Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungsklage

Qualifiziertes Rechtsschutzinteresse: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligen Handeln (Fall 2)

Qualifiziertes Rechtsschutzinteresse: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligen Handeln (Fall 2)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Zauberer Z hat ein seit Jahren unbenutztes Grundstück im Wald. Gemeinde G erklärt öffentlich, das Grundstück zwei Monate lang für eine Corona-Teststation für Elfen und Kobolde im Wald nutzen zu wollen. Z will das verhindern, weil er Coronaleugner ist.

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Einordnung des Falls

Qualifiziertes Rechtsschutzinteresse: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligen Handeln (Fall 2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Z klagt. Er wendet sich gegen ein zukünftiges Verwaltungshandeln. In Betracht kommt die allgemeine Leistungsklage.

Genau, so ist das!

Wendet sich der Kläger gegen zukünftiges Verwaltungshandeln (= vorbeugender Rechtsschutz), muss auf die in der VwGO genannten Klagearten zurückgegriffen werden. In Betracht kommt insbesondere die allgemeine Leistungsklage in Form einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage gegen hoheitliches Handeln. Diese ist der subsidiären und meist weniger rechtsschutzintensiveren Feststellungsklage vorzuziehen. Gs geplante Nutzung des Grundstücks als Testzentrum der Gemeinde ist hoheitliches Realhandeln. Statthaft ist die vorbeugende Unterlassungsklage. Sollte in der Klausur die Behörde den Z per Verwaltungsakt zur Duldung der Nutzung des Grundstücks verpflichten wollen (vorbeugender Rechtsschutz gegen drohenden Verwaltungsakt), ist ebenfalls die allgemeinen Leistungsklage statthaft. Eine vorbeugende Anfechtungsklage gibt es nicht.
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2. Für den vorbeugenden Rechtsschutz reicht es aus, dass Z allgemein rechtsschutzbedürftig ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Im repressiven Rechtsschutz wird im Normalfall unterstellt, dass der Kläger rechtsschutzbedürftig ist. Begehrt der Kläger jedoch präventiven (= vorbeugenden) Rechtsschutz, egal in welcher Form, muss ein besonderes (= qualifiziertes) Rechtsschutzbedürfnis vorliegen. Das besondere Rechtsschutzbedürfnis liegt bei Klagen gegen erstmalig zu erwartendes Handeln der Verwaltung vor, wenn (1) eine tatsächliche Begehungsgefahr besteht und es dem Kläger unzumutbar ist, auf repressiven Rechtsschutz verwiesen zu werden. Z will gegen erstmaliges Handeln der Verwaltung präventiv vorgehen. Er muss besonders rechtsschutzbedürftig sein.

3. Das besondere Rechtsschutzbedürfnis des Z scheitert bereits an der erforderlichen Begehungsgefahr.

Nein!

Damit ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden kann, muss im Rahmen einer vorbeugenden Klage gegen erstmaliges Verwaltungshandeln zunächst eine tatsächliche Begehungsgefahr bestehen. Das bedeutet, dass die Vornahme des Handelns der Verwaltung wahrscheinlich ist. G hat öffentlich angekündigt, das Grundstück des Z nutzen zu wollen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie das auch tun wird. Damit besteht die erforderliche Begehungsgefahr.

4. Wendet sich der Kläger gegen bevorstehendes Realhandeln der Verwaltung, kann es ihm in der Regel zugemutet werden, auf repressiven Rechtsschutz verwiesen zu werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Gegen künftige Verwaltungsakte oder Rechtsnormen kann der Kläger grundsätzlich effektiv repressiven Rechtsschutz erlangen (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO, § 47 VwGO) - ggf. i.V.m. vorläufigem Rechtsschutz (§§ 80f. VwGO, § 47 Abs. 6 VwGO). Bei Verwaltungsakten haben Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Anders verhält es sich bei bevorstehendem rein tatsächlichem Verhalten der Behörde. Hier ist repressiver Rechtsschutz häufig unzureichend. Denn der Kläger kann auf geschehenes Realhandeln nur mithilfe einer Leistungsklage - gerichtet auf die Beseitigung der Folgen - oder eines Feststellungsklage - gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns - reagieren. In der Regel ist die Klausur in diesen Fällen darauf angelegt, dass das Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden kann.

