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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U ruft die Polizei, weil aus dem Betriebsbüro die Kaffeekasse gestohlen wurde. Nur er und seine zehn Mitarbeiter haben Zugang zum Büro, die Tat kann jedoch nur einer begangen haben. Polizist P befragt zunächst alle Mitarbeiter nach ihren Wahrnehmungen. Da sich A, B und C dabei sehr unruhig verhalten, nimmt er von ihnen die Fingerabdrücke und befragt diese sehr intensiv.

Einordnung des Falls

Informatorische Befragung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei den ersten Befragungen sind alle zehn Mitarbeiter Beschuldigte.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Beschuldigteneigenschaft sind erforderlich: (1) ein Tatverdacht und (2) ein Verfolgungswille. Als informatorische Befragung bezeichnet man Erkundigungen, mit denen die Ermittlungsperson herauszufinden versucht, ob überhaupt eine Anfangsverdachtslage besteht und/oder wer als Auskunftsperson in Betracht kommen könnte. Im Rahmen einer solchen informatorischen Befragung sind zwar regelmäßig alle Personen allgemein verdächtig. Dennoch darf die Polizei, ohne jemanden als Zeugen oder Beschuldigten belehren zu müssen, so lange fragen, bis sich der Verdacht in eine bestimmte Richtung konkretisiert. Die Fragen haben nämlich nur Sondierungscharakter, richten sich nicht an einen bestimmten Beschuldigten und sind deshalb mangels Inkulpationsaktes keine Beschuldigtenvernehmung. Die Mitarbeiter sind keine Beschuldigten.

2. Bei der Befragung der zehn Mitarbeiter handelt es sich um eine Vernehmung.

Ja, in der Tat!

Es handelt sich um eine Vernehmung, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt (formeller Vernehmungsbegriff, hM). Auch (verdächtige) Zeugen können vernommen werden. Da P von den Mitarbeitern in amtlicher Funktion Auskunft verlangt, handelt es sich um eine polizeiliche Zeugenvernehmung.

3. Nach der Abnahme der Fingerabdrücke handelte es sich bei der weiteren Befragung von A, B und C um eine Beschuldigtenvernehmung.

Ja!

Für die Beschuldigteneigenschaft sind erforderlich (1) ein Tatverdacht und (2) ein Verfolgungswille. Bei der informatorischen Befragung verdächtiger Zeugen kann sich der gegen die Person des Vernommenen gerichtete Verfolgungswille aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung aus der Sicht des Vernommenen ergeben. Ergibt eine Gesamtschau, dass die Befragung nicht mehr die Abklärung einzelner Verdachtsmomente, sondern die Überführung des Vernommenen bezweckt, liegt eine Beschuldigtenvernehmung vor. Hier haben sich im Laufe der Vernehmung die Verdachtsmomente konkretisiert, sodass sich die Zielrichtung der Befragung verändert hat. Dies manifestierte sich objektiv durch die Abnahme der Fingerabdrücke und die Fokussierung auf A, B und C. Es handelt sich um eine Beschuldigtenvernehmung mit der Folge der Belehrungspflicht (§ 163a Abs. 4 S. 2 StPO iVm § 136 StPO).

4. A, B und C können nicht gleichzeitig Beschuldigte derselben Tat sein.

Nein, das ist nicht der Fall!

Mehrere Verdächtige müssen auch dann als Beschuldigte behandelt werden, wenn die Tat nur von einem allein begangen worden sein kann. Hinsichtlich A, B und C liegt jeweils ein Anfangsverdacht vor und hinsichtlich allen dreien hat P durch die Fingerabdrücke und ausgewählte intensive Befragung Inkulpationsakte vorgenommen, also seinen Verfolgungswillen objektiv manifestiert.

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Tigerwitsch

Tigerwitsch

28.1.2021, 11:31:43

Handelt es sich bei der vorherigen Zeugenvernehmung dann um eine

informatorische Befragung

?

AR

Arno

4.2.2021, 13:27:10

Das habe ich mich aucj gefragt, aber es müsste eigentlich der Fall sein, da P vorliegend nur Erkundigungen anstellt, ob überhaupt ein Anfangsverdacht auf einen oder mehrere der 10 Mitarbeiter konkretisiert werden kann. Abgesehen von der Versicherung des Chefs, dass es nur einer der 10 Mitarbeiter gewesen sein könnte, allerdings keine Anhaltspunkte vorliegen, die einen Verdacht des P auf sonstige Weise konkretisieren könnten.

