Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2020
Eintragung eines Kfz im Schengener Informationssystem als Rechtsmangel
Eintragung eines Kfz im Schengener Informationssystem als Rechtsmangel
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft 2011 von B einen Audi Q7. Dieser war im Jahr 2009 in Rumänien von der früheren Besitzerin X nicht an Leasinggeber Y zurückgegeben worden, was K nicht weiß. 2013 wird das Fahrzeug zur Sicherstellung im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben. K wird an der serbischen Grenze angehalten, der Audi beschlagnahmt und an Y übergeben. K erklärt B den Rücktritt vom Kaufvertrag.
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Einordnung des Falls
Eintragung eines Kfz im Schengener Informationssystem als Rechtsmangel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (§ 346 BGB), wenn der Audi zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs an einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) litt.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B konnte K kein Eigentum an dem Audi übertragen. Ein Rechtsmangel (§ 435 BGB) liegt aus diesem Grund vor.
Nein!
3. Die Eintragung des Fahrzeugs in das SIS stellt einen Rechtsmangel (§ 435 BGB) dar.
Genau, so ist das!
4. Der Rechtsmangel lag auch zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 446 BGB) vor.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Die - bei Gefahrübergang vorliegende - Gefahr, dass das Auto später sichergestellt werden könnte, begründet einen Rechtsmangel (§ 435 BGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tr(u)mpeltier
30.6.2020, 23:11:08
Ich kenne den echten Fall nicht, aber könnte man sich der Einfachheit halber nicht B sparen und einfach einen Verkauf von X an K unterstellen. Denn ansonsten stellt sich zumindest mir die Frage, wie denn der Wagen nun von X zu B kam. Der Witz des Falles ist ja die SIS Eintragung. Um die zu besprechen bedarf es aber nicht zwingend allen vier Beteiligten (K, B, X, Y).
Eigentum verpflichtet 🏔️
1.7.2020, 13:41:13
Finde das schwierig, denn X ist ja als Leasingnehmerin, die das Fahrzeug nicht an Y zurückgegeben hat, in jedem Fall dem K gegenüber arglistig. Dann könnte K der X gegenüber nach 142 I, 123 I BGB den KV anfechten und nach 812 I 1 Alt. 1 BGB kondizieren. Daneben könnte er über cic. nach 311 II, 241 II, 280 I BGB Aufhebung des KV fordern, da der Vertragsschluss für ihn einen Schaden darstellt.
Marilena
1.7.2020, 14:10:58
Danke für Eure Kommentare! Habe auch gerade überlegt und sehe es so wie Du, Eigentum verpflichtet.
Tr(u)mpeltier
1.7.2020, 14:14:28
Guter Punkt, da habe ich in der Tat nicht weitergebracht. vielleicht könnte man dann dennoch der Vollständigkeit halber einfach nur den Link zwischen X und B klarstellen (zB hat X nicht an Y zurückgegeben, sondern stattdessen 2010 an B verkauft.)
Tr(u)mpeltier
1.7.2020, 14:14:46
*weitergedacht
Philipp Paasch
20.6.2022, 10:56:11
Die Ausgangsfrage ist nach wie vor nicht beantwortet. 🤷♂️
Eigentum verpflichtet 🏔️
1.7.2020, 01:24:34
Finde den Fall IPR mäßig spannend, wenn man ihn weiterdenkt. Wäre interessant zu wissen, ob die rumänische Justiz das Eigentum des Käufers anerkennt oder nicht.
Alex
29.7.2020, 17:47:45
Auf jeden Fall interessant. Und was wenn nicht? Das wäre auch spannend.
iustus
7.11.2020, 21:50:24
Ist es sein, dass die letzte Frage falsch „Falsch“ ist? Denn die „bei G-Übergang“ vorliegende Gefahr würde schon einen
Rechtsmangelbegründen, oder?
Christian Leupold-Wendling
10.11.2020, 11:06:56
Hi iustus, danke für die Frage! Nein, die Gefahr genügt nicht. Erst wenn das Fahrzeug im Schengener Informationssystem eingetragen ist, begründet das einen
Rechtsmangel. Hier die ausführliche Begründung des BGH (RdNr 15-17 aus der Entscheidung): „Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste ein
Rechtsmangelliegt, darauf abgestellt, dass diese Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand (Senatsurteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 14; vom 26.
April 2015 - VIII ZR 233/15, aaO).
Christian Leupold-Wendling
10.11.2020, 11:07:09
Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS- Fahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm - nach Übergabe - gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (
§ 903 BGB) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter - hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug - so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss.
Christian Leupold-Wendling
10.11.2020, 11:07:20
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SIS- Fahndung - und in deren Folge für eine etwaige Beschlagnahme - in irgendeiner Weise kausal geworden ist (hier die unterlassene Rückgabe des im Jahr 2009 in Rumänien als Leasingfahrzeug genutzten Audi Q7 an den Leasinggeber) für die Annahme eines
Rechtsmangels nicht genügt.
Christian Leupold-Wendling
10.11.2020, 11:07:34
Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts hätte eine weder sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge. Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“
Magie99Capona
30.6.2024, 17:09:32
Aber in der Aufgabe steht ja die Gefahr der Beschlagnahmung und nicht die Gefahr der Eintragung oder ist das kein unterschied? Ich habe es so in der Frage verstanden das es für eine mögliche Beschlagnahmung ja auch eingetragen sein muss
Juranus
29.9.2021, 22:23:51
Vielleicht könnte man einen kleinen Exkurs einfügen, warum ein Leasingwagen überhaupt gutgläubig erworben werden konnte, ein originaler Kfz-Brief kann ja nicht vorgelegen haben.
Lukas_Mengestu
2.10.2021, 12:13:57
Hey Juranus, klasse Anmerkung. In der Tat verlangt der BGH beim gutgläubigen Erwerb eines Gebrauchtwagens, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung II (früher Kfz-Brief) aushändigen lässt. Das war in dem vorliegenden Fall ausweislich der Sachverhaltsfeststellungen aber erfolgt (Rn.2). Insofern stellte dies in diesem Fall kein Problem dar. Wie der Veräußerer an diese Bescheinigung herangekommen ist, kann ich Dir allerdings nicht sagen :D. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Timurso
18.7.2024, 09:21:00
s.o.
Christian Leupold-Wendling
29.10.2024, 23:41:57
Hi, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben das Problem erkannt und einen fix in der Pipeline. Danke für deine Geduld!