Zivilrechtliche Nebengebiete

Erbrecht

Gewillkürte Erbfolge

Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)

Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Erblasser E hatte seinen letzten Willen vor einigen Jahren vor dem Notar N erklärt. Als Alleinerben hatte er nur seinen Sohn S bestimmt und die Tochter T enterbt. Kurz vor seinem Tod, entnimmt E das Testament aus der amtlichen Verwahrung, um es seinem Sohn zu zeigen. Er wollte seinem Sohn dadurch lediglich seine Stellung als Alleinerbe beweisen.

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Einordnung des Falls

Anfechtung von Testamenten - Anfechtung Widerruf (Fall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Erklärung des letzten Willens gegenüber dem Notar stellt ein öffentliches Testament dar.

Genau, so ist das!

Nach § 2232 S. 1 BGB kann ein öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars durch Erklärung des letzten Willens gegenüber dem Notar oder durch Übergabe einer Schrift mit der Erklärung, dass diese Schrift denletzten Willen enthalte, errichtet werden. Durch die Erklärung des letzten Willens gegenüber N hat E somit ein Testament errichtet.
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2. Hat E das Testament durch die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung widerrufen?

Ja, in der Tat!

Gemäß § 2256 Abs. 1 BGB gilt ein vor dem Notar errichtetes Testament als widerrufen, wenn die in amtliche Verwahrung genommene Urkunde dem Erblasser zurückgegeben wird. Durch die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung hat E das Testament somit wirksam widerrufen.

3. Kann S (!) den Widerruf des Testaments wegen eines Inhaltsirrtums nach § 2078 Abs. 1 BGB anfechten?

Ja!

Auch ein Widerruf des Testaments kann nach Maßgabe des § 2078 BGB angefochten werden. Gemäß § 2078 Abs. 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser über ihren Inhalt irrte oder eine Erklärung dieses Inhalts gar nicht abgegeben wollte. Rechtsfolgenirrtümer gelten als Unterfall des Inhaltsirrtums, wenn sich der Erklärende über die wesentlichen Rechtsfolgen und die Rechtsnatur eines Rechtsgeschäfts irrt. Die Anfechtungsberechtigung richtet sich nach § 2080 BGB E wollte seinem Sohn das Testament durch die Rücknahme lediglich zeigen und es gerade nicht widerrufen. Er irrt sich somit über die rechtliche Bedeutung und die Rechtsnatur seiner Handlung, sodass ein Rechtsfolgenirrtum vorliegt. S kann den Widerruf daher anfechten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AV

aviva

25.2.2023, 13:59:15

Gilt das trotz der Belehrung nach § 2256 I 2? Dann handelte er doch in Kenntnis der Rechtsfolge.

SE.

se.si.sc

25.2.2023, 18:28:54

Gute Frage! Zunächst können wir festhalten, dass die Belehrung nach § 2256 I 2 BGB "nur" eine Soll-Vorschrift ist. Die entsprechende Belehrung muss daher nicht zwingend erfolgen und kann daher auch nicht konstitutiv für die Wirkungen der Rückgabe nach Abs. 1 S. 1 sein. Anders gewendet liegt also bei Rückgabe auch dann ein Widerruf vor, wenn der Erblasser das

Testament

zurück erhält und nicht über die damit verbundenen Folgen nach Abs. 1 S. 2 belehrt wurde (Grüneberg, § 2346 Rn. 1) Ob nun vor diesem Hintergrund der Widerruf vom Erblasser mit der Begründung angefochten werden kann, er habe die Folgen der Rückgabe nicht erkannt, ist umstritten und hängt auch von den Umständen des Falls ab. Jedenfalls dann, wenn die Belehrung tatsächlich erfolgt ist, dürfte es gut vertretbar sein, die

Anfechtbarkeit

abzulehnen (so ein gewichtiger TdL, Nachweise zB bei MüKo-BGB, § 2256 Rn. 16). Die Rspr. ist hier tendenziell weniger restriktiv und möchte die Anfechtung selbst bei vorhergehender Belehrung zumindest als "nicht von vorneherein und regelmäßig nicht ohne nähere Prüfung aus[geschlossen]" ansehen (so wörtlich OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.12.2015 – I-3 Wx 285/14). Zumindest das OLG Düsseldorf will hier den rechtsunkundigen Erblasser in gewissem Umfang schützen und zumindest eine Hintertür offen lassen, wohl auch vor dem Hintergrund des bei

Testament

en so wichtigen § 133 BGB. Ich persönlich halte das zumindest für den Fall für wenig überzeugend, in dem wir eine klare und unmissverständliche Belehrung nach § 2356 I 2 BGB haben, das kann man aber natürlich anders sehen. In unserem Fall auf jurafuchs steht von einer Belehrung allerdings nichts. Ob das nun heißt, dass sie nicht erfolgt ist, oder wir vielmehr vom gesetzlichen "soll-Fall" ausgehen müssen, dass sie doch erfolgt ist, lässt sich abstrakt kaum beantworten. Im Klausurfall dürfte hier aber sicherlich vieles vertretbar sein, sofern das Problem überhaupt erkannt wird.

AV

aviva

26.2.2023, 20:55:00

Dankeschön!

RUBI

Rubinho

10.11.2023, 22:34:44

Eine Anfechtung scheitert hier doch schon daran, dass der E als Erblasser nicht Anfechtungsberechtigter iSd § 2080 ist.

Dogu

Dogu

29.12.2023, 19:04:53

Vorliegend hat der Erblasser ja nicht einmal eine Vorstellung davon, dass die Herausnahme aus der Verwahrung überhaupt eine Erklärung darstellt. Ist das daher nicht eher ein Erklärungs- als ein Inhaltsirrtum? Denn wenn die Kontrollfrage ist, dass der Erklärende nicht weiß, was er sagt, muss das doch erst recht gelten, wenn der Erklärende überhaupt nicht weiß, dass er etwas sagt und lediglich von einem

Realakt

ohne Rechtsfolgen ausgeht.

JO

Joseph

7.3.2024, 17:41:32

§ 2078 I setzt die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung voraus. Zwar erfolgt der Widerruf nach § 2254 und § 2258 durch letztwillige Verfügung (§ 1937), mir erschließt sich jedoch noch nicht ganz, ob man den § 2078 I dann direkt oder nur analog auf den Widerruf nach § 2256 (oder auch zB § 2255) beziehen kann ... den meines Erachtens nach handelt es sich bei diesen beiden "Widerrufsverfahren" ja nicht um letztwillige Verfügungen ...

MAT

Matschegenga

7.5.2024, 14:48:41

Ich schließe mich der Frage an

MI

MikeBizon

29.6.2024, 02:32:27

Da hier anscheinend nicht so gern moderiert wird, habe ich mal kurz recherchiert: „Die Rücknahme des

Testament

s ist ihrem Wesen nach ein Rechtsgeschäft und im Hinblick auf die damit verbundene Widerrufswirkung eine Verfügung von Todes wegen. Sie ist daher nach § 2078 BGB […] anfechtbar“ (BayObLGZ 1960, 490, 494)


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