Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt bei Verbraucherwiderruf


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Verbraucher S kauft von Unternehmerin G online ein Fahrrad. Die Widerrufsbelehrung fehlt. Als S nicht zahlt, verklagt G ihn erfolgreich auf Zahlung des Kaufpreises. Nach Verurteilung und zehn Monate nach Abschluss des Kaufvertrags erklärt S den Widerruf des Vertrags. G will vollstrecken.

Einordnung des Falls

Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt bei Verbraucherwiderruf

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann zulässigerweise eine Vollstreckungsabwehrklage gegen G (§ 767 ZPO) erheben.

Genau, so ist das!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. S richtet sich hier mit dem materiell-rechtlichen Einwand, der Zahlungsanspruch sei durch seinen Widerruf untergegangen (§ 355 BGB), gegen den in dem Urteil titulierten Anspruch. Die Vollstreckungsabwehrklage ist daher statthaft. G will vollstrecken; die Zwangsvollstreckung „droht“ also, sodass für S auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

2. Die Vollstreckungsabwehrklage ist begründet, wenn S die Einwendung tatsächlich zusteht und nicht präkludiert ist.

Ja, in der Tat!

Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet, wenn (1) die Sachbefugnis vorliegt, (2) dem Kläger eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zusteht und (3) diese nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist. S und G sind als Vollstreckungsschuldner bzw. -gläubiger sachbefugt. S steht ein Widerrufsrecht zu (§§ 312g Abs. 1, 312c Abs. 1 BGB). Er hat den Widerruf fristgerecht (§ 356 Abs. 3 BGB) erklärt. Der Zahlungsanspruch ist daher untergegangen (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB). Die Einwendung steht S also zu.

3. S ist mit der Einwendung des Widerrufs präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO).

Ja!

Einwendungen sind ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO), wenn die Tatsachen, auf denen sie beruhen, schon zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegeben waren. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei Gestaltungsrechten (Anfechtung, Aufrechnung, Rücktritt) darauf an, wann diese ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Schuldners entstanden sind, nicht wann der Schuldner sie ausgeübt hat oder ausüben konnte. Nach dem BGH gilt das auch bei verbraucherschützenden Widerrufsrechten. Der Zweck der Präklusionsvorschrift, den rechtskräftigen Vollstreckungstitel in weitem Umfang vor nachträglichen Einwendungen des Schuldners zu schützen, überwiege hier den Verbraucherschutz. S hat den Verbraucherwiderruf nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt. Der Widerruf ist präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO). S kann mit der Vollstreckungsabwehrklage die Vollstreckung nicht verhindern.Zahlreiche Stimmen in der Literatur räumen dagegen dem Widerrufsrecht den Vorrang vor der Rechtskraft ein.

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Simon

Simon

14.7.2023, 00:29:33

Ist das überhaupt mit Unionsrecht vereinbar? Richtlinie 2011/83/EU spricht in Art. 10 von einer 12-monatigen Widerrufsfrist, wenn die Widerrufsbelehrung ausbleibt. Müsste - aufgrund der Supranationalität des Unionsrechts und Art. 288 III AEUV - § 767 II ZPO nicht richtlinienkonform ausgelegt werden? Ansonsten wäre die 12-monatige Frist ja verkürzt.

ON

onlyjura

15.5.2024, 13:32:18

Die unionsrechtliche vorgegebene Widerrufsfrist ist in §356 III 2 BGB doch gewahrt? Der Widerruf an sich kann also noch fristgerecht erfolgen. Im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage ist es dann allerdings nicht möglich sich auf diesen Einwand zu berufen, weil man präkludiert ist, §767 II ZPO.

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

15.8.2023, 15:42:06

Meint ihr nicht 355 Abs. 1 Satz 1 BGB als richtige Wirknorm in der Konstellation statt Abs. 3 Satz 1 BGB?

EVA

evanici

9.9.2023, 15:35:44

S könnte nach dieser Lösung aber schon noch Leistungsklage z.B. im Zuge einer Eventualklage erheben, mit einem Hilfsantrag gestützt auf § 812 I 2 F. 1, wenn er unbedingt die VAK erheben möchte? Bzw. in der Praxis würde er wohl die VAK gar nicht erheben und gleich auf die Leistungsklage springen, die Vollstreckung mithin über sich ergehen lassen müssen bzw. was wäre S letztendlich zu raten? Unterm Strich wäre das auch nicht rechtsmissbräuchlich (unter dem Aspekt Entlastung der Gerichte), weil die Klage ja vom

Vollstreckungsschuldner

ausgeht und gerade nicht vom

Vollstreckungsgläubiger

, er wählt nur nicht den richtigen Weg... Man sanktioniert den schlampigen Gestaltungsrechteinhaber im Übrigen (neben der Rechtssicherheit) also dadurch, dass er sich diese vorbehält, mit den Prozesskosten, versucht auch aus prozessökonomischen Gründen Dinge bereits im Erkenntnisverfahren zu klären, sehe ich das richtig?

Nocebo

Nocebo

18.5.2024, 14:10:40

Ich denke nein, da die Präklusion auch eine materiell-rechtliche Wirkung hat. Sie wäre damit auch im Rahmen des Erkenntnisverfahrens so berücksichtigen. S hats vermasselt und der Widerspruch ist egal auf welche Weise nicht mehr geltend zu machen.


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