Öffentliches Recht
Grundrechte
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
Träger der Menschenwürde: Schutz der Menschenwürde über den Tod hinaus
Träger der Menschenwürde: Schutz der Menschenwürde über den Tod hinaus
2. Juli 2025
23 Kommentare
4,8 ★ (19.035 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Anhänger einer Sekte möchten den Leichnam ihres verstorbenen Gurus G ausstellen. G hatte einer solchen Ausstellung zu Lebzeiten allerdings ausdrücklich widersprochen. Die Familie des G sieht die Menschenwürde des G durch die Ausstellung missachtet.
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Einordnung des Falls
Träger der Menschenwürde: Schutz der Menschenwürde über den Tod hinaus
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zu Lebzeiten war G vom persönlichen Schutzbereich der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) erfasst.
Ja, in der Tat!
2. Ist der Leichnam des G vom persönlichen Schutzbereich der Menschenwürde erfasst?
Nein!
3. Zwar ist der Leichnam infolge Gs Tod nicht Träger eines eigenen Würdeschutzes. Ist Gs Leichnam und die Erinnerung an G gleichwohl auch nach Gs Tod durch die Menschenwürde geschützt?
Genau, so ist das!
4. Kann nur der Staat die Einhaltung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes eines Verstorbenen geltend machen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Pilea
16.11.2023, 13:02:47
Ich dachte immer, das postmortale Persönlichkeitsrecht sei Bestandteil des APR. Ergibt es sich "nur" aus der Menschenwürde?
Haughty Onion
10.12.2023, 12:10:11
Würde ich auch gerne wissen. Vermisse hier die konkrete Normanbindung
Bilbo
27.12.2023, 19:57:18
Hatte hier genau das gleiche Problem, hätte ich ebenfalls nicht an die Menschenwürde direkt angeknüpft.

Mephisto
1.1.2024, 16:48:06
Der grundrechtliche Anknüpfungspunkt für den postmortale Persönlichkeitsschutz wird nicht einhellig gleich vertreten. Das BVerfG leitet den Schutzanspruch allein aus der Menschenwürde her (Art. 1 I GG), vgl. BVerfGE 30, 173 (194). Demgegenüber plädieren Teile der Literatur für die Anerkennung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes aus Art. 2 I iVm. Art. 1 I GG.

Wendelin Neubert
26.3.2025, 16:50:39
In Ergänzung zur zutreffenden Ausführung von @[Mephisto ](198941)ist auf Folgendes hinzuweisen: Diejenigen Stimmen, die den postmortalen Persönlichkeitsschutz aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) herleiten, sehen sich dem Einwand ausgesetzt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht – genauso wie die Menschenwürde – als Grundrecht an die Grundrechtsfähigkeit und damit ans Leben des Menschen anknüpft. Der postmortale Persönlichkeitsschutz wird aber nach ganz überwiegender Ansicht als eine objektiv-rechtliche
Schutzpflicht des Staatesfür die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) angesehen, und kommt daher auch ohne eine Herleitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

cSchmitt
28.5.2025, 10:32:50
Könnte man in diesem Zusammenhang nicht auch argumentieren, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als sog.
Auffanggrundrecht(https://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Gaerditz/Vorlesung/Grundrechte/Grundrechte-AP5.pdf) eine geringe Schutzintensität aufweist und bereits dadurch deutlich weniger geeignet ist, daraus eine objektive Pflicht des Staates herzuleiten (im Vergleich zur Menschenwürde)? Denn wie bereits treffend von @[Wendelin Neubert](409) angeführt wurde, kann das subjektive Recht aufgrund des Todes nicht der Anknüpfungspunkt sein.
Flohm
13.6.2024, 10:29:44
Wie schreibe/ prüfe ich das in einer Klausur? Der persönliche Schutzbereich ist bei Toten nicht eröffnet. Schreibe ich dann trotzdem beim persönlichen Schutzbereich, dass der Postmortalpersönlichekeit-Schutz vorliegt, weil der persönliche Schutzbereich vor dem Tod eröffnet war ?

Nora Mommsen
14.6.2024, 16:27:32
Hallo Flohm, danke für deine Frage! Grundsätzlich endet das APR und der Grundrechtsschutz mit dem Tod eines Menschen. In seiner Ausprägung als postmortales Persönlichkeitsrecht, abgeleitet aus der Menschenwürde, wirkt es aber über den Tod hinaus. Dabei ist die Intensität des Schutzes abhängig von der verstrichenen Zeit und der Bedeutung der Person im kollektiven Gedächtnis. Letzteres wiederum ist keine Frage des Schutzbereichs sondern des Eingriffs und der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Rechtfertigung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Flohm
17.6.2024, 10:27:04
Und wie würde ich das in eienr Klausur schreiben?

