TB Merkmale

22. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gemeinde G beginnt vor dem Grundstück des N mit einer Großbaustelle zur Erhaltung der Straße. Der Lärm hindert N daran, nachmittags auf seiner Terrasse zu liegen. Weiterhin kann er die Fenster tagsüber nicht öffnen. Die Immissionen der Baustelle übersteigen die Richtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm nicht.

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Einordnung des Falls

TB Merkmale

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der in Betracht kommende öffentlich-rechtliche Abwehranspruch setzt zunächst voraus, dass ein subjektives Recht des N betroffen ist.

Genau, so ist das!

Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch wird zunächst die Betroffenheit eines subjektiv-öffentlichen Rechts als Bezugspunkt des hoheitlichen Eingriffs geprüft. Das subjektive Recht folgt häufig aus den Grundrechten. Der Schutzbereich des Grundrechts sollte an dieser Stelle erläutert werden, damit im nächsten Schritt geprüft werden kann, ob das hoheitliche Handeln diesen Schutzbereich berührt. Berührt sein könnte Ns Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Durch den Lärm kann N sein Eigentum nicht uneingeschränkt nutzen.
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2. Der Anspruch scheitert bereits an einem fehlenden hoheitlichen Handeln. Der Erhalt der Straße ist ausschließlich privatrechtlicher Natur.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Feststellung, dass ein subjektives Recht betroffen ist, muss geprüft werden, ob ein Eingriff durch hoheitliches Verhalten vorliegt. Gerade bei Realhandeln stellt sich die Frage, ob der Staat öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich gehandelt hat. Maßgeblich für den Rechtscharakter der staatlichen Handlung ist die Zielsetzung und der Sachzusammenhang. Steht die Handlung im Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabenerfüllung und gibt es keine Indizien dafür, dass die Aufgabe ausnahmsweise privatrechtlich wahrgenommen wird, ist das Handeln hoheitlich. Der Erhalt einer Gemeindestraße ist eine klassische öffentlich-rechtliche Aufgabe der Gemeinde (vgl. § 44 StrG). Prüfst Du eine verwaltungsrechtliche Klage, wirst Du die Frage nach der Rechtsnatur des Handeln regelmäßig schon im Rahmen der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ansprechen.

3. Der Ausbau ist ein andauernder Eingriff in Ns Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Ja!

Es ist ausreichend, wenn ein hoheitlicher Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff bejaht werden kann. Ein Eingriff liegt danach vor, wenn die hoheitliche Maßnahme zurechenbar eine grundrechtliche Gewährleistung verkürzt. Die Bauarbeiten verkürzen die Eigentumsgewährleistung des N dadurch, dass N aufgrund der Immissionen, die von der Baustelle ausgehen, sein Eigentum nicht im vollen Umfang nutzen kann. Die Baustelle ist der Gemeinde als Bauherrin auch zurechenbar.

4. Der Eingriff muss schließlich auch rechtswidrig sein. Zu prüfen sind Rechtfertigungsgründe, insbesondere auch bestehende Duldungspflichten.

Genau, so ist das!

Gegen rechtmäßiges Handeln des Staates stehen dem Bürger grundsätzlich keine Abwehransprüche zu. Denn der Anspruch soll ja unter anderem gerade dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dienen. Dieser ist bei rechtmäßigem Handeln von vornherein schon erfüllt. Ist der hoheitliche Eingriff gerechtfertigt, scheidet ein Abwehranspruch daher aus. In Anlehnung an § 1004 BGB wird ein Anspruch auch dann verneint, wenn eine Duldungspflicht des Betroffenen besteht. Die Duldungspflicht ist quasi ein "besonderer Rechtfertigungsgrund". Duldungspflichten sind insbesondere im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Immissionen relevant. Ns Anspruch besteht nur, wenn der Eingriff nicht gerechtfertigt ist.

5. Öffentlich-rechtliche Immissionen sind allein durch ihren Bezug zum Gemeinwohl gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Öffentlich-rechtliche Immissionen sind nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil sie einen "guten Zweck" für die Allgemeinheit verfolgen. Vielmehr sind sie nur insoweit hinzunehmen, als eine rechtliche Duldungspflicht des Betroffenen besteht. Zu nennen sind z.B. §§ 22, 3 BImschG, Verwaltungsrichtlinien nach § 48 BImschG (z.B. Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) sowie Vorschriften des Bauplanungsrechts. Fehlen spezifische öffentlich-rechtliche Maßstäbe, gelten subsidiär die Grundsätze des privaten Immissionsschutzrechts nach § 906 BGB.Die Baustelle hält die Richtwerte der TA Lärm ein, welche über § 48 BImSchG als Prüfungsmaßstab herangezogen werden muss. Danach besteht eine Duldungsplicht des N. Ein Abwehranspruch besteht nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FL

Flohm

25.8.2023, 09:46:49

Woraus ergibt sich die Duldungspflicht ?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

