Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Der Verwaltungsakt

Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts

Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts

11. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A demonstriert in Berlin für die Umsetzung eines Volksentscheids. A schwenkt eine Fahne, die weder Menschen gefährdet noch den Verkehr blockiert. Polizist P spricht – nach erfolgter Anhörung – gegenüber A die Sicherstellung der Fahne nach § 38 ASOG Bln aus.

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Einordnung des Falls

Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zunächst müsste P aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage gehandelt haben. Ist die Sicherstellung ist aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ergangen?

Ja!

Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ergangen ist und im übrigen formell und materiell rechtmäßig ist. Als Ermächtigungsgrundlage kommt hier die jeweils einschlägige landespolizeirechtliche Rechtsgrundlage für die Sicherstellung in Betracht (hier: § 38 ASOG Bln; vgl. auch § 26 NPOG, Art. 25 PAG, § 43 PolG NRW). An der Rechtmäßigkeit dieser Vorschriften bestehen keine Zweifel. Eine Ermächtigungsgrundlage ist rechtmäßig, wenn sie mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Sollte dies in der Klausur einmal ausführlicher zu thematisieren sein, wirst Du dazu entsprechende Hinweise im Sachverhalt finden.
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2. Die Sicherstellung müsste zudem formell rechtmäßig gewesen sein.

Genau, so ist das!

Aus der Ermächtigungsgrundlage ergeben sich häufig spezielle formelle Regelungen für den Erlass des Verwaltungsakts. Prüfe erst das speziellere Gesetz, bevor Du auf die allgemeinen Regeln des VwVfG abstellst. Der Verwaltungsakt muss formell rechtmäßig ergangen sein. Formell rechtmäßig ist ein Verwaltungsakt, wenn er die anwendbaren Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften einhält. Im Rahmen des Verfahrens ist vor allem an die Anhörung (§ 28 VwVfG) zu denken. Die allgemeinen Formvorschriften ergeben sich aus §§ 37, 39 VwVfG. Die Zuständigkeit der Polizei ergibt sich aus den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen. Der Verwaltungsakt konnte mündlich ergehen (§ 37 Abs. 2 S. 1 Var. 3 VwVfG). P hat A vor Erlass der Sicherstellung angehört (§ 28 Abs. 1 VwVfG). Eine Anhörung wäre hier wohl nicht nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG entbehrlich gewesen: Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass P – nach einer objektiven ex-ante-Beurteilung – ein sofortiges Handeln für notwendig halten durfte.

3. Die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts setzt zunächst voraus, dass der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt ist. Ist der Tatbestand der Sicherstellung (§ 38 ASOG Bln) hier erfüllt?

Nein, das trifft nicht zu!

Materiell rechtmäßig ist ein Verwaltungsakt, wenn er mit dem materiellen Recht vereinbar ist. Dafür müssen die materiellen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sein. Das bedeutet, dass der Tatbestand der Norm erfüllt ist und die Behörde die richtige Rechtsfolge angeordnet hat. Die Sicherstellung setzt tatbestandlich eine gegenwärtige Gefahr voraus. Das Schwenken der Fahne begründet keine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 38 Nr. 1 ASOG Bln. Auch die anderen Tatbestandsalternativen kommen nicht in Betracht. Damit ist schon der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage nicht erfüllt. In der Praxis wäre die Prüfung an dieser Stelle zu Ende. In der Klausur musst Du häufig laut Aufgabenstellung – hilfsgutachterlich – weiterprüfen.

4. Auf Rechtsfolgenseite prüfst Du immer, ob die Behörde ihr Ermessen richtig ausgeübt hat.

Nein!

Die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts setzt voraus, dass der (1) Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage vorliegt und die Behörde (2) die richtige Rechtsfolge gewählt hat. Im Rahmen der Rechtsfolge muss danach unterschieden werden, ob es sich um eine gebundene Entscheidung („Der Verwaltungsakt ist zu erlassen.“) oder eine Ermessensentscheidung („Die Behörde kann / darf / ist befugt (…)“) handelt. Liegt eine gebundene Entscheidung vor, kommt es nur darauf an, ob die Behörde die vorgesehene Rechtsfolge vorgenommen hat. Bei Ermessensentscheidung ist das Handeln der Behörde nur auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. § 114 VwGO). Achte immer genau darauf, welche Entscheidungsform vorliegt und stelle dies entsprechend in Deinem Obersatz klar! Die aufgeworfenen Themen dienen hier nur dem ersten Überblick. Wir vertiefen dies an anderer Stelle.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PKA

Philip Karbus

14.2.2024, 21:39:11

Wenn eine Gefährdung in der materiellen Prüfung verneint wird, mangelt es dann nicht schon zuvor an der formellen Rechtmäßigkeit des VA, da mangels Gefährungslage die Anhörung gerade nicht entbehrlich gewesen wäre? Oder liegt das im Ermessen der

Behörde

( nach § 28 II Alt. 1 VwVfg "kann" von Anhörung abgesehen werden, wenn sie im öffentlichen Interesse "notwendig" erscheint), sodass hier für die formelle Zulässigkeit hier ausreicht, dass eine Notwendigkeit im öffentlichen Interesse nicht schlechthin ausgeschlossen erscheint?

STE

Stella2244

19.8.2024, 11:52:47

Gute Frage

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

4.9.2024, 13:56:23

Hallo in die Runde, danke für die gute Nachfrage! Nach § 28 Abs. 2 VwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist. Sogleich erfolgt eine Auflistung an Regelbeispielen von Fällen, in denen dies der Fall ist. So ist eine Anhörung entbehrlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen

Gefahr im Verzug

oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Bei beiden Alternativen der Nr. 1 muss eine sofortige Entscheidung „notwendig erscheinen“. Dieser Begriff unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Maßgeblich ist die objektive Beurteilung aus einer ex-ante-Sicht. Das heißt: Durfte die

Behörde

in dem Moment der Maßnahme ein sofortiges Einschreiten für notwendig halten? Dies ist der Fall, wenn ein besonnener Durchschnittsbeamter aufgrund der Umstände des Einzelfalls annehmen durfte, dass ein weiteres Zuwarten den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Hierfür müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Eine nur theoretische, nicht durch konkrete tatsächliche Hinweise belegte Möglichkeit, dass ein weiteres Abwarten den Zweck der Maßnahme gefährdet hätte, reicht hier nicht aus. Gerade wegen der Bedeutung der Anhörung zum Schutz der Rechte des Adressaten einer belastenden Maßnahme, sollten die Ausnahmefälle des § 28 Abs. 2 VwVfG eher restriktiv angenommen werden. Vgl. hierzu z.B. Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff/Mayen, 10. Aufl. 2022, VwVfG § 28 Rn. 51 ff., beck-online. In diesem Fall hätte man daher in der Tat bereits die formelle Rechtmäßigkeit verneinen können, da der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein besonnener durchschnittlicher Polizist anstelle des P (im Sinne einer objektiven ex-ante Betrachtung) ein sofortiges Einschreiten für notwendig halten durfte. Ich habe den Sachverhalt jetzt entsprechend angepasst und die Beurteilung in einem Vertiefungshinweis aufgenommen. Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Sassun

Sassun

29.10.2024, 10:09:19

s.o.


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