Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2022
Gutgläubigen Erwerb eines Autos bei gefälschtem Fahrzeugbrief
Gutgläubigen Erwerb eines Autos bei gefälschtem Fahrzeugbrief
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K erwirbt von V einen Volvo. V hatte diesen von Eigentümerin E geliehen. K und V vereinbaren, dass V dem K die Zulassungsbescheinigung Teil II später zuschickt. Ob sich K eine (gefälschte) Bescheinigung bei Erwerb hat vorlegen lassen, ist unaufklärbar. K verlangt von E die Herausgabe der echten Bescheinigung.
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Einordnung des Falls
Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein gutgläubiger Erwerb bei gefälschtem Fahrzeugbrief möglich sei. Durch seinen Vortrag ist der Käufer seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen. Die vorherige Eigentümerin kann nicht die Bösgläubigkeit (§ 932 II BGB) des Käufers beweisen, sodass er gutgläubig Eigentum am Volvo (§§ 929 S. 1, 932 BGB) und analog § 952 BGB auch an der Zulassungsbescheinigung erlangt hat. Deren Besitzerin ist die vorherige Eigentümerin, die gegenüber dem Käufer kein Besitzrecht hat, sodass die Voraussetzungen von § 985 BGB erfüllt sind und ein Anspruch demnach besteht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist Anspruchsgrundlage für den Herausgabeanspruch des K gegen E § 952 BGB?
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte K gegen E einen Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung II aus § 985 BGB haben?
Ja, in der Tat!
3. Ist K Eigentümer der Zulassungsbescheinigung Teil II, wenn er Eigentum am Volvo erworben hat?
Ja!
4. Hat K nach § 929 S. 1 BGB Eigentum an dem Volvo erlangt?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Könnte K nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB Eigentum am Volvo erlangt haben?
Ja, in der Tat!
6. Muss K beweisen, dass er bei Erwerb des Autos gutgläubig hinsichtlich der Berechtigung der V war?
Nein!
7. Handelt, wer sich bei Erwerb eines Kfz die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorlegen lässt, in der Regel grob fahrlässig im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB?
Genau, so ist das!
8. Muss K deshalb zumindest beweisen, dass er sich bei Erwerb des Volvos die Zulassungsbescheinigung Teil II hat vorlegen lassen?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Muss, obwohl der Prozessgegner darlegungs- und beweisbelastet ist, die nichtbeweisbelastete Partei im Zivilprozess unter bestimmten Voraussetzungen dennoch zur streitigen Tatsache vortragen?
Ja!
10. Muss, weil die E beweisbelastet ist, sich K zur streitigen Tatsache der (Nicht-)Vorlage der Bescheinigung bei Erwerb des Volvos gar nicht äußern?
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Hat K gegen E einen Anspruch auf Herausgabe der originalen Zulassungsbescheinigung Teil II, wenn K im Prozess vorträgt, ihm sei eine (täuschend echte) Zulassungsbescheinigung vorgelegt worden und E nicht das Gegenteil beweisen kann?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Edward Hopper
6.3.2023, 20:35:12
Ergebnis ist doch klar, wie will man auch was beweisen was nicht stattgefunden hat. Negative Umstände lassen sich schwer nachweisen.