13.12.2023, 14:15:07

Hi @[Flohm](210957) so wie ich das verstanden habe, ergibt sich die Duldungspflicht daraus, dass der Baustellenlärm die Grenzwerte des Prüfungsmaßstabs aus § 48 BImSchG einhält. Durch die Einhaltung der Vorgaben, entsteht also kein rechtswidriger Lärm, wogegen ein Unterlassungsanspruch Erfolg hätte. Mangels Erfolg eines solchen Anspruches hat die klagende Partei somit eine Duldungspflicht. Ich bin jedoch auch für eine andere Ansicht gerne offen, falls ich damit falsch liegen sollte. Liebe Grüße Benny :)

/Q

/qwas

17.1.2024, 15:08:24

Ich hatte es "anders herum" verstanden, bin mir aber auch nicht sicher. Also, dass sich die Duldungspflicht aus der Einhaltung der Grenzwerte des § 48 BImSchG ergibt und die Maßnahme wegen der Duldungspflicht nicht rechtswidrig ist.

Nils

Nils

19.2.2024, 22:49:50

§§ 862 Abs. 2 und 1004 Abs. 2 BGB sprechen davon, dass ein Anspruch ausgeschlossen ist, wenn eine Pflicht zur Duldung besteht, sodass sich das jedenfalls hierauf stützen ließe.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

24.4.2025, 16:51:53

Hallo @[Flohm ](210957), ich würde sagen, dass die Duldungspflicht sich aus einem Umkehrschluss aus den jeweils zitierten Normen des BImSchG ergibt. Das BImSchG regelt, welche Immissionen verboten sind. Wenn die Vorgaben des BImSchG eingehalten werden, sind die Immissionen im Umkehrschluss erlaubt. Dann kann der Betroffene aber auch nicht gegen diese vorgehen, das wäre widersprüchlich. Insofern ergibt sich daraus eine Duldungspflicht. Ich würde es auch so wie @[/qwas](135153) sehen, dass die Duldungspflicht bereits die

Rechtswidrigkeit

ausschließt, vergleiche Frage 4. @[Nils](40945) der Rechtsgedanke dieser Normen ist übertragbar zur Herleitung der Berücksichtigung von Duldungspflichten beim öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch, ja. Direkt finden sie als zivilrechtliche Normen darauf aber keine Anwendung. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

CLA

Clara.annie

9.1.2025, 10:41:46

Inwiefern kann sich aus der TA Lärm eine Duldungspflicht des Bürgers ergeben, wenn Verwaltungsvorschriften gar keine Aussenwirkung haben?

carlotka

carlotka

24.2.2025, 15:35:45

Meines Wissens nach haben nur norminterpretierende Verwaltungsvorschriften keine

Außenwirkung

. Ermessenslenke und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften (und eine solche ist die TA Lärm) haben jedoch

Außenwirkung
GVE

gottloser Vernunftsjurist

15.4.2025, 20:12:00

@[carlotka](251475) Danke dir! Vielleicht kann ja noch eine Merkhilfe hierfür schaffen wie: Konkret baut außen, Interpret bleibt drinnen. Oder *I*nterpretieren = *I*ntern

OKA

okalinkk

11.3.2025, 13:45:01

nur die TA Lärm sagt ja, dass Grenzwerte nicht überschritten werden. Sie bezieht sich doch eigentlich nicht auch auf den Schmutz oder? demzufolge dürfte doch bzgl des Schmutzes keine Duldungspflicht bestehen?

FL

Florian

22.4.2025, 23:10:57

Interessante Überlegung, die im Ergebnis m.E. i.E. nicht durchgreifen "darf", weil sonst eine Bautätigkeit der Gemeinde faktischen ausgeschlossen wäre. Einen rechtlichen Begründungsansatz habe ich spontan aber nicht. Vielleicht könntet ihr helfen?:) @[Sebastian Schmitt](263562) @[Tim Gottschalk](287974) @[Lukas_Mengestu](136780) @[Linne_Karlotta_](243622)

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

24.4.2025, 16:43:54

Hallo @[okalinkk](253888) und @[Florian](48917), ganz richtig sagt @[okalinkk](253888), dass die TA Lärm alleine die Immissionen durch Geräusche regelt und insofern Luftverunreinigungen in Form von Staub nicht umfasst. Das heißt aber nicht pauschal, dass alle anderen Immissionen absolut verboten sind. Wie @[Florian](48917) sagt, würde das das Bauen und auch viele andere notwendige Tätigkeiten unmöglich machen. Vielmehr kann auch für diese, wie die Lösung sagt, eine Duldungspflicht, beispielsweise aus §§ 3,

22 BImSchG

bestehen. Das wäre hier etwa der Fall, wenn die Immissionen unvermeidbar sind und nach dem Stand der Technik auf ein Mindestmaß reduziert werden, § 22 Abs. 1 Nr. 1, 2 BImSchG. Da das den Sachverhalt übermäßig kompliziert macht und zur Bewertung genauere Angaben hinsichtlich des Umfangs und der

Vermeidbarkeit

der Luftverunreinigungen erfordern würde, haben wir die Luftverunreinigungen jetzt aus der Aufgabe gestrichen. Diese spielen für die Vermittlung der Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs keine Rolle. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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