Entfernung aus Beamtenverhältnis wegen verfassungsfeindlicher Tätowierung


mittel

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Berliner Polizeichef C erhält vom Verfassungsschutz Informationen, dass der Polizeikommissar P Verbindungen zu Rechtsextremen unterhält. Der Verdacht führt zu Untersuchungen, in deren Verlauf an P's Körper Tattoos entdeckt werden, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sein könnten.

Einordnung des Falls

Entfernung aus Beamtenverhältnis wegen verfassungsfeindlicher Tätowierung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. C will P aus dem Dienst entfernen. Als Beamter kann P nur mithilfe einer Disziplinarklage aus dem Dienst entfernt werden, §§ 13, 34 DiszG.

Ja, in der Tat!

Beamte auf Lebenszeit können nicht einfach gekündigt werden. Gem. § 13 Abs. 2 DiszG ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Disziplinarmaßnahmen setzen allerdings ein konkretes Dienstvergehen voraus (RdNr. 20). Als Vergehen kommen hier (1) das Haben von Tattoos und die Tatsache, dass diese (2) Tattoos Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sein könnten, in Betracht.

2. Die Grundrechte des P spielen keine Rolle, weil P als Polizist zum Staat in einem besonderen Gewaltverhältnis steht.

Nein!

Für sog. Sonderstatusverhältnisse war die Geltung der Grundrechte historisch begrenzt oder gar ausgeschlossen (Schüler (Art. 7 GG), Soldaten/Zivildienstleistende (Art. 12a, 17a GG), Beamte/Richter (Art. 33 Abs. 5 GG). Diese Auffassung hat sich spätestens mit der Strafgefangenenentscheidung des BVerfG überholt. BVerwG: "Grundrechte gelten auch im Beamtenverhältnis" (RdNr. 38). Auch P gegenüber sind demgemäß Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheitspositionen rechtfertigungsbedürftig.

3. Indem P's Tätowierung als Dienstvergehen behandelt werden, wird in P's Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) eingegriffen.

Genau, so ist das!

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gewährleistet zum einen die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne, einschließlich der Integrität der Körpersphäre. Über den Wortlaut hinaus garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch das psychisch-seelische Wohlbefinden. Ein Eingriff ist jede Beeinträchtigung der vom Schutzbereich umrissenen Freiheitsausübung.Die Entfernung von Tätowierungen wäre eine intensive Maßnahme in die Gesundheit der Haut und damit des Körpers. Angesichts der Schmerzen bei einer etwaigen Entfernung würde auch das seelische Wohlbefinden beeinträchtigt.

4. Indem P's Tätowierung als Dienstvergehen behandelt werden, wird in P's allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR), Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen.

Ja, in der Tat!

Das APR aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG schützt den autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem jeder Mensch die Möglichkeit zur persönlichen Lebensführung sowie Entwicklung und Wahrung seiner persönlichen Individualität erhalten soll. Indem P's Tattoos als Dienstvergehen behandelt werden, wird er in der Ausübung seiner Persönlichkeit eingeschränkt. Das APR enthält einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Somit kann eine Beschränkung durch jede Rechtsnorm, auch Verordnungen und Dienstvorschriften erfolgen. Die Beschränkung müsste allerdings ihrerseits den Maßstäben des Bestimmtheitsgebots und des Wesentlichkeitsgrundsatzes genügen.

5. Die Reglementierung zulässiger Tattoos von Beamten ergibt sich in Berlin aus § 74 BBG bzw. § 70 BlnBG, die den Erlass von Bestimmungen über die "Dienstkleidung" zum Gegenstand haben.

Nein!

Die Normen haben ihrem Wortlaut nach erkennbar keine Tätowierungen zum Regelungsgegenstand. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Hinweis, dass dabei an Tattoos gedacht worden sein könnte (RdNr. 45). Die genannten Normen genügen für die Regelung (un)zulässiger Tattoos damit nicht dem Bestimmtheitsgebot. Daneben fordert das Wesentlichkeitsprinzip, dass der Gesetzgeber die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Bereiche selbst regelt. Die Dienstkleidung ist Zeichen, dass die Individualität des Polizisten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Wann darunter nicht sichtbare Tattoos dies unmöglich machen, ist vom Parlament zu entscheiden (RdNr. 47f.).

