Verschuldensmodifikation 2 (Gefälligkeitsverhältnis)


mittel

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Klassisches Klausurproblem

A bittet B, während ihres Urlaubs auf ihre Zimmerpflanzen aufzupassen. Dabei haben weder A noch B Rechtsbindungswillen. B stellt die Pflanzen auf dem Fensterbrett ab. Aus leichter Fahrlässigkeit zerstört B die Pflanzen dabei. B ist privat haftpflichtversichert für Schäden bei Ausübung einer Gefälligkeit.

Einordnung des Falls

Verschuldensmodifikation 2 (Gefälligkeitsverhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat eine Pflichtverletzung begangen (§ 280 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlichen treffen den Schuldner im Schuldverhältnis Leistungs- und Nebenpflichten (§ 241 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Dies setzt allerdings ein Schuldverhältnis voraus. Hier kommt ein unentgeltlicher Verwahrungsvertrag in Betracht (§ 688 BGB). Allerdings handelten A und B ohne Rechtsbindungswillen. Damit handelt es sich um ein Gefälligkeitsverhältnis und kein Schuldverhältnis. Ein Gefälligkeitsverhältnis begründet grundsätzlich keine besonderen Rechte oder Pflichten gegenüber dem anderen Teil.

2. B hat eine kausale Rechtsgutsverletzung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Die Pflanzen stehen im Eigentum der A. Damit wurde das Eigentum der A verletzt. Es ist auch davon auszugehen, dass dies kausal und zurechenbar geschah.

3. Die Begriffe "Verschulden" und "Vertretenmüssen" sind identisch.

Nein!

Grundsätzlich hat der Schädiger im Deliktsrecht Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verschulden (vgl. § 823 Abs. 1 BGB). Das Verschulden ist allerdings terminologisch vom Vertretenmüssen zu unterscheiden. Bei dem Vertretenmüssen ist zusätzlich zu Vorsatz und Fahrlässigkeit auch eine mildere oder strengere Haftung umfasst, soweit diese durch Gesetz oder Vertrag bestimmt ist (§ 276 Abs. 1 BGB). Insoweit stellt das Vertretenmüssen einen Überbegriff (Verschulden und Haftungsmodifikationen) dar. Das Verschulden hingegen kennt grundsätzlich keine Haftungsmodifikationen.

4. Die gesetzlichen Haftungserleichterungen für unentgeltliche Verträge sind bei Gefälligkeitsverhältnissen nach h.M. analog anzuwenden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Es ist umstritten, ob gesetzliche Haftungsprivilegierungen aus dem Vertragsrecht (§§ 521, 599, 690 BGB) auch im Deliktsrecht angewendet werden können, wenn der Schädiger aus Gefälligkeit handelt. Grund hierfür ist, dass der Schädiger trotz reiner Gefälligkeit schlechter stehen würde als bei einer vertraglichen Bindung. Teilweise wird vertreten, dass eine Gesamtanalogie zu bilden und auf Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden ist. Gegen dieses Vorgehen spricht, dass nicht jedes unentgeltliche Vertragsverhältnis auch eine Privilegierung enthält (vgl. Auftrag (§§ 662ff. BGB)). Deswegen wird die analoge Anwendung der gesetzlichen Haftungsprivilegierungen für Gefälligkeitsverhältnisse von der h.M. abgelehnt (vgl. BGH NJW-RR 2017, 272).

5. B hat die kausale Rechtsgutsverletzung zu verschulden.

Ja, in der Tat!

Nach h.M. ist es bei Gefälligkeitsverhältnissen ausnahmsweise möglich, bei Vorliegen besonderer Umstände, eine Haftungsbeschränkung nach § 242 BGB als "künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion" anzunehmen. Voraussetzung: Der Schädiger hätte, wäre die Rechtslage vor Zustandekommen des Gefälligkeitsverhältnisses zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und der Geschädigte hätte sich dem billigerweise nicht versagen dürfen. Im Falle einer Haftpflichtversicherung des Schädigers sei dies regelmäßig nicht anzunehmen, da eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherer entlastet, nicht dem Willen der Parteien entspricht. B ist privat haftpflichtversichert. Deckt die Versicherung Schäden ab, die im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses in Folge leichter Fahrlässigkeit entstehen, so hätten A und B dafür keinen Haftungsausschluss vereinbart. Demnach hat B die leicht fahrlässige Zerstörung der Pflanzen zu verschulden.

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PSR

PSR

3.11.2020, 15:23:03

Das widerspricht meines Wissens der Rspr des BGH. Wer keinen Rechtsbindungswillen hat, der hat auch die Privilegierung sich nicht verdient.