LRS

LRS

27.6.2023, 11:27:57

Schließen sich Zeugenvernehmung und

informatorische Befragung

nicht aus? Um was handelt es sich denn hier? Danke schon mal :)

NI

Nikudo

10.1.2024, 16:15:25

Ich finde die Formulierung der ersten beiden Fragen auch verwirrend und unglücklich. Da im Sachverhalt steht, dass der Polizist zunächst alle Mitarbeiter nach ihren „Wahrnehmungen“ gefragt hat, zielt diese Formulierung auf eine

informatorische Befragung

ab. Hier wird die typische Frage „Was ist passiert?“ gestellt worden sein, die das Paradebeispiel für eine

informatorische Befragung

darstellt. Aus diesem Grund ist die zweite Frage, ob sich die Befragung als Vernehmung darstellt, irreführend. Ich verstehe den Sachverhalt so, dass nach den ersten Befragungen sämtliche Mitarbeiter noch Mal befragt worden sind und es sich bei diesen zweiten Befragungen nun um Vernehmungen gehandelt hat. Das ergibt sich aber nicht eindeutig aus dem Sachverhalt oder der zweiten Frage. Eine Verdeutlichung des Sachverhaltes wäre daher wünschenswert :)

SCH

Schirizzle

21.2.2024, 20:14:43

Ich schließe mich den Nachfragen an und bitte um eine kurze Erläuterung - schließen sich Vernehmung (Belehrung erforderlich) und

informatorische Befragung

(keine Belehrung erforderlich) nicht gegenseitig aus? Danke :)

PI

Pit

15.5.2024, 10:42:59

Nach meinem Verständnis, zielt die gesamte Aufgabe darauf ab, uns die einzelnen Tatbestandsmerkmale von § 163a Abs. 4 S. 2 StPO iVm § 136 StPO näherzubringen. Denn wenn deren Voraussetzungen vorliegen, ist eine Belehrung erforderlich. Anderenfalls ist deren Aussage nicht verwertbar. Eine Belehrung ist erforderlich, wenn die betroffene Person 1. Beschuldigter ist und sich 2. in einer Vernehmung befindet. Im Einzelnen: - Ziel von Frage 1: Sind alle 10 Mitarbeiter Beschuldigte (1. Merkmal)? - Nein, daher müssen sie nicht belehrt werden. (Es fehlt ein entsprechend konkreter Tatverdacht) - Ziel von Frage 2: Liegt dabei eine "Vernehmung" statt (2. Merkmal)? - Ja, aber da die Personen nicht Beschuldigte sind (1. Merkmal), müssen sie auch nicht belehrt werden. - Ziel von Frage 3: Sind A, B, C nun Beschuldigte? - Ja, und daher müssen sie nun auch belehrt werden. (Da ihnen gegenüber nun ein Tatverdacht entstanden ist.) Summa summarum: "Hier haben sich im Laufe der Vernehmung die Verdachtsmomente konkretisiert, sodass sich die Zielrichtung der Befragung verändert hat. Dies manifestierte sich objektiv durch die Abnahme der Fingerabdrücke und die Fokussierung auf A, B und C. Es handelt sich um eine Beschuldigtenvernehmung mit der Folge der Belehrungspflicht (§ 163a Abs. 4 S. 2 StPO iVm § 136 StPO)."

Nocebo

Nocebo

18.6.2024, 10:43:39

Vor jeder Zeugenvernehmung ist jedoch auch eine Belehrung erforderlich. D.h., wenn die

informatorische Befragung

gleichzeitig eine Zeugenvernehmung wäre, hätten alle belehrt werden müssen.

Nocebo

Nocebo

18.6.2024, 10:45:29

Befragungen im Anfangsstadium von Ermittlungen sollen Aufschluss darüber geben, ob ein Anfangsverdacht gegen eine Person begründet ist. Sie sind Zeugenvernehmungen, für die die Aussageverweigerungsrechte nach §§ 52 ff. gelten. Es handelt sich dabei aber nicht um Vernehmungen im engeren Sinn, weshalb die Belehrungspflichten (§ 52 Abs. 3 S. 1, § 136 Abs. 1 S. 2) nicht gelten. Rückt der Befragte später in die Beschuldigtenstellung ein, so sollen aufgrund einer zulässigen informatorischen Befragung gewonnene Bekundungen in der Hauptverhandlung verwertbar sein, zB im Wege des Vorhalts (BGH NStZ 1983, 86; KG JR 1992, 437) oder durch Vernehmung der Befragungsperson als Zeuge (

OLG Stuttgart

1977, 70). Ein Verwertungsverbot für die Aussage bei der informatorischen Befragung besteht, wenn der Beschuldigte über die ihm nach § 136 zustehenden Rechte bewusst getäuscht worden ist (OLG Oldenburg NJW 1967, 1096). Auch die Verbote des § 136a sind entsprechend anwendbar; sie können nicht dadurch umgangen werden, dass die Vernehmung nicht offen als solche deklariert, sondern verdeckt durchgeführt wird (Beulke StPO Rn. 131; vgl. BGHSt 29, 230 (232)). Wurde ein Zeuge informatorisch gehört, ist auch § 252 zu beachten. (KK-StPO, Einleitung Rn. 241, beck-online)

Nocebo

Nocebo

18.6.2024, 10:45:52

Es handelt sich also um eine Vernehmung i.S.d. § 2

52 StPO

, aber es sind trotzdem keine Belehrungen erforderlich.... verwirrend.


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