Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Verschuldensmodifikation 2 (Gefälligkeitsverhältnis)

Verschuldensmodifikation 2 (Gefälligkeitsverhältnis)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A bittet B, während ihres Urlaubs auf ihre Zimmerpflanzen aufzupassen. Dabei haben weder A noch B Rechtsbindungswillen. B stellt die Pflanzen auf dem Fensterbrett ab. Aus leichter Fahrlässigkeit zerstört B die Pflanzen dabei. B ist privat haftpflichtversichert für Schäden bei Ausübung einer Gefälligkeit.

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Einordnung des Falls

Verschuldensmodifikation 2 (Gefälligkeitsverhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat eine Pflichtverletzung begangen (§ 280 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlichen treffen den Schuldner im Schuldverhältnis Leistungs- und Nebenpflichten (§ 241 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Dies setzt allerdings ein Schuldverhältnis voraus. Hier kommt ein unentgeltlicher Verwahrungsvertrag in Betracht (§ 688 BGB). Allerdings handelten A und B ohne Rechtsbindungswillen. Damit handelt es sich um ein Gefälligkeitsverhältnis und kein Schuldverhältnis. Ein Gefälligkeitsverhältnis begründet grundsätzlich keine besonderen Rechte oder Pflichten gegenüber dem anderen Teil.
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2. B hat eine kausale Rechtsgutsverletzung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Die Pflanzen stehen im Eigentum der A. Damit wurde das Eigentum der A verletzt. Es ist auch davon auszugehen, dass dies kausal und zurechenbar geschah.

3. Die Begriffe "Verschulden" und "Vertretenmüssen" sind identisch.

Nein!

Grundsätzlich hat der Schädiger im Deliktsrecht Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verschulden (vgl. § 823 Abs. 1 BGB). Das Verschulden ist allerdings terminologisch vom Vertretenmüssen zu unterscheiden. Bei dem Vertretenmüssen ist zusätzlich zu Vorsatz und Fahrlässigkeit auch eine mildere oder strengere Haftung umfasst, soweit diese durch Gesetz oder Vertrag bestimmt ist (§ 276 Abs. 1 BGB). Insoweit stellt das Vertretenmüssen einen Überbegriff (Verschulden und Haftungsmodifikationen) dar. Das Verschulden hingegen kennt grundsätzlich keine Haftungsmodifikationen.

4. Die gesetzlichen Haftungserleichterungen für unentgeltliche Verträge sind bei Gefälligkeitsverhältnissen nach h.M. analog anzuwenden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Es ist umstritten, ob gesetzliche Haftungsprivilegierungen aus dem Vertragsrecht (§§ 521, 599, 690 BGB) auch im Deliktsrecht angewendet werden können, wenn der Schädiger aus Gefälligkeit handelt. Grund hierfür ist, dass der Schädiger trotz reiner Gefälligkeit schlechter stehen würde als bei einer vertraglichen Bindung. Teilweise wird vertreten, dass eine Gesamtanalogie zu bilden und auf Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden ist. Gegen dieses Vorgehen spricht, dass nicht jedes unentgeltliche Vertragsverhältnis auch eine Privilegierung enthält (vgl. Auftrag (§§ 662ff. BGB)). Deswegen wird die analoge Anwendung der gesetzlichen Haftungsprivilegierungen für Gefälligkeitsverhältnisse von der h.M. abgelehnt (vgl. BGH NJW-RR 2017, 272).

5. B hat die kausale Rechtsgutsverletzung zu verschulden.

Ja, in der Tat!

Nach h.M. ist es bei Gefälligkeitsverhältnissen ausnahmsweise möglich, bei Vorliegen besonderer Umstände, eine Haftungsbeschränkung nach § 242 BGB als "künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion" anzunehmen. Voraussetzung: Der Schädiger hätte, wäre die Rechtslage vor Zustandekommen des Gefälligkeitsverhältnisses zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und der Geschädigte hätte sich dem billigerweise nicht versagen dürfen. Im Falle einer Haftpflichtversicherung des Schädigers sei dies regelmäßig nicht anzunehmen, da eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherer entlastet, nicht dem Willen der Parteien entspricht. B ist privat haftpflichtversichert. Deckt die Versicherung Schäden ab, die im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses in Folge leichter Fahrlässigkeit entstehen, so hätten A und B dafür keinen Haftungsausschluss vereinbart. Demnach hat B die leicht fahrlässige Zerstörung der Pflanzen zu verschulden.
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