Anspruchsgrenze: Rechtliche Unzulässigkeit

30. Juni 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Behörde B hat in der leerstehenden Wohnung des Immobilienhais H den geflüchteten G untergebracht. Gegenüber H erging eine befristete Duldungsverfügung. Nach Ablauf der Frist wird G nirgendwo anders untergebracht, weil es keine alternative Unterkunft gibt. H will das nicht hinnehmen.

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Einordnung des Falls

Anspruchsgrenze: Rechtliche Unzulässigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Tatbestand des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs liegt vor.

Genau, so ist das!

Der Tatbestand des Folgenbeseitigungsanspruchs liegt vor, wenn die (1) Betroffenheit eines subjektiven öffentlichen Rechts durch einen (2) hoheitlichen (3) Eingriff gegeben ist und das hoheitliche Handeln zu einem (4) rechtswidrigen Zustand geführt hat, der (5) noch andauert. H ist durch die Unterbringung des G in seiner Wohnung in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Eine Duldungspflicht bestand zunächst in der wirksamen Duldungsverfügung. Der Verwaltungsakt ist aufgrund der Befristung unwirksam geworden. Eine Duldungspflicht besteht daher nicht weiter fort. Es besteht ein andauernder, rechtswidriger Zustand darin, dass G weiterhin in Hs Wohnung wohnt. Der Zustand ist B auch zurechenbar.Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist hier wohl nicht gegeben, da H die leerstehende Wohnung gerade nicht zum Erwerb nutzt.
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2. H kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands in jedem Fall von B verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Auf Rechtsfolgenseite des Folgenbeseitigungsanspruchs gilt folgendes: Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (welcher vor der Vornahme des hoheitlichen Eingriffs bestand) muss tatsächlich und rechtlich möglich (= rechtlich zulässig) sein. Rechtliche Unmöglichkeit kann sich aus einer ausdrücklich entgegenstehenden gesetzlichen Regelung ergeben oder auch aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. H kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands - also konkret die Ausweisung des G aus der Wohnung - nur verlangen, wenn B dies tatsächlich und rechtlich möglich ist.

3. Die Ausweisung des G ist schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich.

Nein!

Tatsächliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der ursprüngliche Zustand nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand der Wissenschaft nicht wiederhergestellt werden kann.B kann einen Ausweisungsbescheid gegenüber G erlassen und diesen ggf. mit Zwang durchsetzen. Es ist B tatsächlich möglich, den ursprünglichen Zustand von Hs Wohnung wiederherzustellen.Für die Beurteilung, ob die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands tatsächlich unmöglich ist, kannst Du Dich gedanklich (!) an den Grundsätzen des § 275 BGB orientieren.

4. Eine Ausweisung des G wäre unverhältnismäßig. Hs Anspruch scheitert aufgrund der rechtlichen Unmöglichkeit.

Genau, so ist das!

Die rechtliche Unmöglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands kann sich daraus ergeben, dass eine entsprechende behördliche Vornahmehandlung unverhältnismäßig in die Rechte Dritter eingreifen würde. Es gibt keine alternative Unterkunft für G. Daher birgt eine Ausweisung die Gefahr, dass G obdachlos wird und ggf. in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt wird. Eine Ausweisung zum Zwecke der Verwirklichung von Hs Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG wäre daher unverhältnismäßig. Hs Folgenbeseitigungsanspruch scheitert an der rechtlichen Unmöglichkeit der Wiederherstellung.Diese Lösung ist auch vor allem deswegen sachgerecht, weil H für die Nutzung seines Eigentums eine Entschädigung verlangen kann. Entschädigungsansprüche dieser Art ergeben sich entweder aus einer spezialgesetzlichen Regelung oder aus dem allgemeinen Staatshaftungsrecht (enteignender Eingriff, Sonderopfer). Eine a.A. ist hier oft gut vertretbar. Insbesondere mit Verweis auf die die Verwaltung treffende Folgenbeseitigungslast kann man in eindeutigen Fällen sogar eine Ermessenreduzierung auf Null annehmen. Letztlich hängt das natürlich von den Umständen des Einzelfalls ab.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

31.3.2023, 09:38:39

Liebes Jurafuchsteam, der FBA des H richtet sich hier -im Kern- auf die Ausweisung des G. Die Ausweisung muss aber die B - und nicht der H- vornehmen. Für die Ausweisung wiederum braucht die B -wie für jeden VA- eine

Ermächtigungsgrundlage

; in Betracht kommt hier die polizeiliche

Generalklausel

, welche auf Rechtsfolgenseite aber Ermessen einräumt. Nun habe ich gelesen (JuS 2012, 1079), dass in Obdachlosen-Drittbeteiligungsfällen das Ermessen der

Behörde

zugunsten des Eigentümers auf Null zu reduzieren ist; der FBA des H scheitert folglich nicht an der rechtlichen

Unmöglichkeit

. Wahrscheinlich ist beides vertretbar, ich finde es nur schwierig, dass in beiden Fällen die Lösung jeweils als eindeutig präsentiert wird. Vielen Dank und BG

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

31.3.2023, 19:44:24

Der FBA des H führt grundsätzlich erst zur Ermessensreduzierung in Bezug auf die Ausweisung als Ordnungsverfügung, da die

Behörde

insofern die sog. Folgenbeseitigungslast trifft, sie hat den

rechtswidrig

en Zustand schließlich herbeigeführt durch die Einweisung. Allerdings ist diese Rechtsfolge des FBA hier rechtlich unmöglich aufgrund der Grundrechte des G. Es tritt also gerade keine Ermessensreduzierung ein. Tatsächlich ist aufgrund der Situation das Ermessen der

