Wertstoffsammelstelle in der Nähe einer Eigentumswohnung – Sachmangel?


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K besichtigt eine Neubauwohnung des B. Währenddessen errichtet die Stadtverwaltung unter Einhaltung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften gegenüber der Wohnung eine Abfallcontaineranlage. K kauft die Wohnung. Nach dem Einzug verlangt K wegen der Umweltemissionen der Containeranlage (z.B. Lärm durch Überschreitung der Einwurfzeiten) von B Schadenersatz.

Einordnung des Falls

Wertstoffsammelstelle in der Nähe einer Eigentumswohnung – Sachmangel?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen (§§ 437 Nr. 3, 434, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB).

Ja!

Die Kaufmängelgewährleistungsrechte setzen zunächst einen wirksamen Kaufvertrag sowie einen Sachmangel bei Gefahrübergang voraus (§§ 433 Abs. 1 Satz 2, 434 BGB). Betrifft der Mangel die Kaufsache und ist die Nacherfüllung unmöglich, so richtet sich die Erstattung im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit nach dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 434, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB. Ein wirksamer Kaufvertrag besteht. In Bezug auf Bau- und Planungsleistungen, worauf Werkvertragsrecht anzuwenden wäre, liegen keine Mängel vor. K und B streiten allerdings darum, ob sich ein Mangel aus den Umweltemissionen der Containeranlage ergibt.

2. Aufgrund der Containeranlage hat die Wohnung nicht die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. / § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zum 1.1.2022 wurde § 434 BGB neu gefasst, ohne dass sich hierdurch inhaltliche Änderungen ergeben.Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt insbesondere vor, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss die Eigenschaften der verkauften Sache in bestimmter Weise umschreibt. Die Annahme einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung kommt dabei nicht "im Zweifel", sondern nur in eindeutigen Fällen in Betracht. Der Verkäufer muss dafür zu erkennen geben, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen. Die Beschreibung der Eigenschaften des Grundstücks oder Gebäudes durch B vor Vertragsschluss (z.B. durch ein Verkaufsexposé) muss sich bei formbedürftigen Verträgen wie dem notariellen Grundstückskaufvertrag (§ 311b BGB) im Vertrag niederschlagen. In Bezug auf das Fehlen oder Vorhandensein einer Wertstoffsammelstelle haben K und B keine Vereinbarung getroffen (RdNr. 57, 53).

3. Aufgrund der Containeranlage eignet sich die Wohnung nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB a.F. / § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB n.F.).

Nein, das trifft nicht zu!

Vertraglich vorausgesetzt ist die nicht vereinbarte, aber beiderseits unterstellte konkrete Verwendung der Kaufsache, die von der gewöhnlichen Verwendung abweichen kann. Um die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung zu bestimmen, ist auf den Vertragsinhalt und dessen Gesamtumstände abzustellen. K und B werden stillschweigend vorausgesetzt haben, dass sich die Wohnung zum Wohnen als Lebensmittelpunkt eignet. Dies ist bei der Neubauwohnung gegeben.

4. Trotz Containeranlage ist die Eigentumswohnung für die gewöhnliche Verwendung geeignet (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 BGB a.F. / § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.).

Ja!

Maßstab zur Bestimmung der gewöhnliche Verwendung ist die Verkehrsauffassung, also die objektiv berechtigte Käufererwartung. OLG: Die gewöhnliche Verwendung einer Eigentumswohnung sei das Bewohnen. Sofern sich weder aus dem Kaufvertrag noch den Begleitumständen Hinweise auf eine anderweitige Zweckbestimmung ergäben, müsse sich die Wohnung vorrangig für den Wohnzweck von Menschen eignen. Bei K`s Wohnung ist die Bewohnbarkeit grundsätzlich gegeben (RdNr. 56).

5. Trotz Containeranlage weist die Eigentumswohnung die übliche Beschaffenheit auf (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 BGB a.F. / § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB n.F.).

Genau, so ist das!

Parallel zur Eignung für die gewöhnlichen Verwendung richtet sich die übliche Beschaffenheit nach der Verkehrsauffassung, der objektiv berechtigten Käufererwartung. Zur Orientierung dient die Beschaffenheit gleichartiger Sachen. Der objektive Durchschnittskäufer einer Wohnung muss damit rechnen, dass das Wohnobjekt Umwelteinflüssen wie Geräuschemissionen und optischen Beeinträchtigungen durch eine Containeranlage ausgesetzt ist (RdNr. 58).

6. Der Rechtsgedanke des § 906 BGB besagt, dass unwesentliche umweltbedingte Beeinträchtigungen hinzunehmen sind.

Ja, in der Tat!

OLG: In Bezug auf von einem Grundstück ausgehende, nachbarrechtliche Einwirkungen entfalte der Rechtsgedanke des § 906 BGB Ausstrahlungswirkung, dies gelte erst Recht auch zwischen Kaufvertragsparteien. Umweltbedingte Beeinträchtigungen wie Lärmemissionen seien solange hinzunehmen, bis die Nutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt sei. Maßstab ist das Empfinden eines verständigen und daher auch andere öffentliche und private Belange berücksichtigenden Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks. Das subjektive Empfinden des Gestörten bleibe unerheblich (RdNr. 63f.).

