Zivilrecht

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Verjährung von Schadensersatzansprüchen (Diesel-Abgasskandal)

Verjährung von Schadensersatzansprüchen (Diesel-Abgasskandal)

31. Mai 2025

11 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Diesel-Abgasskandal

K kauft 2013 von V einen gebrauchten Diesel mit Euro 5-Norm, der über die „Dieselskandal-Software“ verfügt. Im Jahr 2015 informieren der Hersteller H und die Presse öffentlich über die Täuschung, sodass auch K Kenntnis davon erhält. 2019 klagt K gegen H auf Erstattung des Kaufpreises.

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Einordnung des Falls

Verjährung von Schadensersatzansprüchen (Diesel-Abgasskandal)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von H dem Grunde nach Ersatz für den gezahlten Kaufpreis verlangen, obwohl er das Fahrzeug bei V gekauft hat (§ 826 BGB).

Genau, so ist das!

Mittlerweile ist höchstrichterlich geklärt, dass der Hersteller den Käufern von Fahrzeugen mit der „Dieselskandal-Software“ gemäß § 826 BGB den gezahlten Kaufpreis abzüglich gezogener Nutzungen erstatten muss, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (BGH NJW 2020, 1962). Das gilt auch dann, wenn der Käufer das Fahrzeug bei einem Dritten – etwa bei einem Gebrauchtwagenhändler – erworben hat. Dieses Urteil haben wir für Dich in einem eigenen Fall aufbereitet.
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2. Der Anspruch unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB).

Ja, in der Tat!

Die sogenannte Regelverjährung gemäß § 195 BGB greift immer dann, wenn der Anspruch nicht gemäß §§ 196f. BGB oder nach sonstigen Vorschriften einer anderen Verjährungsfrist unterliegt. Ks Schadensersatzanspruch beruht insbesondere nicht auf einer vorsätzlichen Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Auch ist H nicht Verkäufer des Fahrzeugs, sodass die Verjährungs- und Ausschlussfristen des § 438 BGB schon deshalb nicht anwendbar sind. Weitere besondere Verjährungsfristen sind nicht ersichtlich, womit die Regelverjährung nach § 195 BGB anwendbar ist.

3. Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist richtet sich nach § 199 Abs. 1 BGB.

Ja!

Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem (1) der Anspruch entstanden ist und (2) der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Schuldners hat oder sich insoweit in grob fahrlässiger Unkenntnis befindet.

4. Der Anspruch des K ist schon im Jahr 2013 entstanden (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Anspruch nach § 826 BGB erfordert (1) ein sittenwidriges Verhalten, (2) einen kausalen Schaden sowie (3) Schädigungsvorsatz. H hat im Rahmen einer strategischen Unternehmensentscheidung das Kraftfahrtbundesamt und mittelbar auch die Käufer von Dieselfahrzeugen arglistig getäuscht und sich dadurch sittenwidrig verhalten. Ein Schaden ist K schon dadurch entstanden, dass er mit dem Kauf des Fahrzeugs einen Vertrag abgeschlossen hat, den er bei Kenntnis der Täuschung nicht geschlossen hätte. H hatte auch Kenntnis von der Täuschung und damit Schädigungsvorsatz (siehe im Einzelnen dazu unseren an BGH NJW 2020, 1962 anknüpfenden Fall). Folglich ist der Schadensersatzanspruch schon 2013 entstanden.

5. Für die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen kommt es ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände an; die Rechtskenntnisse des Gläubigers sind keinesfalls zu berücksichtigen.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich muss der Gläubiger nur den Lebenssachverhalt kennen, der die Grundlage seines Anspruchs bildet. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung aber weiter erforderlich, dass dem Geschädigten die Erhebung einer Klage zumutbar ist (RdNr. 8). Trotz Kenntnis der tatsächlichen Umstände kann die Zumutbarkeit ausnahmsweise fehlen, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die auch ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einschätzen kann (RdNr. 13.). Die Klageerhebung muss erfolgsversprechend, aber nicht risikolos möglich sein (RdNr. 12).

6. Im Jahr 2015 war K die Klageerhebung unzumutbar, weil es zu diesem Zeitpunkt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zum „Dieselskandal“ gab.

Nein!

Unzumutbar ist die Klage insbesondere, wenn (1) ihr gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht oder (2) keine höchstrichterliche oder obergerichtliche Rechtsprechung existiert und ein ernsthafter Meinungsstreit in Literatur und Rechtsprechung vorliegt. Die Klageerhebung ist hingegen zumutbar, wenn höchstrichterlich aufgestellte Grundsätze auf den konkreten Fall übertragbar sind (RdNr. 12ff.). BGH: Im Jahr 2015 habe umfassende, auf den „Dieselskandal“ übertragbare höchstrichterliche Rechtsprechung zu den relevanten Rechtsfragen (Sittenwidrigkeit, Schaden, sekundäre Darlegungslast) existiert. Die Zumutbarkeit scheitere deshalb nicht an mangelnder Rechtssicherheit (RdNr. 21f.).

