Pillar 1: Mitigation 1

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Inselstaat I findet, dass Schwerindustriestaat S reichlich spät dran ist, als Vertragspartei des Pariser Abkommens seine Treibhausgase zu reduzieren, und hätte seine Pflichten schon längst erfüllen müssen. S hat bislang gar nichts unternommen.

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Einordnung des Falls

Pillar 1: Mitigation 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kernanliegen des Pariser Abkommens ist eine Reduktion der durchschnittlichen Erderwärmung auf 2, idealerweise 1,5 Grad Celsius.

Genau, so ist das!

Das Pariser Abkommen stützt sich auf das 1,5- bzw. 2-Grad-Ziel. Das weniger ambitionierte 2-Grad-Ziel soll denjenigen Grenzwert markieren, unterhalb dem die Erderwärmung noch tolerable Konsequenzen zeitigt. Oberhalb des 2-Grad-Ziels droht dagegen das Erreichen sog. „tipping points“ (Kipppunkte). Diese drohen irreversible Rückkopplungen im Erdklimasystem auszulösen und eine noch allmähliche Erderwärmung rasant zu beschleunigen. Allerdings führt auch das 2-Grad-Ziel zu bereits erheblichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt (vgl. IPCC, Special Report on Global Warming of 1.5 °C), sodass die Vertragsstaaten das 1,5-Grad-Ziel zumindest anstreben. Mit dem Klimapakt von Glasgow 2021 bekräftigten die Staaten ihren Ehrgeiz, ihr Handeln am 1,5-Grad-Ziel auszurichten .
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2. Als Vertragspartei des Pariser Abkommens ist S verpflichtet, seine Treibhausgase auf einen bestimmten Maximalwert zu reduzieren.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Pariser Abkommen enthält keine Verpflichtung der Vertragsparteien zur verbindlichen Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen auf bestimmte Maximalwerte. Diesen sog. top-down-Ansatz verfolgte das Kyoto-Protokoll. S ist als Vertragspartei des Pariser Klimaschutzabkommens nicht auf bestimmte maximale Treibhausgasemissionen verpflichtet. Das Kyoto-Protokoll formulierte verbindliche Emissionszielwerte für Treibhausgase nur für Industriestaaten, nicht für Entwicklungs- oder Schwellenländer. Diese Normendualität ist Ausdruck des Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung. Insbesondere die USA sprachen sich gegen diese Normendualität zugunsten der Entwicklungs- und Schwellenländer aus; sie ratifizierten das Kyoto-Protokoll auch deshalb nicht.

3. Die Vertragsparteien des Pariser Abkommens sind verbindlich verpflichtet, Beiträge zur Erreichung des 1,5- bzw. 2-Grad-Ziels innerstaatlich zu bestimmen.

Ja!

Der Verpflichtungsgrad einer völkerrechtlichen Norm ergibt sich im Wege der Auslegung, nach Art. 31 Abs. 1 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) primär anhand des Wortlauts. Zu berücksichtigen sind v.a. verwandte Verben, die Benennung eines Adressaten und die inhaltliche Präzision. Art. 4 Abs. 1, 2 Pariser Abkommen gibt den Vertragsparteien indikativ auf, sog. „nationally determined contributions“ (NDCs) zu erarbeiten, zu übermitteln und beizubehalten (vgl. engl. Version: „shall“). Angesichts dieser hohen Normativität handelt es sich um eine völkerrechtlich verbindliche Pflicht. Die Mischung des Pariser Abkommens aus Programmsätzen, höchst allgemeinen Pflichten und konkreten Pflichten waren ausschlaggebend für seinen diplomatischen Erfolg, rauben ihm jedoch auch Schneidigkeit. Den Verpflichtungsgrad einer Norm solltest Du beim Pariser Abkommen immer kurz begründen, bevor Du zu ihrer Anwendung ansetzt.

4. Da S bislang gar nichts unternommen hat, verstößt S gegen seine Pflicht aus dem Pariser Abkommen, „nationally determined contributions“ zu erarbeiten.

Genau, so ist das!

Art. 4 Abs. 1, 2 Pariser Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten zur Erarbeitung, Übermittlung und Beibehaltung von „nationally determined contributions“. S ist seiner Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1, 2 Pariser Abkommen nicht nachgekommen. Bis dato hat nur Libyen keine „nationally determined contributions“ übermittelt - allerdings erfolgte die Ratifizierung dort erst im August 2021. Zwei weitere Staaten - Yemen und Iran - haben nur vorläufige Beiträge („intended nationally determined contributions“) übermittelt.
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