Protrahierte Tötung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte O möglichst qualvoll zu Tode bringen. Zunächst würgt er O, um Todesangst zu erzeugen. Danach malträtiert er O über Stunden mit einer selbstgebauten "Todeslatte" voller Nägel. Zuletzt tötet er O mit einem gezielten Stich ins Herz.
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Einordnung des Falls
Protrahierte Tötung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat O "grausam" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 2 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hatte Vorsatz bezüglich der Grausamkeit der Tötung (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 2 StGB).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🦊LEXDEROGANS
15.3.2020, 23:12:52
Wann ist denn die gefühllose Gesinnung nun ausnahmsweise nicht bereits vom
Vorsatzbzgl. der Grausamkeit umfasst?
Henk
16.3.2020, 07:44:05
Für mich wirkt diese tel. Reduktion wie die feindliche Willensrichtung bei der Heimtücke. Also eine wertungsmäßige Korrektur. Wir brauchen also (so vermute ich) einen Fall, indem T weiß, dass seine Behandlung über das Maß des erforderlichen zur Tötung hinaus geht und gesteigerte Schmerzen verursacht, dies aber nicht aus einer gefühllosen Gesinnung, sondern zB aus Unfähigkeit geschieht. Bsp T hat starke Zuckungen in der Hand. T weiß, dass er mit dem Messer das Herz des O wohl nicht direkt treffen kann und viele schmerzhafte aber nicht tödliche Stiche zufügen wird. T führt die Tötung dennoch aus, da O ihn massiv mobbt und T sich davon befreien will. Ihm wäre es lieber gewesen O schmerzfreier zu töten. Hierzu hat er jedoch nicht die Mittel. Wie vorgestellt benötigt er ca. 30 Stiche.
Marilena
16.3.2020, 10:03:07
Genau Henk, es ist ein Restriktionsversuch. Laut BGH ergibt sich die Gesinnung regelmäßig aus den näheren
Tatumständen (Gesamtabwägung der Tat). Besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters (zB eine gravierende intellektuelle Minderbegabung) sowie hochgradige Gemütsbewegungen und spontane Entladungen eines Affektstaus können jedoch zum Ausschluss der unbarmherzigen Gesinnung führen. Regelmäßig werden im Wesentlichen solche Tötungen herausgenommen, die der Täter im heftigen Erregungszustand begangen hat (Schneider, in: MüKo/StGB, 3.A.2017, § 211 RdNr. 145ff.).
Henk
16.3.2020, 07:22:01
Oft findet man in der Def. von Grausamkeit schon die gefühllose Gesinnung. Spricht man dann vom
Vorsatzbzgl der Grausamkeit, dann wäre die Grausamkeit ja sowohl ein tatbezogenes (Behandlung) als auch ein täterbezogenes (Gesinnung) Merkmal. Dann wäre es doch falsch zu sagen, dass der
Vorsatzbzgl der Grausamkeit regelmäßig die gefühllose Gesinnung indiziert, da er sie bereits impliziert.
Marilena
16.3.2020, 09:47:25
Hi Henk, Grausamkeit ist nach hM ein tatbezogenes Merkmal (
Verwerflichkeit der Art und Weise der Tatbegehung). Die unbarmherzige, gefühllose Gesinnung wird in den allermeisten Fällen direkt in der Definition genannt, da stimme ich Dir zu, aber erst im subjektiven Tatbestand geprüft. Der BGH und weite Teile des Schrifttums verlangen im subjektiven Tatbestand (1) die Kenntnis und das Wollen der Umstände, die die Grausamkeit ausmachen sowie (2) zusätzlich eine gefühllose Gesinnung, in der dieser Wille wurzelt (BGHSt 3, 180f.). Diese Gesinnung kann sich zumindest indiziell schon aus einem vom
Vorsatzfür getragenen, objektiv grausamen Verhalten ergeben.