DeliktusMaximus
7.10.2024, 23:33:26
Liebes Jurafuchsteam, die Frage, wie man den postmortalen Persönlichkeitssschutz nun konkret in der Klausur aufbaut, würde mich auch interessieren. Beziehe ich mich auf den Verstorbenen, müsste ich im persönlichen Schutzbereich herausfliegen, da Tote nicht mehr grundrechtsfähig bin. Oder stelle ich dann innerhalb des persönliches Schutzbereichs fest, dass der Tote selbst zwar nicht mehr grundrechtsfähig ist, der Staat nun jedoch "stellvertretend" seine Grundrechte auch über den Tod hinaus bewahren muss?
Lizza
10.10.2024, 13:38:13
@[DeliktusMaximus](178154) so wie du es beschreibst hätte ich es jetzt auch gemacht, also quasi „Grundsätzlich ist der persönliche Schutzbereich bei Toten nicht eröffnet, die h.M. leitet jedoch aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 2 I GG einen staatlichen Schutzanspruch in Form des postmortalen Persönlichkeitsrechts ab.“ sicher bin ich mir aber auch nicht. Eine konkrete Antwort vom Jurafuchs Team fände ich auch super!
HanDerenoglu
3.12.2024, 16:42:29
@[JuraFuchs](96116)Team bekommen wir eine Rückmeldung?
SM2206
12.1.2025, 05:53:45
Der Tote ist kein
Grundrechtsträgermehr, kann also schon deshalb nicht in Grundrechten verletzt sein. Im Übrigen fehlt es auch am Eingriff, der Staat tritt hier ja überhaupt nicht in Aktion. Die Prüfung wäre dann zuende. Das postmortale Persönlichkeitsrecht spielt beim Toten selbst überhaupt keine Rolle.
Becca_la
13.2.2025, 21:06:20
@[Jurafuchs](137809) eventuell könnt ihr hier nochmal aufklären? Das würde mich auch interessieren, wie man das in einer Klausur aufbaut und erläutert
SM2206
17.2.2025, 05:06:47
Ich habe tatsächlich gerade etwas dazu gelesen, und zwar hier: Jura 2010, 734 (742). Dort ist ausgeführt, dass sich die Angehörigen auf ihr eigenes (!) Persönlichkeitsrecht berufen können, wenn ihr verstorbener Angehöriger verunglimpft wird, nicht aber auf das des Verstorbenen. Denn dieses erlösche mit dessen Tod. Ich weiß natürlich nicht, ob das der h.M. entspricht, da aber keine diesbezüglichen Hinweise im Aufsatz enthalten sind, gehe ich einfach mal davon aus, dass dem so ist. Die Prüfung wäre dann also im normalen Fahrwasser, d.h. mit den klassischen APR-Konstellationen gleichlaufend. Als objektiv-rechtlicher Gehalt kann das postmortale Persönlichkeitsrecht natürlich in eine Abwägung Eingang finden. An einem Bsp.: A verfertigt eine Karikatur, die den verstorbenen Politiker P verunglimpft. Wird dem A jetzt die weitere Verbreitung der Karikatur ver
boten, liegt hierin ein Eingriff in dessen
Kunstfreiheit. Der Staat handelt hier dann zum Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts, das in der Verhältnismäßigkeit des Verbots mit der
Kunstfreiheitdes A abzuwägen wäre.

Wendelin Neubert
26.3.2025, 17:11:14
Hallo ihr lieben @[Flohm ](210957), @[DeliktusMaximus](178154), @[Lizza](267189), @[HanDerenoglu](278097), @[SM2206](200598), @[Becca_la](209771). Wir haben uns das jetzt nochmal anschauen können und schlagen euch folgenden Aufbau für die verfassungsrechtliche Fallprüfung einer solchen Konstellation vor: Zunächst könnte man eine Verfassungs
beschwerde des Verstorbenen anprüfen. Deren Zulässigkeit scheidet mangels Grundrechtsfähigkeit aus, nur lebende natürliche Personen sind grundrechtsfähig. Das subjektive Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde ist mit dem Tod erloschen. Dies könnt ihr mit einem kurzen Absatz erläutern. Anschließend prüft ihr die Verfassungs
beschwerde der Hinterbliebenen des Verstorbenen zur Durchsetzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes. Hier müsst ihr im Rahmen der
Beschwerdebefugnisausführen, dass die Hinterbliebenen kein Verletzung ihrer eigenen Menschenwürde geltend machen, sondern als Hinterbliebene – in einer Art Treuhand oder
Prozessstandschaft– berechtigt sind, vom Staat die Einhaltung seiner objektiv-rechtlichen Pflicht zur Gewährleistung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes des Verstorbenen zu verlangen. Im Rahmen der
Begründetheitprüft ihr dann, ob der Staat gegen seine
Schutzpflichtverstoßen hat bzw. diese gegenüber Dritten durchsetzen muss. Achtung @[SM2206](200598): Uns überzeugt es keinesfalls, dass die Angehörigen sich auf ihr eigenes Persönlichkeitsrecht berufen können, wenn das Andenken ihres verstorbenen Angehörigen verunglimpft wird. Zum einen zielt der postmortale Persönlichkeitsschutz auf den objektiv-rechtlichen Schutz des Andenkens an den Verstorbenen ab, nicht den Schutz der Angehörigen; diese dürfen nur den postmortalen Persönlichkeitsschutz ihres Angehörigen geltend machen. Zum anderen sind unterschiedliche Grundrechtsdimensionen einschlägig: Der postmortale Persönlichkeitsschutz ist eine objektiv-rechtliche
Schutzpflicht des Staates, die auch mit zunehmendem Zeitablauf seit dem Tod des Verstorbenen an Intensität abnimmt. Demgegenüber ist das Persönlichkeitsrecht der Angehörigen ein subjektives Abwehrrecht. Deshalb würde ich von dem von Dir zitierten Aufbau aus JURA 2010, 734 (742) dringend Abstand nehmen. Ich hoffe, das schafft Klarheit! Wir haben den Aufbauhinweis nun auch in die Falllösung aufgenommen. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

