Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Fall: Ansässigkeitserfordernis für sekundäre Niederlassungsfreiheit bei Gesellschaften

Fall: Ansässigkeitserfordernis für sekundäre Niederlassungsfreiheit bei Gesellschaften

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gesellschaft X vertreibt Datteln auf dem afrikanischen Markt. X hat ihren Satzungssitz in Paris, während sich die Hauptverwaltung und - Niederlassung in Algerien befinden. X will nun eine Zweigstelle in Budapest eröffnen, um so auch den europäischen Markt zu versorgen.

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Einordnung des Falls

Fall: Ansässigkeitserfordernis für sekundäre Niederlassungsfreiheit bei Gesellschaften

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die institutionelle Unionsverbindung ist vorliegend gegeben.

Ja!

Der persönliche Anwendungsbereich erfordert, dass die Gesellschaft eine institutionelle Unionsverbindung aufweist. Dafür genügt nach Art. 54 Abs. 1 AEUV die Erfüllung eines von drei Zugehörigkeitselementen: satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Union.Der satzungsmäßige Sitz der D befindet sich in Frankreich. Eines der Zugehörigkeitselemente ist damit erfüllt und die institutionelle Unionsverbindung gegeben. Die Option der Herstellung einer Unionsverbindung über einen Satzungssitz im Unionsgebiet ist spannungsgeladen, weil sie anders als etwa das Erfordernis einer Hauptniederlassung keinen Bezug zu wirtschaftlicher Tätigkeit aufweist und daher das Potential der Schaffung von Briefkastenfirmen birgt.
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2. Die Frage, ob für Gesellschaften bei der sekundären Niederlassungsfreiheit ein Ansässigkeitserfordernis besteht, ist umstritten.

Genau, so ist das!

Ein Ansässigkeitserfordernis ist im Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV für den Fall der Gründung einer Zweitniederlassung angelegt. Die Norm bezieht sich allerdings nicht direkt auf die Gesellschaft, sondern nur auf den Gründer als Grundfreiheitberechtigten. Das Erfordernis wird auch nicht näher konkretisiert, weshalb unklar bleibt, welche Intensität der wirtschaftlichen Eingliederung das Ansässigkeitserfordernis voraussetzt.Vor diesem Hintergrund verstehen Teile der Literatur dieses Kriterium nicht dahingehend, dass es mehr als eines satzungsmäßigen Sitzes im Unionsgebiet bedarf. Nach diesen Stimmen reicht der Satzungssitz der X in der Union aus, um die Tochtergesellschaft B eröffnen zu können.

3. Eine Gegenposition sieht die Ansässigkeit der Gesellschaft als erforderlich an.

Ja, in der Tat!

Bedeutung erlangt das Ansässigkeitserfordernis durch die entsprechende Anwendung von Art. 49 Abs. 1 S. 2 AUEV auf Gesellschaften, da diese Vorschriften die Ansässigkeit natürlicher Personen in einem Mitgliedstaat voraussetzen.Die Ansässigkeit der Gesellschaft sei erforderlich, da der Niederlassungsbegriff eine Infrastruktur im Zielstaat fordert und zudem rein künstliche Gestaltungen als missbräuchliches Verhalten aus dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ausklammert. Die Gesellschaft muss sich nach dieser Ansicht daher wirtschaftlich im Zielstaat entfalten.

4. Die Rechtsprechung des EuGH folgt einer vermittelnden Ansicht.

Ja!

Das Ansässigkeitserfordernis von Gesellschaften ist mit dem Erfordernis der Ansässigkeit bei natürlichen Personen vergleichbar. Das Ansässigkeitserfordernis dient bei natürlichen Personen zur Ausgrenzung von im EWR-Ausland integrierten Personen, weshalb die entsprechende Anwendung von Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV auf Gesellschaften nur verlange, dass diese keine überwiegende Berührung mit dem EWR-Ausland aufweisen. Nach der vermittelnden Ansicht reicht es also aus, wenn eine Gesellschaft überwiegend irgendwo im Unionsgebiet wirtschaftlich tätig ist. Nur dann, wenn ein Drittstaatsbezug das Handeln dominiert , muss sich die Gesellschaft tatsächlich in die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats integrieren und dort erhebliche geschäftliche Aktivitäten entwickeln.

5. Nach der vermittelnden Ansicht kann sich X vorliegend auf die Niederlassungsfreiheit berufen, um die Zweigstelle zu eröffnen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Hauptverwaltungssitz und die Hauptniederlassung von X befinden sich außerhalb des Unionsgebietes. Außerdem ist die X bislang hauptsächlich auf dem afrikanischen Gebiet tätig und weist somit einen überwiegenden Drittstaatsbezug auf. Der bloße Satzungssitz in Paris ist daher vorliegend nicht ausreichend. Das gesellschaftsbezogene Ansässigkeitserfordernis als Frage des persönlichen Anwendungsbereichs von Art. 54 und 49 AEUV ist nicht mit dem tätigkeitsbezogenen Niederlassungselement zu verwechseln, das für die Niederlassungshandlung erforderlich ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

STE

StellaChiara

13.9.2023, 13:34:08

handelt es sich hierbei um das ansässigkeitserfordernis aus der vorherigen aufgabe , wonach Unionsbürger im hoheitsgebiet eines mitgliedstaates mit seinem wirtschaftlichen schwerpunkt ansässig sein muss?

HAN

hannabuma

30.12.2023, 19:44:35

Ja, es geht um das Ansässigkeitskriterium aus Art. 49 I 2 AEUV, welches jedoch nur auf Unionsbürger direkt anwendbar ist. In diesem Fall geht es um eine Gesellschaft und somit um die Frage, ob das Ansässigkeitskriterium auch für diese erforderlich ist (und somit entsprechend angewandt wird).

L.G

L.Goldstyn

29.8.2024, 19:27:51

Fehlt im Sachverhalt nicht die Information, nach welchem Recht die X-Gesellschaft gegründet wurde (s. Art. 54 Unterabs. 1 Hs. 1 AEUV)?


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