Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

Statthaftigkeit der FFK bei rechtsverletzenden Verwaltungsakten, deren Aufhebung ausgeschlossen ist: analoge Anwendung

Statthaftigkeit der FFK bei rechtsverletzenden Verwaltungsakten, deren Aufhebung ausgeschlossen ist: analoge Anwendung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die zuständige Baubehörde B erlässt einen materiell rechtmäßigen Baustopp gegenüber A. Allerdings fehlt in dem Bescheid eine Begründung. B hat sich ausführlich mit den Gründen des Baustopps auseinandergesetzt, die Begründung nur versehentlich nicht mitgeschickt. A möchte feststellen lassen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der FFK bei rechtsverletzenden Verwaltungsakten, deren Aufhebung ausgeschlossen ist: analoge Anwendung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO findet ausschließlich Anwendung, wenn sich ein Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt hat.

Nein!

Der direkte Anwendungsfall des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO umfasst die Konstellation, in der sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt hat. Darüber hinaus gibt es viele Konstellationen, in denen die Norm analoge Anwendung findet. Besonders relevant ist Konstellation, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt hat, noch bevor der Kläger die Anfechtungsklage erheben konnte. Hier besteht eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage gegenüber dem „Normalfall“ des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Auch Art. 19 Abs. 4 GG streitet für die analoge Anwendung.
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2. Eine analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kommt auch in Betracht, wenn die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ausgeschlossen ist.

Genau, so ist das!

Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in einigen Fällen die analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Eine analoge Anwendung kann etwa dann in Betracht kommen, wenn der Kläger durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, eine gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts aber dennoch ausscheidet. Dem Kläger muss es prinzipiell möglich sein, die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts zumindest feststellen zu lassen, auch wenn die Aufhebung des Verwaltungsakts aus materiellrechtlichen oder prozessualen Gründen nicht in Frage kommt.

3. Der belastete Adressat hat immer einen Anspruch auf Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich hat der Adressat eines rechtswidrigen, belastenden Verwaltungsakts einen Anspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsakts. Dieser ist nur in eng begrenzten Sonderfällen ausgeschlossen. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts kann z.B. nicht verlangt werde, wenn nach Sach- und Rechtslage alsbald erneut ein Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt ergehen müsste (Grundsatz von Treu und Glauben). Ein weiterer Ausnahmefall besteht, wenn ein Verwaltungsakt form- oder verfahrensfehlerhaft ergangen ist, aber offensichtlich ist, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 46 VwVfG).

4. B hat den Baustopp ohne Begründung erlassen. A hat schon aus diesem Grund einen Anspruch darauf, dass der Baustopp aufgehoben wird.

Nein!

Ist ein formell fehlerhaft ergangener Verwaltungsakt nicht nach § 44 VwVfG nichtig, hat der Betroffene keinen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrens- oder Formvorschriften die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben (§ 46 VwVfG). Allein der Umstand, dass ein Verwaltungsakt formell rechtswidrig ist, reicht also noch nicht aus, um dessen Aufhebung zu erreichen. Hier hat sich B mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt und eine begründete Entscheidung getroffen. B hat lediglich versäumt, die Begründung dem Bescheid beizufügen. Dies hat die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst.

5. Eine gerichtliche Aufhebung des Baustopps scheidet aus. In Betracht kommt nur ein Antrag nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog auf Feststellung der (formellen) Rechtswidrigkeit des Baustopps.

Genau, so ist das!

Hat der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts ausnahmsweise keinen Anspruch auf dessen Aufhebung, kann das Gericht zumindest die Rechtswidrigkeit des bestehen bleibenden Verwaltungsakts feststellen. Das Interesse eines Klägers an der Feststellung einer Rechtsverletzung kann nämlich auch bzw. gerade dann bestehen, wenn das Gericht den Verwaltungsakt aus materiellrechtlichen oder prozessualen Gründen nicht aufheben kann. Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in diesen Fällen die analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Statthaft ist ein Antrag des A auf Feststellung der (formellen) Rechtswidrigkeit des Baustopps (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Praetor

Praetor

19.5.2022, 19:44:20

Aber würde hier nicht gerade die Subsidiarität der FFK gelten, bzw. liegt doch hier ein zwar nach §46 nicht nichtiger, aber doch offensichtlich formell rechtswidriger

Verwaltungsakt

vor. Dieser wäre doch mit der Anfechtungsklage effektiver zu beseitigen, auch wenn die Behörde wohl ihre Begründung zur Heilung nachreichen würde. Irgendwie erschließt sich mir aus dieser Aufgabe die Notwendigkeit einer FFK nicht.

Praetor

Praetor

19.5.2022, 19:47:44

Bzw. würde euer Fall besser funktionieren, wenn bspw. nur die Anfechtungsfrist verstrichen wäre, da mir das Argument der fehlenden Nichtigkeit irgendwie nicht einleuchten will.

Dominik

Dominik

1.6.2022, 15:04:37

Hey Praetor, klar der VA ist formell rechtswidrig, aber eben materiell rechtmäßig. Die fehlende Begründung sorgt nicht für Nichtigkeit nach

§ 44 VwVfG

, ist potentiell heilbar nach § 45 I Nr. 2 VwVfG, kann aber gerade wegen § 46 VwVfG auch bei fehlender Heilung bei einem ansonsten rechtmäßigen VA nicht zur Aufhebung führen. Mit der Anfechtungsklage ist der VA nicht zu beseitigen. Das heißt nicht, dass eine Anfechtungsklage ausgeschlossen ist, sie hätte aber keinen Erfolg.

Praetor

Praetor

1.6.2022, 21:41:55

Danke für die Bestätigung, jetzt weiß ich auch wie es zu verstehen ist. Diese „Sperrwirkung“ des 46 VwVfG war mir tatsächlich bisher nicht geläufig und der Bezug zur AK drängt sich aus dem Wortlaut ja auch nicht auf 😅


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