G0d0fMischief
8.8.2024, 09:37:39
Zu prüfen sind in der
BegründetheitSchutzbereich - Eingriff - Rechtfertigung Vorliegend würde man aber nicht über den persönlichen Schutzbereich hinauskommen, wenn man annimmt, dass dieser nur für Lebende Menschen eröffnet ist. Wird dann eine Schutzbereichseröffnung zugunsten des postmortalen Persönlichkeitsschutzes soweit fingiert wie dies zur Eröffnung des Schutzbereiches notwendig ist? Und wenn der Schutzbereich des Art. 1 GG eröffnet ist, darf doch keine Abwägung stattfinden, da dies ein absolut geschütztes Grundrecht ist.

Wendelin Neubert
26.3.2025, 17:16:18
Danke für Deine Fragen @[G0d0fMischief](217996). Die Aufbaufrage ist in der Tat nicht ganz einfach, wir haben den Hinweistext in diesem Fall dahingehend ergänzt. Kurzfassung: (1) Verfassungs
beschwerde des Toten scheitert bereits auf Zulässigkeitsebene mangels Grundrechtsfähigkeit (Tote haben keine Grundrechte mehr). (2) Verfassungs
beschwerde der Hinterbliebenen des Verstorbenen: Diese können geltend machen, dass der Staat seine objektiv-rechtliche Pflicht zum Schutz des Verstorbenen vor Herabwürdigungen und Verunglimpfungen wahrnimmt (postmortales Persönlichkeitsrecht). Zu Deiner zweiten Frage: Das postmortale Persönlichkeitsrecht ist kein subjektives Abwehrrecht, weil der
Grundrechtsträgerja tot ist, sondern eine objektiv-rechtliche
Schutzpflicht des Staates. Hier gilt zum einen nicht die Abwägungsfestigkeit, sonder das Untermaßverbot, zum anderen sinkt die Schutzintensität des postmortalen Persönlichkeitsschutzes, je länger der Betroffene schon tot ist. Ich hoffe, das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
UNFUG
9.10.2024, 16:13:01
Das postmortale Persönlichkeitsrecht wird entweder aus Art. 1 GG oder Art. 1 GG i.V.m Art. 2 I GG (APR) abgeleitet. Folglich müsste die Frage anders gestaltet werden, da ein Beantwortung der Frage mit "Ja `" nicht unbedingt falsch ist. LG
okalinkk
15.3.2025, 01:03:30
@[UNFUG](265039) welche Herleitung ist denn richtig?

Wendelin Neubert
26.3.2025, 17:01:08
Hallo ihr Lieben! Also @[UNFUG](265039), wir haben die Fragen anders formuliert, um mögliche Missverständnisse bei der Beantwortung auszuschließen. Wir haben zudem klargestellt, wie das postmortale Persönlichkeitsrecht hergeleitet wird. Auf Deine Frage, @[okalinkk](253888): Wie so oft bei Jura ist nicht die eine Herleitung richtig und die andere Herleitung falsch. Beide Herleitungen sind vertretbar. Nach unserem Dafürhalten ist aber die Herleitung direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG überzeugend, eines Rückgriffs auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) bedarf es nicht. Entscheidend ist: Weder Menschenwürde noch APR können hier in ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension angewandt werden, weil der
Grundrechtsträgertot ist. Vielmehr gilt die objektiv-rechtliche staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenwürde auch nach dem Tod fort: Der Staat muss verhindern, dass ein Mensch auch nach seinem Tod herabgewürdigt oder erniedrigt wird. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team