Lukas_Mengestu
7.3.2023, 13:09:42
Hallo Edward, in der Tat hat die ursprüngliche Eigentümerin hier einen schweren Stand. Umso wichtiger ist hier, die Frage der Beweislastverteilung sauber zu klären, denn wie häufig in Zivilverfahren hängt daran der Ausgang des Prozesses. Geht man unbedarft mit dem Grundsatz an die Tatsache heran, dass jeder die für ihn günstigen Tatsachen darlegen und beweisen muss, könnte man hier leicht auf den Gedanken kommen, dass K die Vorlage der Zulassungsbescheinigung zu beweisen hätte. Deswegen eignet sich die Entscheidung schön, um noch einmal klarzustellen, dass nicht der Erwerber seine Gutgläubigkeit beweisen muss, sondern, aufgrund der negativen Formulierung in §
932Abs. 2 BGB, derjenige, der den Eigentumserwerb bestreitet (idR der Eigentümer) die Bösgläubigkeit darlegen und ggfs. beweisen muss. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Christopher
12.4.2023, 08:27:31
Hallo Jurafuchsrudel, in der Vertiefung am Anfang gibt ihr an dass die Formulierung „es sei denn“ zur
Beweislastumkehrauch bei § 1 II HGB und § 287 BGB vorkommt. Aber muss nicht der „Kaufmann“ da beweisen, dass kein eingerichteter Gewerbebetrieb erforderlich ist ?? Gleiche beim Verzugsschuldner. Also ist doch da
Beweislastumkehrandersrum oder? Vielen Dank im Voraus
se.si.sc
12.4.2023, 09:40:44
Zunächst mal: Ich nehme an, dass der Vertiefungshinweis in der Aufgabe allgemein dazu dient, ein Gespür für Beweislastverschiebungen und die recht häufigen "[...], es sei denn [...]"-Formulierungen im Zivilrecht zu vermitteln. Hin zu welcher der Parteien sich die Darlegungs- und Beweislast jetzt gerade verschiebt, spielt deshalb meines Erachtens keine Rolle. Inhaltlich hast du am Beispiel von § 1 II HGB richtig erkannt, dass die Norm das Vorliegen eines Handelsgewerbes vermutet, wenn ein Gewerbebetrieb vorliegt. Wer diese Vermutung widerlegen möchte (in aller Regel der "angebliche" Kaufmann, der sonst den strengeren Regeln des HGB unterworfen wird), kann dies tun, indem er darlegt und beweist, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Vergleichbare gilt für § 287 S 2 BGB. Hier wird es in aller Regel der Schuldner sein, der nicht für zufällige Schäden haften möchte. Er muss dann darlegen und beweisen, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde.
Christopher
12.4.2023, 09:45:47
Danke für die Antwort. Dass Vertiefungshinweis allgemein gedacht war, war mir auch bewusst. Allerdings kann verbunden mit dem Fall, wo es ja gerade andersherum ist, der Eindruck entstehen, dass die Beispiele in der Vertiefung genauso gehandhabt werden. Das wollte ich nur nochmal zur Sicherheit wissen.
se.si.sc
12.4.2023, 14:39:44
Dann verstehe ich ehrlich gesagt nicht, was du mit "andersherum" meinst. Vielleicht kannst du das noch mal näher ausführen, also was soll zB konkret bei § 1 II HGB anders als bei §
932 BGBsein?
Christopher
12.4.2023, 15:00:58
Na hier muss der K bei §
932I 1 nicht selber seine Gutgläubigkeit beweisen. Bzw dass er nicht bösgläubig war. Bei § 1 II HGB muss derjenige aber doch selber beweisen bzw die Vermutung selber aktiv widerlegen, dass ein eingerichteter Gewerbebetrieb nicht erforderlich ist oder hab ich n Knoten in meinen Gedanken? :)
se.si.sc
12.4.2023, 15:36:47
OK, ich glaube ich ahne, wo du den Unterschied siehst. Ich verstehe allerdings nach wie vor nicht, was dir diese Differenzierung bringt bzw in welche verschiedenen "Gruppen" du jetzt diese verschiedenen Vermutungen einteilen willst. Die "es sei denn-"Vermutungen können eben in beide Richtungen gehen, mal verlagern sie die Last auf den Anspruchsteller, mal auf den
Anspruchsgegner. Und sogar bei derselben Regelung kann es mal der Anspruchsteller und mal der
Anspruchsgegnersein, je nachdem, wie wir die Fälle stricken (Autofall/§
932II BGB: E will Bescheinigung heraus --> Last beim
Anspruchsgegner; E will Auto heraus --> Last beim Anspruchsteller). Viel wichtiger ist mE, dass die Darlegungs- und Beweislast abstrakt derjenige trägt, der sich auf die entsprechende Rechtsfolge beruft, plastischer: Jeder muss die für ihn günstigen Tatsachen darlegen und beweisen. Ob das jetzt gerade der Kaufmann, der Schuldner im Verzug, der (schützenswerte!) Erwerber oder sonstwer ist, spielt doch eigentlich nicht wirklich eine Rolle?