EL

Elisabeth

4.11.2020, 12:20:21

Hi, ich finde dein Argument sehr interessant, hast du auch eine Fundstelle? Allerdings würde dann ja derjenige, der bloß aus Gefälligkeit handelt, strenger haften (weil Verschulden der Rechtsgutsverletzung zu bejahen) als jemand, der mit Rechtsbindungswillen ein vertragliches Schuldverhältnis schließt und eine Rechtsgutverletzung verschuldet (gesetzliche Haftungsmildrrung) Ich bezweifle, dass dies so vom Gesetzgeber gewollt ist. Vielmehr sagt ja bereits der Rechtsgedanke von §690 oder § 521 BGB, dass der (unentgelich) Gefälligkeit leistende milder zu behandeln ist als ein üblicher Vertragspartner. Ich muss mir eben gut überlegenen, wem ich mein Eigentum gefälligkeitshalber anvertraue. ;)

PSR

PSR

4.11.2020, 21:41:36

BGH VI ZR 467/15. An einer Stelle verweist der BGH auf ein Urteil, in dem die ständige Rspr. zitiert wird.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

5.11.2020, 18:24:10

Hallo David, Hallo Elisabeth, danke für eure wichtigen Hinweise. Du hast Recht David, wird der Fall so gelöst, dann folgt man nicht dem BGH sondern einer Mindermeinung. Wir haben in der Folge den Fall leicht abgewandelt und lösen den Fall nun im Einklang mit der Rechtsprechung. Zur Erklärung: Die mM wendet die gesetzlichen Haftungsprivilegierungen für unentgeltliche Verträge (§§ 521, 599, 690 BGB) analog auf entsprechende Gefälligkeitsverhältnisse an. Der BGH und Teile der Literatur (hM) lehnen dies ab.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

5.11.2020, 18:28:24

Stattdessen soll nach BGH ausnahmsweise eine Haftungserleichterung, im Wege ergänzender Vertragsauslegung nach § 242 BGB angenommen werden, wenn der Schädiger, wäre die Rechtslage vor Zustandekommen des Gefälligkeitsverhältnisses zur Sprache gekommen, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der Geschädigte dem billigerweise nicht hätte versagen dürfen. (nach MüKoBGB/Wagner, 7. A. 2017, Vor § 823 RdNr. 93ff. handelt es sich dabei nicht um ergänzende Vertragsauslegung, sondern um richterrechtliche Rechtsfortbildung). Zu beachten ist jedoch, dass der BGH eine solche konkludente Haftungsprivilegierung regelmäßig verneint, wenn der Schädiger gegen den Schaden haftpflichtversichert ist. Das haben wir zur weiteren Problemdarstellung in den Sachverhalt aufgenommen. LG ;)

EVA

evanici

11.9.2023, 16:03:28

Ein Störgefühl verbleibt dennoch... Dann wäre doch jeder mit dem Klammerbeutel gepudert, der eine entsprechende Versicherung abschließt und Gefahr läuft, seine Prämie steigen zu lassen durch entsprechende Schadensmeldungen?!

IS

IsiRider

19.3.2023, 12:11:15

Bei den Übergängen der Fälle hängt das System. Ich drücke dann auf Überspringen und bin mir aber nicht sicher, ob ich wirklich alles inhaltlich durchgegangen bin. Bitte beheben.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 12:20:58

Hallo IsiRider, hast du die neueste Version der App geladen? Sollte das Problem weiterhin bestehen, würde ich dich bitten eine Email an den Support zu schreiben (support@jurafuchs.de). So kann dir schnellstmöglich geholfen werden. Optimal wäre, wenn du direkt deine Betriebsinfos mitsendest. Die Infos findet man, indem auf auf "DU" geht und 4x schnell auf "Profil" klickt. Dadurch wird die Fehlersuche beschleunigt! Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JURAFU

Jurafuchs

29.1.2024, 20:30:33

Ich verstehe, dass es beim Vertretenmüssen Haftungsmodifikationen gibt: Darunter müsste auch die Exkulpation im Rahmen des 831 BGB zählen. Aber beim Verschulden gibt es ja ebenfalls Haftungsmodifikationen wie der innerbetriebliche Schadensausgleich (sog. begrenzte Arbeitnehmerhaftung). Dabei wird dann ebenfalls zwischen grober, mittlerer und leichter Fahrlässigkeit unterschieden. Vielen Dank!

JURAFU

Jurafuchs

29.1.2024, 20:31:37

Kann mir jemand den Unterschied der beiden Begriffe erklären? Vielen Dank im Voraus!

TI

Timurso

29.1.2024, 21:30:28

Mir wäre kein Unterschied dazwischen bekannt.

MAG

Magie99Capona

20.6.2024, 22:11:03

ich finde die erste frage ei wenig seltsam, die pflichtverletzung zu verneinen weil kein schuldverhältnis besteht schmeiß meiner meinung nach zwei sachen zusammen. sind ja aus gutem grund zwei verschiedene prüfpunkte. schuldverhältnis nein, pflichtverletzung grds ja

Gerrit

Gerrit

21.6.2024, 21:54:01

Ich glaub hier wird auf den Aufbau der Prüfung hingedeutet. Man prüft ja immer in der Reihenfolge Vertrag, Vertragsähnlich, Gesetz. Es wäre hier zunächst ein Anspruch aus §280 I zu prüfen und zu verneinen aufgrund des fehlenden Rechtsbindungswillen. Für einen Anspruch nach §280 I bedarf es zunächst ein Schuldverhältnis. Sofern kein Schuldverhältnis besteht dann kann eben keine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt werden. Also besteht hier keine Pflichtverletzung. Ich gehe mal davon aus, dass es als Fangfrage bezweckt ist, da ohne Schuldverhältnis keine Pflicht.


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