7. Die von der Containeranlage verursachten Umwelteinflüsse (Splitterfelder, Lärmemissionen, Überfüllung) sind wesentliche Beeinträchtigungen.

Nein!

OLG: Die teilweise regelwidrige Nutzung liege im Rahmen des Unvermeidbaren und sei als sozialadäquat hinzunehmen. Ökologisch sinnvolle Abfallentsorgung gehöre zum urbanen Leben und müsse gesichert sein. Diene eine Anlage - wie hier - einem besonders hoch zu bewertenden öffentlichen Zweck, dessen Nutznießer auch K selbst ist, liege die Schwelle der Zumutbarkeit höher, als bei auf eine private Betätigung zurückzuführenden Geräuschen und Gerüchen (RdNr. 65ff.). Im Ergebnis weist die Wohnung obgleich der Wertstoffsammelstelle die übliche Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 BGB a.F. / § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB n.F.) auf. Ein Sachmangel liegt nicht vor.

8. Vor dem Vertragsschluss hat B es unterlassen, K auf den Bau der Wertstoffanlage hinzuweisen. K hat gegen B einen Schadenersatzanspruch wegen Verstoß einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht (§§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Um das Verschweigen einer Tatsache als Pflichtverletzung einzuordnen, müsste der Vertragspartner redlich - nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung - die Information mit der Tatsache erwarten dürfen. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Informationsgefälles zu Lasten des Vertragspartners . OLG: Der Bau von Containern sei eine öffentlich zugängliche Information. Nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung müsse sich K selbst die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko beschaffen (RdNr. 80 ff.).

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LEE

Lee

17.9.2021, 18:34:21

Wieso ist die Anspruchsgrundlage nicht 280 I, III, 283 BGB?Der Verkäufer kann den behaupteten Mangel schließlich nicht beseitigen? Es wird doch Schadenersatz statt der Leistung verlangt und nicht Schadenersatz neben der Leistung.

BIE

Bienenschwarmverfolger

18.9.2021, 13:01:58

Das OLG hat tatsächlich nur 280 I geprüft. Ich stimme dir aber zu, dass 280 I, III, 283 hier mehr Sinn ergeben.

VIC

Victor

19.9.2021, 11:10:48

Aber er will doch Schadensersatz neben und nicht statt der Leistung. Zudem geht ja dann der 2. Teil auch auf eine

anfängliche Unmöglichkeit

ein.

BIE

Bienenschwarmverfolger

19.9.2021, 13:36:24

Ich denke schon, dass K hier „kleinen“ Schadensersatz statt der Leistung verlangt (also nicht Schadensersatz statt der ganzen Leistung). Die Kontrollfrage lautet ja: Würde der bereits entstandene Schaden durch eine hypothetisch gedachte, fristgerechte Nacherfüllung wieder entfallen? Das würde er hier, weil die hypothetische Beseitigung der Immissionen den Minderwert des Hauses wieder entfallen ließe.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.11.2021, 10:40:14

Hallo zusammen, in der Tat hat das OLG es sich hier leicht gemacht und lediglich auf § 280 BGB abgestellt. Eine nähere Einordnung hat es schlicht deshalb unterlassen, da wegen des fehlenden Mangels das Gewährleistungsrecht überhaupt noch nicht eröffnet war. Aber ihr habt natürlich recht, dass der Käufer hier geltend macht, dass sein Grundstück nun aufgrund der Anlage weniger wert sei. Wie Bienenschwarmverfolger zurecht einwendet, könnte dies aber noch theorethisch durch Beseitigung der Anlage noch behoben werden, auch wenn dies für den Verkäufer rechtlich unmöglich ist. Insofern liegt in der Tat ein Fall des Schadensersatzes statt der Leistung vor. Wir haben das im Fall entsprechend korrigiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAV

David.

7.8.2023, 17:13:14

Die Begründung warum hier ein Schadensersatz statt der Leistung vorliegt passt meiner Ansicht nach nicht zum Fall und der gewählten Anspruchsgrundlage. Schadensersatz statt der Leistung wird angenommen bei einem endgültigen Ausbleiben der mangelfreien Leistung. Dies liegt in zwei Fällen vor, einmal bei einem unbehebbarem Mangel (Fälle der Unmöglichkeit) und zweitens bei einem Unterbleiben der Nacherfüllung. Bei einem Unterbleiben der Nacherfüllung wird allerdings nicht § 283 zitiert. Die Beseitigung der Anlage wäre dem Verkäufer rechtlich unmöglich, sodass sich aus diesem Umstand ergibt, dass dies unter die Kategorie des unbehebbarem Mangels fällt, wobei der Gläubiger nach § 283 unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.8.2023, 16:48:17

Hallo David, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat ist Kern des Falles weniger die Abrenzung nach Schadensersatz statt+neben der Leistung, sondern vielmehr die Frage, ob überhaupt Mängelgewährleistungsrechte in Betracht kommen. Dies setzt einen Mangel bei Vertragsschluss voraus. Wir haben die Frage und den Hinweistext entsprechend abgewandelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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