Öffentliches Recht
Grundrechte
Körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG)
Zwangsernährung in staatlichen Anstalten
Zwangsernährung in staatlichen Anstalten
3. Juli 2025
15 Kommentare
4,7 ★ (31.037 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
X sitzt im Gefängnis. Er ist vor zwei Tagen in den Hungerstreik gegen seine Haftbedingungen getreten, nimmt aber Flüssigkeit zu sich. Der Gefängniswärter G wurde damit beauftragt, X gegen dessen Willen zu ernähren. G fragt sich, ob er damit die Grundrechte des X verletzen würde.
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Einordnung des Falls
Zwangsernährung in staatlichen Anstalten
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der sachliche Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) ist eröffnet.
Genau, so ist das!
2. Durch den Hungerstreik könnte X sterben. Er hat ein Recht auf Suizid.
Ja, in der Tat!
3. Aus der Schutzpflicht des Staates ergibt sich eine Pflicht zur Zwangsernährung.
Nein!
4. Die Zwangsernährung stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar.
Genau, so ist das!
5. G handelt gerechtfertigt, wenn er den X zwangsernährt.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🦊LEXDEROGANS
15.4.2020, 19:17:04
Würde die Theorie, die beim ärztlichen Heileingriff §
223 StGBbereits tatbestandlich verneint, die Eröffnung von bzw. den Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG gar verneinen (vorausgesetzt die Ernährung wird intravenös durch einen Amtsarzt vorgenommen)? Hilfsweise kommt ja nach wie vor Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht...
Stefan Thomas Neuhöfer
15.4.2020, 20:51:17
Hi, das ist ein interessantes Gedankenspiel. Ich würde vermuten, dass die Vertreter der strafrechtlichen Theorie dazu keine Meinung haben. Grund: Das eine ist ein strafrechtlicher Streit (rein im Rahmen des §
223 StGB), das andere eine verfassungsrechtliche Frage. Es liegt also nahe, dass die Strafrechtler für diese Sonderkonstellation die Folgen schlicht nicht bedacht haben. Man kann das als Argument gegen die strafrechtliche Theorie sehen, wenn man möchte 😉 Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan
Melanie 🐝
28.8.2021, 12:57:11
Eine kleine sprachliche Anmerkung: Es muss eigentlich korrekterweise "Selbsttötung" und nicht "Selbstmord" heißen. Zudem sollte man den Begriff des "Freitods" vermeiden, weil dieser impliziert, dass der Tod zur Freiheit führen würde und bereits sogar durch Literatur zu Nachahmungseffekten aufgrund der scheinbar eher positiven Assoziation geführt hat. Darauf hat unser Prof immer so Wert gelegt 🤓

Hannah B.
31.8.2021, 13:05:23
Hallo, Melanie! Vielen Dank für deinen Hinweis. Wir haben den Fall entsprechend angepasst. Liebe Grüße Hannah - für das Jurafuchs-Team

G0d0fMischief
8.8.2024, 11:24:16
Ergibt sich aus § 101 I 2 StVollzG das die Vollzugs
behördesolange nicht eingreifen darf, wie davon auszugehen ist, dass der Hungerstreik unter die freie Willensbestimmung des Häftlings fällt?
Viooola
9.12.2024, 22:10:26
Könnte der Gefängniswärter theoretisch nicht auch über Flüssignahrungsmittel den Insassen ernähren (bspw. YFood o.ä.) Dann wäre ja keine Infusion nötig und damit auch kein physischer Eingriff gegeben oder?
julius.frotscher
25.12.2024, 11:34:40
Unter der Voraussetzung, dass der Insasse mitmachen würde unproblematisch, jedoch ist fraglich ob dieser etwas anderes als Wasser freiwillig zu sich nehmen würde.
linya
12.2.2025, 13:55:35
Hi :) vielleicht habe ich hier einen Denkfehler oder habe es mir falsch gemerkt, aber ich dachte, dass sich ein
Recht auf Selbsttötungaus der Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG ergibt und nicht aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG iVm. Art. 1 I S. 1 GG ?
moonknight
29.5.2025, 20:11:41
dachte ich auch, weil es in einer Aufgabe zu Art. 2 II 1 Var. 1 auch so erwähnt war.. würde mich auch um eine Antwort freuen :)
Moo
8.6.2025, 19:10:39
O-Ton aus Brückenspringerfall: Ein
Recht auf Suizidist nach der überwiegenden Ansicht gleichwohl über die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt.

cSchmitt
14.6.2025, 13:34:07
Hierzu aus Huber/Voßkuhle | GG Art. 2 Rn. 437 (sinnwahrend zusammengefasst - nicht wörtlich): Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung das Verhältnis zwischen der
Schutzpflicht des Staateszum Schutz des Lebens und der Selbstbestimmtheit des Einzelnen - welche seine Basis in Art. 1 Abs. 1 GG und seinen besonderen Ausdruck in Art. 2 Abs. 1 GG findet - in Richtung der Selbstbestimmtheit des Einzelnen verschoben. Wörtlich: „In der Entscheidung hat das Gericht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Teilelement des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt, das sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen erstrecken soll, sein Leben eigenhändig zu beenden.“ Hier die Entscheidung des BVerfG: BVerfG Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 ua, BVerfGE 153, 182 Rn. 208 ff. | abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html