+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A schlägt O im Wiesn-Zelt mit einem Bierkrug nieder (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Als der G hinzukommt, um O zu helfen, beleidigt A den G als „Bratwurst” (§ 185 S. 1 StGB). G sucht die Wiesn-Wache auf und schildert der Polizei den Sachverhalt. Ob A bestraft wird, sei ihm (G) egal.
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Einordnung des Falls
Wann ist ein Strafantrag erforderlich? (Einführung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafanzeige ist die Mitteilung eines aus Sicht des Erklärenden strafrechtlich relevanten Sachverhalts an die Polizei (§ 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO).
Ja!
Die Strafanzeige (§ 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO) ist die Mitteilung eines Sachverhalts, der nach Meinung des Erklärenden Anlass zur Strafverfolgung gibt. Sie kann bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten angebracht werden und ist durch die aufnehmende Stelle zu protokollieren oder auf sonstige Weise zu dokumentieren.
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2. G hat vorliegend eine Strafanzeige gestellt (§ 158 Abs. 1 Alt. 1 StPO).
Genau, so ist das!
Die Strafanzeige (§ 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO) ist die Mitteilung eines Sachverhalts, der nach Meinung des Erklärenden Anlass zur Strafverfolgung gibtIndem G nach den Geschehnissen die Wiesn-Wache aufsucht und der Polizei den Sachverhalt schildert, bringt er zum Ausdruck, dass er den Sachverhalt für strafbar hält. Daran ändert es auch nichts, dass ihm egal ist, ob A letztlich bestraft wird oder nicht. G hat Strafanzeige gestellt.
3. Von der Strafanzeige zu unterscheiden ist der Strafantrag als Verlangen des Erklärenden nach Strafverfolgung.
Ja, in der Tat!
Während unter der Strafanzeige nur die Mitteilung des strafwürdigen Sachverhalts zu verstehen ist, muss bei einem Strafantrag der Wunsch nach Strafverfolgung zum Ausdruck kommen (vgl. § 158 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, Abs. 2 StPO). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der Erklärung des Berechtigten zu ermitteln.
4. Der Strafantrag ist bei allen Delikten eine Verfahrensvoraussetzung, deren Fehlen zur Einstellung des Strafverfahrens führt.
Nein!
Der Strafantrag kann bei bestimmten Delikten (Antragsdelikte) Verfahrensvoraussetzung sein.
Das heißt: nur wenn ein Strafantrag des Antragsberechtigten (meist der Verletzte) vorliegt, kann gegen den Beschuldigten ein Verfahren geführt werden. Liegt nach Ende der Antragsfrist (§ 77b StGB) kein erforderlicher Strafantrag vor, ist das Verfahren einzustellen (vgl. § 170 Abs. 2 StPO, § 260 Abs. 3 StPO).
Dies gilt aber nicht für alle Delikte. Ob ein Delikt einen Strafantrag voraussetzt, ist immer gesetzlich geregelt (vgl. etwa § 123 Abs. 2 StGB). Delikte, bei denen kein Strafantrag erforderlich ist, nennt man Offizialdelikte.Bei manchen Antragsdelikten kann der Strafantrag auch durch die Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ersetzt werden. Dazu später mehr.
5. Bei der Beleidigung nach § 185 S. 1 StGB handelt es sich um ein Antragsdelikt (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB).
Genau, so ist das!
Gemäß § 194 Abs. 1 S. 1 StGB wird die Beleidigung nur auf Antrag verfolgt. Es handelt sich also um ein Antragsdelikt, nicht um ein Offizialdelikt. Der Strafantrag ist damit Verfahrensvoraussetzung für die Strafverfolgung. Liegt ein Strafantrag nicht vor, so muss das Verfahren eingestellt werden. Mit dieser Aufgabe sollst Du erst einmal ein generelles Verständnis von der Thematik der Antragsdelikte bekommen. Wir schauen uns das später im Kurs genauer an!
6. G ist hinsichtlich der Beleidigung Antragsberechtigter (§ 77 Abs. 1 S. 1 StGB). Hat er hier den nach § 194 Abs. 1 S. 1 StGB erforderlichen Strafantrag gestellt?
Nein, das trifft nicht zu!
Der Strafantrag ist der ausdrücklich geäußerte oder durch Auslegung zu ermittelnde Wunsch des Antragsstellers nach Strafverfolgung.A hat der Polizei den Sachverhalt zwar mitgeteilt und zum Ausdruck gebracht, dass er diesen für strafbar hält. Er hat aber auch ausdrücklich geäußert, dass es ihm egal sei, ob A bestraft wird oder nicht, hat also gerade keinen Wunsch nach Strafverfolgung geäußert. Da es sich bei der Beleidigung um ein Antragsdelikt handelt, welches nur auf Antrag verfolgt wird (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB), muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen, sofern G den Strafantrag nicht bis zum Ende der Antragsfrist nachholt.
7. Hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) liegt auch kein Strafantrag vor (§ 230 StGB). Muss die Staatsanwaltschaft deshalb auch dieses Verfahren einstellen?
Nein!
Bei fehlendem Strafantrag kommt eine Einstellung nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Tatbestand um ein Antragsdelikt handelt. Ob ein solches vorliegt, ist immer ausdrücklich gesetzlich bestimmt.Das Strafantragserfordernis für Körperverletzungsdelikte findet sich in § 230 StGB. Die gefährliche Körperverletzung gem. § 224 StGB ist dort nicht genannt. Im Umkehrschluss (argumentum ex contrario) bedeutet dies, dass für dieses Delikt kein Antragserfordernis besteht. Die Staatsanwaltschaft kann die Ermittlungen also auch ohne Strafantrag führen und die A anklagen.Merke also: Die Einstellung wegen eines fehlenden Strafantrages bezieht sich immer nur auf das Antragsdelikt. Offizialdelikte, die zur selben prozessualen Tat (vgl. § 264 StPO) gehören, bleiben davon unberührt.