7. Die Klageerhebung wurde K aber nachträglich unzumutbar, weil einige Obergerichte bis zur Klärung durch den BGH die Klagen von Käufern abgewiesen haben.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Nachträglich auftretende Rechtsunsicherheit könne eine einmal infolge der Zumutbarkeit der Klageerhebung in Gang gesetzte Verjährungsfrist nicht hinausschieben (RdNr. 15). Außerdem habe die abweichende Rechtsprechung einiger Obergerichte die Rechtslage schon nicht unsicher machen können, weil dieser Rechtsprechung nach wie vor die höchstrichterlich anerkannten Rechtsgrundsätze entgegengestanden hätten (RdNr. 28).

8. K hatte auch im Übrigen von den tatsächlichen anspruchsbegründenden Umständen schon im Jahr 2015 Kenntnis.

Ja, in der Tat!

BGH: Aufgrund der umfangreichen, von K zur Kenntnis genommenen Berichterstattung über den „Dieselskandal“ habe K bereits im Jahr 2015 von der systematischen Täuschung durch H und der Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs erfahren; naturgemäß habe er auch schon gewusst, dass er bei Kenntnis der Täuschung das Fahrzeug nicht gekauft hätte (RdNr. 21). Außerdem sei zu diesem Zeitpunkt bereits der Schluss möglich gewesen, dass ein Vertreter des H im Sinne des § 31 BGB zurechenbare Kenntnis von der Täuschung hatte und somit Schädigungsvorsatz vorliege.

9. H kann dem Anspruch des K die Einrede der Verjährung entgegenhalten (§ 214 Abs. 1 BGB).

Ja!

Die Einrede der Verjährung steht dem Schuldner zu, wenn die geltend gemachte Forderung der Verjährung unterliegt und die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Die Schadensersatzforderung ist ein Anspruch und unterliegt deshalb der Verjährung (§ 194 Abs. 1 BGB). Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und hat gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen (s. o.). Sie ist deshalb mit Ablauf des 31. Dezembers 2018 verstrichen. K hat erst im Jahr 2019 Klage erhoben. Mithin kann sich H auf die Einrede der Verjährung berufen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

28.6.2022, 10:15:40

Der Anspruch auf Schadensersatz besteht bereits 2013, da zu dem Zeitpunkt bereits eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 vorlag. Da K aber erst 2015 von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen, richtig?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.6.2022, 14:01:28

So ist es, frausummer :-)

Katharina Mo

Katharina Mo

5.8.2022, 11:26:08

Was ist mit §852?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 17:34:03

Hallo Katharina, klasse Gedanke! § 852 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Deliktischer Schadensersatzanspruch, (2) Verjährung dieses Schadensersatzanspruchs, (3) Schädiger hat auf Kosten des Verletzten

etwas erlangt

. Die ersten beiden Voraussetzungen sind hier unstreitig erfüllt (

§ 826 BGB

; Anspruch verjährt). Fraglich ist aber, ob hier H etwas auf Kosten des K erlangt hat. Der Abschluss des Kaufvertrags zwischen K und V (=„Schädigung" i.S.d.

§ 826 BGB

= „unerlaubte Handlung" i.S.d. § 852 S. 1 BGB) führt hier zu keiner

Vermögensverschiebung

im Verhältnis zu Hersteller H. Denn K hat hier lediglich einen Gebrauchtwagen erworben, war also der Zweitkäufer. Der Hersteller hat seinen Gewinn durch den Erstverkauf erzielt. Mit dem Gebrauchtwagenkauf durch K von V hat dies jedoch nichts zu tun. Der dort realisierte Gewinn steht allein V zu. Würde man auch einem Zweitkäufer einen Anspruch aus § 852 S. 1 BGB zuerkennen, müsste der Schädiger (also hier der Hersteller) den einmal erlangten Gewinn ggfs. mehrfach herausgeben. Dies widerspräche der Abschöpfungsfunktion des Anspruchs, weswegen bei Gebrauchtwagenkäufen ein Anspruch aus § 852 BGB abgelehnt wird. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

4.10.2023, 22:22:00

Kenntnis und Anspruchsentstehung müssen nicht im gleichen Jahr zusammen erfüllt sein?

Paulah

Paulah

6.10.2023, 14:04:21

Nein, definitiv nicht.

LELEE

Leo Lee

7.10.2023, 15:10:48

Hallo Diaa, wie Paula richtigerweise angemerkt hat, müssen die beiden Elemente nicht im gleichen Jahr zusammen erfüllt sein. Aufgrund des Wortes „und“ bei § 199 I Nr. 1 a.E. ist einzig entscheidend, ob die KOMBINATION (also kumulatives Vorliegen) von Nr. 1 und 2 gegeben ist. Somit kann der Anspruch an sich im Jahre 2020, die Kenntnis aber im Jahr 2022 eingetreten sein. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Grothe § 199 Rn. 1 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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