+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gemeinde G beginnt vor dem Grundstück des N mit einer Großbaustelle zur Erhaltung der Straße. Der Lärm hindert N daran, nachmittags auf seiner Terrasse zu liegen. Weiterhin kann er die Fenster tagsüber nicht öffnen. Die Immissionen der Baustelle übersteigen die Richtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm nicht.

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Einordnung des Falls

TB Merkmale

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der in Betracht kommende öffentlich-rechtliche Abwehranspruch setzt zunächst voraus, dass ein subjektives Recht des N betroffen ist.

Genau, so ist das!

Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch wird zunächst die Betroffenheit eines subjektiv-öffentlichen Rechts als Bezugspunkt des hoheitlichen Eingriffs geprüft. Das subjektive Recht folgt häufig aus den Grundrechten. Der Schutzbereich des Grundrechts sollte an dieser Stelle erläutert werden, damit im nächsten Schritt geprüft werden kann, ob das hoheitliche Handeln diesen Schutzbereich berührt. Berührt sein könnte Ns Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Durch den Lärm und Staub kann N sein Eigentum nicht uneingeschränkt nutzen.
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2. Der Anspruch scheitert bereits an einem fehlenden hoheitlichen Handeln. Der Erhalt der Straße ist ausschließlich privatrechtlicher Natur.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Feststellung, dass ein subjektives Recht betroffen ist, muss geprüft werden, ob ein Eingriff durch hoheitliches Verhalten vorliegt. Gerade bei Realhandeln stellt sich die Frage, ob der Staat öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich gehandelt hat. Maßgeblich für den Rechtscharakter der staatlichen Handlung ist die Zielsetzung und der Sachzusammenhang. Steht die Handlung im Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabenerfüllung und gibt es keine Indizien dafür, dass die Aufgabe ausnahmsweise privatrechtlich wahrgenommen wird, ist das Handeln hoheitlich. Der Erhalt einer Gemeindestraße ist eine klassische öffentlich-rechtliche Aufgabe der Gemeinde (vgl. § 44 StrG). Prüfst Du eine verwaltungsrechtliche Klage, wirst Du die Frage nach der Rechtsnatur des Handeln regelmäßig schon im Rahmen der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ansprechen.

3. Der Ausbau ist ein andauernder Eingriff in Ns Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Ja!

Es ist ausreichend, wenn ein hoheitlicher Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff bejaht werden kann. Ein Eingriff liegt danach vor, wenn die hoheitliche Maßnahme zurechenbar eine grundrechtliche Gewährleistung verkürzt. Die Bauarbeiten verkürzen die Eigentumsgewährleistung des N dadurch, dass N aufgrund der Immissionen, die von der Baustelle ausgehen, sein Eigentum nicht im vollen Umfang nutzen kann. Die Baustelle ist der Gemeinde als Bauherrin auch zurechenbar.

4. Der Eingriff muss schließlich auch rechtswidrig sein. Zu prüfen sind Rechtfertigungsgründe, insbesondere auch bestehende Duldungspflichten.

Genau, so ist das!

Gegen rechtmäßiges Handeln des Staates stehen dem Bürger grundsätzlich keine Abwehransprüche zu. Denn der Anspruch soll ja unter anderem gerade dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dienen. Dieser ist bei rechtmäßigem Handeln von vornherein schon erfüllt. Ist der hoheitliche Eingriff gerechtfertigt, scheidet ein Abwehranspruch daher aus. In Anlehnung an § 1004 BGB wird ein Anspruch auch dann verneint, wenn eine Duldungspflicht des Betroffenen besteht. Die Duldungspflicht ist quasi ein "besonderer Rechtfertigungsgrund". Duldungspflichten sind insbesondere im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Immissionen relevant. Ns Anspruch besteht nur, wenn der Eingriff nicht gerechtfertigt ist.

5. Öffentlich-rechtliche Immissionen sind allein durch ihren Bezug zum Gemeinwohl gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Öffentlich-rechtliche Immissionen sind nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil sie einen "guten Zweck" für die Allgemeinheit verfolgen. Vielmehr sind sie nur insoweit hinzunehmen, als eine rechtliche Duldungspflicht des Betroffenen besteht. Zu nennen sind z.B. §§ 22, 3 BImschG, Verwaltungsrichtlinien nach § 48 BImschG (z.B. Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) sowie Vorschriften des Bauplanungsrechts. Fehlen spezifische öffentlich-rechtliche Maßstäbe, gelten subsidiär die Grundsätze des privaten Immissionsschutzrechts nach § 906 BGB.Die Baustelle hält die Richtwerte der TA Lärm ein, welche über § 48 BImSchG als Prüfungsmaßstab herangezogen werden muss. Danach besteht eine Duldungsplicht des N. Ein Abwehranspruch besteht nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FL

Flohm

25.8.2023, 09:46:49

Woraus ergibt sich die Duldungspflicht ?

Benny0707

Benny0707

13.12.2023, 14:15:07

Hi @[Flohm](210957) so wie ich das verstanden habe, ergibt sich die Duldungspflicht daraus, dass der Baustellenlärm die Grenzwerte des Prüfungsmaßstabs aus § 48

BImSchG

einhält. Durch die Einhaltung der Vorgaben, entsteht also kein rechtswidriger Lärm, wogegen ein Unterlassungsanspruch Erfolg hätte. Mangels Erfolg eines solchen Anspruches hat die klagende Partei somit eine Duldungspflicht. Ich bin jedoch auch für eine andere Ansicht gerne offen, falls ich damit falsch liegen sollte. Liebe Grüße Benny :)

/Q

/qwas

17.1.2024, 15:08:24

Ich hatte es "anders herum" verstanden, bin mir aber auch nicht sicher. Also, dass sich die Duldungspflicht aus der Einhaltung der Grenzwerte des § 48

BImSchG

ergibt und die Maßnahme wegen der Duldungspflicht nicht rechtswidrig ist.

Nils

Nils

19.2.2024, 22:49:50

§§ 862 Abs. 2 und 1004 Abs. 2 BGB sprechen davon, dass ein Anspruch ausgeschlossen ist, wenn eine Pflicht zur Duldung besteht, sodass sich das jedenfalls hierauf stützen ließe.


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