Behörde

wenn überhaupt in andere Richtung reduziert, sodass sie den G nicht ausweisen darf, da dies unverhältnismäßig wäre.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

15.4.2025, 12:24:16

Hallo @[Sniter](188129), darüber kann man sicherlich diskutieren. In dem von Dir zitierten Aufsatz steht zunächst mal nicht, dass das

Ermessen auf Null reduziert

ist, sondern dass es sich regelmäßig (!) darauf reduzieren wird (Voßkuhle/Kaiser, JuS 2012, 1079, 1081). Ausnahmen sind also selbst nach Auffassung der Verf möglich, zumal sie konkret zu dieser Aussage keine sonstigen Quellen nennen. Im Übrigen dürften die Umstände des Einzelfalls hier eine wichtige Rolle spielen. Geht es um die Ausweisung eines gesunden und alleinstehenden jungen Mannes bei sommerlichen Temperaturen, wird man eine

Ermessensreduzierung auf Null

gut annehmen können. Geht es um die Ausweisung einer minderjährigen Mutter mit mehreren Kleinkindern im Säuglingsalter mitten im Winter, sieht das schon wieder anders aus. Bei weniger eindeutigen Fällen muss man also ohnehin genauer hinschauen. Die im Aufsatz genannte Folgenbeseitigungslast ist dabei sicherlich ein wichtiges Kriterium. Einen Automatismus dahingehend, dass wir wegen dieser Last stets eine

Ermessenreduzierung auf Null

haben, halte ich aber für rechtlich zweifelhaft (ähnlich Sodan/Ziekow/Wolff, VwGO, 5. Aufl 2018, § 114 Rn 134). Umgekehrt sehe ich allerdings ebenfalls (vor dem Hintergrund der unstreitigen Folgenbeseitigungslast: erst recht) keinen Automatismus in die andere Richtung. Auch insoweit sollten wir also eher zurückhaltend sein, @[Falsus Prokuristor](203103). Jedenfalls können die Grundrechte des Betroffenen nicht pauschal rechtfertigen, dass wir einen

rechtswidrig

en Zustand aufrecht erhalten. Wir haben in der Antwort zur letzten Frage jetzt einen (weiteren) Vertiefungshinweis eingefügt, in dem wir darauf der Vollständigkeit kurz eingehen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

6.4.2024, 11:40:12

Könnte man den

Folgenbeseitigungsanspruch

bejahen und auf der Rechtsfolgenseite dem H eine Billigkeitsentschädigung einräumen? Oder ergibt sich der Entschädigungsanspruch zwingend aus anderen Anspruchsgrundlagen?

GELD

Geldhatmanzuhaben

18.7.2024, 08:13:25

Soweit du mit der h.L. gehst, kannst du bei (rechtlicher) Unmöglichekit eine Billigkeitsentschädigung annehmen. Lehnst du dies mit entsprechender Begründung ab, folgt das Staatshaftungsrecht.

JUL

Julia_2802

11.12.2024, 22:35:50

Wäre hier die Verpfl.klage in der Hauptsache statthaft?

c_p

c_p

13.12.2024, 14:55:07

Nach meinem Verständnis käme eine allgem.

Leistungsklage

in Betracht. Der ursprüngliche VA war befristet, wonach sich dieser mit Zeitablauf erledigt hat. Nun richtet sich das Begehr des Klägers auf eine Maßnahme der

Behörde

, die jedoch ein schlichtes Handeln in Form eines Realaktes und nicht in Form eines VA-Erlasses zu sehen sein dürfte.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

15.4.2025, 13:20:08

Hallo @[Julia_2802](274030), letztlich hängt das sehr von den Einzelheiten des Falls ab. Jedenfalls dann, wenn die ursprüngliche Unterbringung durch weiteren VA erst noch aufgehoben werden müsste, bräuchten wir einen darauf gerichteten Verpflichtungsantrag. Hier dürften sich sowohl die Unterbringung als auch die an H gerichtete Duldungsverfügung aber schon durch Zeitablauf erledigt haben, eine Aufhebungsverfügung brauchen wir insoweit also nicht. Die verbleibende Räumung des G ist dann auf den ersten Blick rein tatsächliches Tätigwerden der Verwaltung,

statthafte Klageart

also die

allgemeine Leistungsklage

. Dabei können aber weitere VA erforderlich sein (zB wegen einer nötigen An

drohung

der

Verwaltungsvollstreckung

, § 13 (B)VwVG, weil G nicht freiwillig ausziehen will), die wiederum einen Verpflichtungsantrag nötig machen können. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

OKA

okalinkk

11.3.2025, 16:26:54

welchen allg staatshaftungsrechtlichen Anspruch könnte H hier geltend machen? ein Anspruch aus

839 BGB

ivm 34 GG scheitert jedenfalls daran, dass keine

rechtswidrig

e

Amtspflichtverletzung

vorliegt. Bleiben also nur Ansprüche aus Aufopferungsrecht. ein Anspruch aus Aufopferungsrecht setzt aber doch ungeschrieben einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff durch AKTIVES, also POSITIVES Tun voraus. hier ist der Eingriff ja aber nur ein Unterlassen - die

Behörde

unterlässt es, die Person auszuweisen? Oder ist für den rechtmäßigen Eingriff auf den Erlass der Duldungsverfügung abzustellen ? dann läge ja ein positives Tun vor


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