5. Es dürfte Z nicht zumutbar sein, auf repressiven Rechtsschutz verwiesen zu werden. Das ist hier der Fall. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Es ist unzumutbar, den Kläger auf repressiven Rechtsschutz zu verweisen, wenn das behördliche Verhalten vollendete Tatsachen schafft oder es Folgen hat, die nicht oder nur schwer rückgängig zu machen sind oder einen besonders schweren Nachteil für den Betroffenen bedeuten. Beginnt G mit dem Aufbau der Teststation, wird Z dadurch weder vor vollendete Tatsachen gestellt, noch schafft G damit irreparable Folgen für Z. Z nutzt das Grundstück seit Jahren nicht, sodass Gs Pläne auch keinen großen Nachteil für ihn begründen. Es ist Z zumutbar, repressive eine Leistungsklage - ggf. i.V.m. einem Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO - zu erheben, sobald G mit dem Aufbau des Zentrums beginnt. Das ist mit entsprechenden Argumenten auch anders vertretbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TAME

Tamer

17.11.2021, 19:13:52

Auf welche

Ermächtigungsgrundlage

muss die Verwaltung die geplante Nutzung des Grundstücks des Z stützen? Art. 14 III 2 i.V.m. Entschädigungsgesetz? Danke vorab :)

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

18.11.2021, 17:59:15

Hallo Tamer, in diesem - wohlgemerkt fiktiven - Fall haben wir uns keine Gedanken über die Rechtsgrundlage gemacht, weil es hier um etwas anderes geht. Aber lass es uns einmal durchspielen: (1) Typischerweise erfolgen solche Grundstücksnutzungen konsensual auf Grundlage eines (öffentlich-rechtlichen) Vertrags. Das scheidet hier aber aus, das Z das ja nicht will. (2) Die von dir genannte

Ermächtigungsgrundlage

kommt unseres Erachtens nicht in Betracht. Sie setzt eine Enteignung voraus, also die Entziehung von durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen (hier +) zum Zweck der hoheitlichen Güterbeschaffung (wohl noch +), bei der das entzogene Eigentumsrecht auf einen andere übertragen wird. An der letzten Voraussetzung dürfte es hier fehlen, jedenfalls ist nichts aus dem Sachverhalt ersichtlich, dass die Gemeinde das Eigentum an dem Grundstück dauerhaft Z entziehen und einem anderen übertragen will. Sie will das Grundstück nur vorübergehend für zwei Monate nutzen. Überdies ist Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. dem Enteignungsgesetz die Rechtsgrundlage für die Entschädigung. (3) Denkbar wäre die polizeirechtliche Standardmaßnahme der Sicherstellung von Sachen (zB 25 BayPAG; 38 ASOG Berlin), aber es erscheint zweifelhaft, ob die Voraussetzungen vorliegen. (4) Im Infektionsschutzgesetz ist mir eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht bekannt. (5) Nicht ausgeschlossen erschiene es mir, dass eine vorübergehende Nutzungsberechtigung durch landesrechtliche Spezialvorschrift eröffnet wird. Insgesamt dürfte es hier in jedem Fall schwierig werden, eine Rechtsgrundlage zu finden. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs Team

TAME

Tamer

18.11.2021, 18:15:37

Vielen Dank für diese sehr aufschlussreiche Antwort.

BBE

bibu knows best

4.7.2022, 07:55:57

Ich verstehe nicht, warum es sich bei der Nutzungsmitteilung nicht um einen VA handelt..

Simon

Simon

7.7.2022, 22:36:49

Hier muss man mE unterscheiden: Möchte G das Grundstück des Z tatsächlich nutzen, kann man mit guten Gründen einen VA annehmen. Entweder in der Form eines VA, der Z zur Duldung der Nutzung durch die Gemeinde verpflichtet. Oder man qualifiziert die Teststation als kommunale Einrichtung (vgl. bspw. Art. 21 BayGO), sodass man einen (konkludenten) Widmungs-VA annehmen könnte. Davon getrennt zu betrachten ist die bloße Mitteilung der Gemeinde, das Grundstück des Z nutzen zu wollen. Diese stellt mE noch keinen VA dar, da es ihr an einer Regelungswirkung fehlt. Die Ankündigung, ein rechtlich erhebliches Verhalten vornehmen zu wollen, ist nicht darauf gerichtet irgendeine rechtlich erhebliche Folge zu setzen und setzt eine solche Rechtsfolge auch nicht. Die Duldungsverpflichtung bzw. die Widmungswirkung treten erst mit Vornahme der angekündigten Handlung ein. Ein Fall, in dem eine "Ankündigung" ausnahmsweise einen VA darstellt, ist die Verwaltungsvollstreckung. Dort ist die Androhung des Zwangsmittels zugleich auch ein VA, vgl. § 18 I 1 VwVG (wobei dies strittig ist). Die Regelungswirkung der Androhung besteht darin, dass sie Voraussetzung für die weitere Vollstreckung ist, und damit für diese einen rechtlichen Anknüpfungspunkt schafft, s. § 13 I 1 VwVG. Die Ankündigung der Nutzung von Zs Grundstück ist keine Voraussetzung für diese Nutzung. Ihr kommt mithin keine Regelungswirkung zu. Damit fehlt ein TBM des § 35 VwVfG, sodass kein VA vorliegt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.7.2022, 13:54:47

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