch noch nicht ganz, ob man den § 2078 I dann direkt oder nur analog auf den Widerruf nach § 2256 (oder auch zB § 2255) beziehen kann ... den meines Erachtens nach handelt es sich bei diesen beiden "Widerrufsverfahren" ja nicht um letztwillige Verfügungen ...
Matschegenga
7.5.2024, 14:48:41
Ich schließe mich der Frage an
MikeBizon
29.6.2024, 02:32:27
Da hier anscheinend nicht so gern moderiert wird, habe ich mal kurz recherchiert: „Die Rücknahme des Testaments ist ihrem Wesen nach ein Rechtsgeschäft und im Hinblick auf die damit verbundene Widerrufswirkung eine Verfügung von Todes wegen. Sie ist daher nach § 2078 BGB […] anfechtbar“ (BayObLGZ 1960, 490, 494)
Kai
14.12.2024, 10:02:02
Wenn bei der Testamentsanfechtung eigentlich die gesetzliche Erbfolge eintritt - wie verhält es sich dann bei einem Testament, dass ein früheres widerruft und zugleich selbst Verfügungen trifft? Wenn ein Widerruf und die Errichtung eines neuen Testaments am gleichen Fehler leiden und deswegen angefochten werden kann, müsste dies doch auch dazu führen, dass das vorherige Testament wieder auflebt, oder? Sonst wäre ja der gewillkürte Erbe aus dem ersten Testament zulasten der gesetzlichen Erben benachteiligt, obwohl der Erblasser ihn eigentlich (ohne den Irrtum) bedacht hätte.