Grundfall: verhaltensbedingte Kündigung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Der faule Fahrradkurier bleibt - trotz mehrfacher Abmahnung - an Tagen, an denen er keine Lust auf Arbeit hat, einfach zuhause. Arbeitgeber A kündigt F aufgrund des unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit ordentlich. KSchG ist anwendbar.

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Einordnung des Falls

Grundfall: verhaltensbedingte Kündigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Kündigung kann durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Ja, in der Tat!

Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dann ordentlich kündigen, wenn die Kündigung aus personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn (1) der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt, sodass eine (2) störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist (negative Zukunftsprognose). Zudem darf (3) keine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehen und (4) im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung muss sich eine unzumutbare Belastung für den Arbeitgeber ergeben.Bei der verhaltensbedingten Kündigung ist eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nur in Betracht zu ziehen, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsumfeld herrührt (zB Schwierigkeiten mit Kollegen).
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2. Hat F seine vertraglichen Pflichten erheblich verletzt?

Ja!

Als vertragliche Pflichtverletzungen kommen sowohl Verletzungen einer Hauptpflicht als auch Verletzungen von Nebenpflichten in Betracht. Hauptpflicht eines Arbeitnehmers ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Indem F unentschuldigt der Arbeit fern bleibt, erfüllt er schuldhaft seine vertraglichen Hauptpflichten nicht. Die Pflichtverletzung muss in der Regel schuldhaft erfolgen. Nur in seltenen Ausnahmefällen stellen auch schuldlose Pflichtverletzungen einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar.

3. Eine störungsfreie Vertragserfüllung durch F ist auch in Zukunft nicht zu erwarten (negative Zukunftsprognose).

Genau, so ist das!

Das Fehlverhalten in der Vergangenheit allein rechtfertigt keine verhaltensbedingte Kündigung, da diese zukunftsbezogen und gerade keinen Sanktionscharakter hat. Die Kündigung soll vielmehr die weitere Beeinträchtigung des Vertragsverhältnisses verhindern. Es ist daher eine Prognose basierend auf Ereignissen der Vergangenheit vorzunehmen, ob in Zukunft eine störungsfreie Vertragserfüllung zu erwarten ist. Maßgeblich sind insbesondere die Schwere und Häufigkeit des pflichtwidrigen Verhaltens sowie das Maß des Verschuldens. F hat schon mehrfach schuldhaft seine Arbeit verweigert, obwohl ihm klar sein musste, dass sein Vertragspartner dies nicht dulden wird. Es liegt mithin eine negative Zukunftsprognose vor. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Negativprognose ist Zeitpunkt des Kündigungszugangs.

4. A hat ausreichend andere Kuriere beschäftigt und kann die Arbeit des F ohne große Probleme auf die anderen Mitarbeiter aufteilen. Ist die Kündigung deshalb mangels konkreten Betriebsablaufstörungen unwirksam?

Nein, das trifft nicht zu!

Konkrete Betriebsablaufstörungen infolge des pflichtwidrigen Verhaltens sind mittlerweile nicht mehr als zwingende Kündigungsvoraussetzung erforderlich. Es muss also nicht zwingend zu nachteiligen Auswirkungen im Bereich des Arbeitgebers gekommen sein. Allerdings sind Betriebsablaufstörungen als Faktor bei der umfassenden Interessenabwägung einzubeziehen. Dass A die Arbeit des F ohne größere Probleme auf andere Kuriere aufteilen kann und infolgedessen konkreten Betriebsablaufstörungen ausbleiben, steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen.

5. Da die Beendigungskündigung stets ultima ratio ist, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich abmahnen.

Ja!

Die Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn keine anderweitigen Möglichkeiten für den Arbeitgeber bestehen, die Störungen im Arbeitsverhältnis auf weniger belastende Weise zu beheben (ultima ratio). Grundsätzlich vorrangig ist insbesondere eine Abmahnung. Der Arbeitgeber muss das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers möglichst konkret beanstanden und darauf hinweisen, dass im Wiederholungsfall die Kündigung droht. Dies beruht auf dem Rechtsgedanken des § 314 Abs. 2 BGB. Die Abmahnung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn schwere Pflichtverletzungen vorliegen oder wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, eine Verhaltensänderung zu erreichen.

6. Die verhaltensbedingte Kündigung ist vorliegend sozial gerechtfertigt und damit wirksam (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Genau, so ist das!

F hat durch die Arbeitsverweigerung schuldhaft seine vertraglichen Hauptpflichten verletzt. Aufgrund der Häufigkeit der vorhergehenden Arbeitsverweigerungen ist nicht ersichtlich, dass F in Zukunft seine vertraglichen Pflichten störungsfrei erfüllen wird (negative Zukunftsprognose). A hat F abgemahnt. Auch überwiegt das Interesse des A an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Interesse des F an dessen Bestand, insbesondere weil F durch sein steuerbares Verhalten die Pflichtverletzungen ja gerade hätte verhindern können. Die Interessen des A sind durch die Wiederholungsgefahr ständiger Arbeitsverweigerung unzumutbar beeinträchtigt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FUCH

Fuchsfrauchen

8.8.2022, 12:19:02

Spielt die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hier wirklich eine Rolle? So einen Hallodri möchte ich ja auch nicht in einer anderen Abteilung sitzen haben. ;)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.8.2022, 12:36:43

Sehr guter Hinweis, Fuchsfrauchen. In der Tat spielt dieser Aspekt im vorliegenden Fall eigentlich keine Rolle. Denn es ist nicht ersichtlich, dass Fs Verhalten hier abteilungsspezifisch ist. Wir haben das entsprechend abgeändert :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAV

David.

12.7.2023, 09:20:39

Bezüglich der Voraussetzungen könnte man bei der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit noch ergänzen, dass diese nur dann in Betracht kommt, wenn der verhaltensbedingte Grund arbeitsplatzbezogen ist.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.7.2023, 17:36:34

Vielen Dank für den Hinweis, David! In der Tat wird bei einem Fehlverhalten, das die Vertrauensbeziehung zum Arbeitgeber direkt erschüttert, keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen sein (hier zB fehlende Arbeitsbereitschaft). Wir haben das entsprechend ergänzt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

7.10.2023, 15:28:53

Hier wurde bereits mehrfach abgemahnt, so dass keine erneute Abmahnung notwendig ist. Daher muss die Frage dazu verneint werden.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.10.2023, 17:05:06

Hi IsiRider, die Fragestellung war hier etwas missverständlich. Es ging hier nicht um eine weitere Abmahnung, sondern lediglich generell darum, dass aufgrund des ultima-ratio Grundsatzes grundsätzlich vor einer verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung zu erfolgen hat. Wie Du richtig anmerkst, wurde F hier bereits mehrfach abgemahnt, weswegen die Kündigung hier im Ergebnis auch wirksam ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lord Denning

Lord Denning

22.7.2024, 15:18:41

Warum ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Prognose der Kündigungszugang und nicht die Kündigungserklärung? Der AG „müsste“ doch die Prognose vor der Kündigung durchführen?


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