6. Durch das bloße Haben von Tätowierungen verletzt P eine ihm wirksam auferlegte Pflicht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Soll Polizeibeamten das Tragen von Tätowierungen verboten werden, muss der Gesetzgeber diese Regelungen selbst treffen und kann sie nicht der Verwaltung überlassen (RdNr. 47f., 51f.). In Betracht käme aber ein Verstoß des P gegen verfassungsimmanente Pflichten, indem die Tattoos die Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen zeigen. In der Folge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes wurde zumindest für Bundesbeamte eine entsprechende Regelung durch das "Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften" vom 28.06.2021 geschaffen (§ 61 BBG).

7. Beamte sind zur Verfassungstreue verpflichtet. Diese Treuepflicht gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, Art. 33 Abs. 5 GG.

Ja, in der Tat!

Beamtinnen und Beamte haben die Pflicht, sich durch ihr gesamtes Verhalten (inner- und außerdienstlich) zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Beamte verletzen durch das Haben oder die bloße Mitteilung einer Überzeugung (noch) nicht ihre Pflicht zur Verfassungstreue. Dies ist erst der Fall, wenn sie aus der politischen Überzeugung Folgerungen für die Einstellung gegenüber der verfassungsgemäßen Ordnung der BRD, für die Art der Erfüllung der Dienstpflichten, für den Umgang mit Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne ihrer Überzeugung ziehen.

8. Tätowierungen können nur dann eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG darstellen, wenn sie nachweislich strafbar sind.

Nein!

In Betracht käme eine Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB. P konnte in den vorherigen Strafverfahren jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er seine Tätowierungen in Deutschland gezeigt hat. Mangels Inlandsbezugs entfiel damit eine Strafbarkeit. Das BVerwG stellt klar: "Die Verfassungstreuepflicht endet nicht an der Staatsgrenze." (RdNr. 76). Eine Treuepflichtverletzung kann grundsätzlich schon vor der Strafbarkeitsgrenze entstehen (RdNr. 84). Jedoch ist wegen der darin liegenden Einschränkung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1GG) eine Pflichtverletzung von besonderem Gewicht erforderlich, die den Ausgleich von Verfassungstreue und Meinungsfreiheit verhältnismäßig erscheinen lässt (RdNr. 31).

9. Die Tätowierungen des P an Körperstellen, die im Dienst nicht zu sehen sind, erschöpfen sich im "bloßen Haben von Überzeugungen".

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: Die Treueverpflichtung des Beamten auf die Verfassungsordnung sei ein personenbezogenes Eignungsmerkmal und betreffe das dienstliche wie das außerdienstliche Verhalten des Beamten gleichermaßen (RdNr. 85). Die Tattoos seien - unter Berücksichtigung von P's sonstigem außerdienstlichem Verhalten - eindeutig eine Verherrlichung des Nationalsozialismus. Durch das Einschreiben dieser Gesinnung in die Haut dokumentiere er die dauerhafte Abkehr von der Verfassungsordnung (RdNr. 26). Die Tattoos seien eine gelebte Identifizierung mit dem Nationalsozialismus.

10. Obwohl es keine konkreten Beanstandungen der Dienstausübung des P gegeben hat, ist die Schwere der Vertrauensverletzung derart, dass P aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden kann.

Ja, in der Tat!

Durch die Disziplinarmaßnahme der Dienstentfernung wird nicht P's innere Haltung, sondern sein äußeres Handeln sanktioniert. BVerwG: "Ein Beamter, der sich öffentlich als Anhänger des Nationalsozialismus zu erkennen gibt, widerspricht dem Vorstellungsbild des auf die Verfassungsordnung des Grundgesetzes verpflichteten Beamten in diametraler Weise. Er ist verpflichtet, bereits dem Anschein einer Wiederbelebung nationalsozialistischer Tendenzen entgegenzutreten und hat den Gebrauch entsprechend assoziierungsgeeigneter Symbole und Verhaltensweisen zu unterlassen" (RdNr. 86).

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