Strafrecht

Strafprozessrecht

Vorverfahren / Ermittlungsverfahren

Vertiefung: Pflicht zur Einleitung von Ermittlungen bei außerdienstlicher Kenntniserlangung?

Vertiefung: Pflicht zur Einleitung von Ermittlungen bei außerdienstlicher Kenntniserlangung?

22. Februar 2025

2 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Staatsanwältin S bekommt bei einem Feierabendbier in ihrer Stammkneipe mit, dass der am Nachbartisch sitzende T durch betrügerische Manipulationen eine Kreditzusage der B-Bank in Höhe von €20 Mio. erwirkt hat, die allerdings noch nicht ausgezahlt wurden.

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Einordnung des Falls

Vertiefung: Pflicht zur Einleitung von Ermittlungen bei außerdienstlicher Kenntniserlangung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Anfangsverdacht gegen T besteht.

Ja, in der Tat!

Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO). Ein Anfangsverdacht besteht, wenn aufgrund konkreter tatsächlichen Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung (= tatsächliche Komponente) die Begehung einer verfolgbaren Straftat (= rechtliche Komponente) möglich erscheint. An den Anfangsverdacht werden nur geringe Anforderungen gestellt.S hat gehört, wie T die Bank täusche um einen Vermögensvorteil zu erlangen, die Begehung eines Betrugs daher zumindest möglich.
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2. Staatsanwälte sind bei jeglicher Kenntniserlangung von Straftaten verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einleiten.

Nein!

Die Staatsanwaltschaft ist zur Vermeidung von Willkür dazu verpflichtet, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (§ 152 Abs. 2 StPO, Legalitätsprinzip). Bei einer außerdienstlichen Kenntniserlangung sind Beamte jedoch nicht generell zum Einschreiten verpflichtet. Denn auch Beamte haben einen durch Art. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich menschlicher Beziehungen und Privatheit, der durch ihre beruflichen Pflichten nicht eingeschränkt werden soll (privater Rückzugsraum).

3. Für S besteht hier eine Verfolgungspflicht.

Genau, so ist das!

Eine Pflicht zum Einschreiten gibt es nach hM nur dort, wo aufgrund einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Straftatverfolgung und dem privaten Interesse des Amtsträgers am Schutz seiner Privatsphäre das öffentliche Interesse angesichts der Schwere der Straftat überwiegt. Dies ist vor allem bei Taten aus dem Katalog des § 138 StGB und bei anderen schwerwiegenden Straftaten der Fall, insbesondere wenn die Straftat während der Dienstausübung des Beamten fortwirkt, wie etwa bei Dauerdelikten oder bei auf ständige Wiederholung angelegten Handlungen. Die gleichen Grundsätze gelten auch für Polizisten (vgl. § 163 StPO).Vorliegend ist erstens die Schadenssumme massiv, zweitens wirkt die Straftat in die Dienstzeit der S fort, weil sich der Betrugsschaden noch nicht in der Auszahlung der Darlehenssumme realisiert hat, sodass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung überwiegt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FW

FW

24.9.2024, 15:19:41

Hi, Also das die Straftaten aus dem Katalog des § 138 StGB erfasst sind, ergibt Sinn. Welche anderen schweren Straftaten wären denn noch denkbar?

erikxxx

erikxxx

21.11.2024, 10:39:51

Hallo, die Frage der Verfolgungspflicht bei außerdienstlich erlangter Kenntnis von Straftaten durch Staatsanwälte steht im Spannungsfeld zwischen dem grundrechtlichen Schutz der Privatsphäre des Staatsanwalts und seiner Verpflichtung zur Strafverfolgung. In der Literatur und Rechtsprechung haben sich hierzu verschiedene Standpunkte gebildet. Nach der neueren Rechtsprechung wird § 152 Abs. 2 StPO nur ausgelöst, wenn die strafbaren Handlungen noch in die Phase der Dienstausübung hineinreichen und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das private Interesse des Amtsträgers an der Wahrung seiner Privatsphäre überwiegt. In der Literatur wird teils zwischen Verbrechen und Vergehen unterschieden oder die Verfolgungspflicht an das Vorliegen einer Katalogtat gemäß § 138 StGB geknüpft. Insgesamt ist es zutreffend, eine Verfolgungspflicht insbesondere dann anzunehmen, wenn die Belange der Öffentlichkeit erheblich betroffen sind – beispielsweise bei Verbrechen oder schweren Straftaten der mittleren Kriminalität, bei denen auch ein verständiger Dritter zur Anzeige verpflichtet wäre. Für Antrags- oder Bagatelldelikte besteht jedoch keine automatische Verfolgungspflicht, da hier die Wahrung der Privatsphäre des Amtsträgers überwiegen kann. Dies habe ich dem MüKoStPO/Peters, 2. Aufl. 2024, StPO § 152 Rn. 45 entnommen. Ich hoffe, es hilft dir weiter!


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