Christopher
12.4.2023, 16:26:36
Es ging mir nur um den Nebensatz „es sei denn“ und dass dieser Ausdruck einer Vermutungsregel nicht immer in die gleiche Richtung geht. Man KÖNNTE ja denken, dass der Erwerber/Schuldner/Kaufmann/etc bei dieser Formulierung immer selber die Vermutung aktiv widerlegen muss. Das ist aber bei
932II eben nicht der Fall; im Gegensatz zu § 1 II HGB und 287 BGB. Dass Vermutungsregeln mal so mal so sein können, darüber müssen wir nicht diskutieren. Es ging mir um die Formulierung. Und manch einer könnte dann denken, dass dann auch der Gläubiger bei 287 BGB beweisen muss, dass der Schaden nicht auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre oder dass derjenige der sich auf die Kaufmannseigenschaft seines Vertragspartners bzw. Gegner beruft selber beweisen muss dass er einen eingerichteten Gewerbebetrieb braucht. Macht aber da kein Sinn oder. Also wie du siehst: Gleiche Formulierung „es sei denn“ aber unterschiedliche Folgen.
Raphaeljura
15.4.2023, 10:59:37
Würde das auch zutreffen, wenn jemand ein Auto vom Autohändler zur Probe fährt und dann verschwindet und mittels einer Zulassungsbescheinigung Fälschung das Auto verkauft? Das Auto ist ja nicht abhanden gekommen, oder ?
aylin.
17.12.2023, 23:29:45
Hätte auf den ersten Blick auch 935 abgelehnt, aber
Abhandenkommensetzt einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Nach Beendigung der vereinbarten Probezeit, stellt die unbefugte weitere Nutzung die Vorenthaltung des Besitzes dar, oder?
Kind als Schaden
5.4.2024, 18:37:22
Tatsächlich liegt in den Fällen der Probefahrt ein freiwilliger Besitzverlust vor, da es ja (in 99% der Fällen) möglich gewesen wäre als Beifahrer mitzufahren.
SabrinaAusBerlin
22.5.2024, 10:08:55
Auch zur Problematik des Besitzverlustes bei Probefahrten: BGH, Urteil vom 18.9.2020 – V ZR 8/19 1.Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ist nicht
Besitzdienerdes Verkäufers. 2.Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer (hier eine Stunde) ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust. 3.Wird das Fahrzeug in einem solchen Fall nicht zurückgegeben, liegt daher kein
Abhandenkommenim Sinne des § 935 BGB vor. Lektüre der Entscheidung lohnt sich mE.
Marcel13
18.10.2024, 14:44:11
Mir wird aus der Aufgabe nicht ganz klar, welche Funktion der §952, bzw.
952 BGBanalog genau hat. Er ist ja anscheinend kein
Herausgabeanspruch, denn es wird einmal der
Herausgabeanspruchan der KfZ Bescheinigung nach §985 geprüft und inzident der §985 hinsichtlich des Fahrzeugs. Wo genau ist der §952 analog unterzubringen, wenn nicht als Anspruchsgrundlage für die KfZ Bescheinigung?
Tim
23.10.2024, 09:16:47
Die analoge Anwendung des
§ 952 BGBdient hier dazu, die Prüfung eines etwaigen
Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB auf das KFZ überzuleiten und nicht bei der Prüfung der Zulassungsbescheinigung „stehen zu bleiben“. Ansonsten würde man in diesem Fall schon mangels Übergabe der Zulassungsbescheinigung zu dem Ergebnis kommen, dass kein Eigentum nach §§ 929,
932erworben wurde und somit kein
Herausgabeanspruchnach § 985 besteht. Dieses Ergebnis kann durch die analoge Anwendung des § 952 dahingehend korrigiert werden, dass auf den Vorgang der Eigentumsübertragung des Autos abgestellt werden kann (Das Recht an dem Papier, folgt dem Recht aus dem Papier). Hier erfolgte die Übergabe des Autos, die fehlende Verfügungsberichtigung des Veräußerers kann dann durch die Regelungen zum gutgläubigen Erwerb überwunden werden. Die Anspruchsgrundlage bleibt jedoch dieselbe (§ 985).
Sebastian Schmitt
24.10.2024, 09:23:25
Hallo @[Marcel13](8452), @Tim hat Deine Frage schon gut beantwortet. Mangels Übergabe konnte K an der Zulassungsbescheinigung II noch kein Eigentum erwerben, ein dahingehender
Herausgabeanspruchaus § 985 BGB würde also scheitern.
§ 952 BGB(analog) verknüpft nun das eigentumsrechtliche Schicksal der Bescheinigung mit dem Schicksal des Autos:
Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier. Hier also: Das Eigentum an der Bescheinigung folgt dem Eigentum am Fahrzeug. Demzufolge prüfen wir anschließend, ob K Eigentümer des Pkw geworden ist - woraus sich dann letztlich eben auch das Eigentum an der Bescheinigung ergibt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team