Marilena
16.3.2020, 09:53:48
Schneider kommentiert dazu im MüKo/StGB, 3.A. 2017, § 211 RdNr. 145: „Der Sache nach werden
Vorsatzund Gesinnung faktisch gleichgesetzt.“ Er kritisiert: „Schließlich sprechen allgemeine Erwägungen zum Stellenwert objektiver Mordmerkmale prinzipiell gegen das der grausamen Tötung subintellegierte Gesinnungselement. Aus systematischem Blickwinkel streitet die Zuordnung des Mordmerkmals zur zweiten Gruppe des § 211 Abs. 2 StGB gegen die Anerkennung von Gesinnungselementen. Rückt man das Gesinnungselement in Übereinstimmung mit dem BGH dicht an den
Vorsatzheran und reduziert seinen Aussagegehalt im wesentlichen auf die Ausgrenzung solcher Tötungen, die der Täter im heftigen Erregungszustand begangen hat, mündet die Prüfung letztlich in eine negative Typenkorrektur.“
Henk
16.3.2020, 10:25:39
Wahrscheinlich liegt mein Fehler in dem Schluss von: die Def. beinhaltet die gefühllose Gesinnung zu: Der
VorsatzBzgl der Grausamkeit impliziert die gefühllose Gesinnung. Nimmt man diesen Begriff und prüft ihn im obj. TB würde man natürlich nur die äußere Handlung des Begriffs verwenden. Gelangt man zum Subj. TB dann prüft man den
Vorsatzbezogen auf das zuvor im obj. TB geprüfte Merkmal der Grausamkeit plus das Subj Merkmal, also die gefühllose Gesinnung. Dann hat man aber doch den ursprünglichen Begriff auseinander genommen und erhält einen Grausamkeitsbegriff für den obj TB und das verbleibende subj. Element (gefühllose Gesinnung) steht im Subj TB neben dem "
Vorsatzbzgl der Grausamkeit", obwohl es ursprungl in dem Grausamkeitsbegriff enthalten war.
Henk
16.3.2020, 10:28:32
Ist die gefühllose Gesinnung dann nicht vielmehr ein ungeschriebens Subj Tb-Merkmal der Mordvariante Grausamkeit, anstatt dass es Bestandteil der Definition Grausamkeit ist?
🦊LEXDEROGANS
16.3.2020, 10:32:34
Rössner/Wenkel in Nomoskommentar Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 2011, § 211 Rn. 5 schreiben: „unbarmherzige Gesinnung liegt bereits vor, wenn der Täter die Schmerzen in Kenntnis ihrer Wirkung zufügt [m. E. also
Vorsatzbzgl. des grausamen Verhaltens hat], was ausgeschlossen ist bei fehlender Empfindungsfähigkeit (zB bei [...] totaler Abstumpfung des Gefühlslebens [...] oder heftige[r] Gemütsbewegung[)]“ Es erfolgt also m. E. ein
Vorsatzausschluss bei bestimmten Umständen (welche vermtl. an Hand einer Gesamtbetrachtung festzustellen sind, womöglich ähnlich wie bei einem minder schweren Fall).
Marilena
16.3.2020, 10:36:45
Ich fände es auch konsequenter, das als ungeschriebenes subjektives TB-Merkmal einzustufen. Aber egal wo ich lese, ist es Bestandteil der „allgemeinen“ Definition.
🦊LEXDEROGANS
17.3.2020, 20:46:26
So in etwa wäre m. E. auch vorzugehen: erst obj. prüfen, ob das Opfer tats. leidet, dann, ob der Täter davon weiß und schließlich ob etwaige Ausschlussgründe (die sich aus der besonderen persönlichen Situation und Einstellung des Täters ergeben) vorliegen
as.mzkw
4.11.2024, 05:23:02
„Dies ist bei T zu bejahen.“ ist keine ernsthafte Subsumtion. Wenn so vereinfachend gearbeitet wird, sollte zumindest ein Hinweis enthalten sein (v.a. aber nicht nur für untere Semester, die sich den Gutachtenstil erst noch aneignen), dass ein solcher Satz in einer Klausur viel zu unpräzise wäre