Anspruchsgrenze: Rechtliche Unzulässigkeit

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Behörde B hat in der leerstehenden Wohnung des Immobilienhais H den geflüchteten G untergebracht. Gegenüber H erging eine befristete Duldungsverfügung. Nach Ablauf der Frist wird G nirgendwo anders untergebracht, weil es keine alternative Unterkunft gibt. H will das nicht hinnehmen.

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Einordnung des Falls

Anspruchsgrenze: Rechtliche Unzulässigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Tatbestand des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs liegt vor.

Genau, so ist das!

Der Tatbestand des Folgenbeseitigungsanspruchs liegt vor, wenn die (1) Betroffenheit eines subjektiven öffentlichen Rechts durch einen (2) hoheitlichen (3) Eingriff gegeben ist und das hoheitliche Handeln zu einem (4) rechtswidrigen Zustand geführt hat, der (5) noch andauert. H ist durch die Unterbringung des G in seiner Wohnung in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Eine Duldungspflicht bestand zunächst in der wirksamen Duldungsverfügung. Der Verwaltungsakt ist aufgrund der Befristung unwirksam geworden. Eine Duldungspflicht besteht daher nicht weiter fort. Es besteht ein andauernder, rechtswidriger Zustand darin, dass G weiterhin in Hs Wohnung wohnt. Der Zustand ist B auch zurechenbar.Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist hier wohl nicht gegeben, da H die leerstehende Wohnung gerade nicht zum Erwerb nutzt.
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2. H kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands in jedem Fall von B verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Auf Rechtsfolgenseite des Folgenbeseitigungsanspruchs gilt folgendes: Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (welcher vor der Vornahme des hoheitlichen Eingriffs bestand) muss tatsächlich und rechtlich möglich (= rechtlich zulässig) sein. Rechtliche Unmöglichkeit kann sich aus einer ausdrücklich entgegenstehenden gesetzlichen Regelung ergeben oder auch aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. H kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands - also konkret die Ausweisung des G aus der Wohnung - nur verlangen, wenn B dies tatsächlich und rechtlich möglich ist.

3. Die Ausweisung des G ist schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich.

Nein!

Tatsächliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der ursprüngliche Zustand nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand der Wissenschaft nicht wiederhergestellt werden kann.B kann einen Ausweisungsbescheid gegenüber G erlassen und diesen ggf. mit Zwang durchsetzen. Es ist B tatsächlich möglich, den ursprünglichen Zustand von Hs Wohnung wiederherzustellen.Für die Beurteilung, ob die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands tatsächlich unmöglich ist, kannst Du Dich gedanklich (!) an den Grundsätzen des § 275 BGB orientieren.

4. Eine Ausweisung des G wäre unverhältnismäßig. Hs Anspruch scheitert aufgrund der rechtlichen Unmöglichkeit.

Genau, so ist das!

Die rechtliche Unmöglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands kann sich daraus ergeben, dass eine entsprechende behördliche Vornahmehandlung unverhältnismäßig in die Rechte Dritter eingreifen würde. Es gibt keine alternative Unterkunft für G. Daher birgt eine Ausweisung die Gefahr, dass G obdachlos wird und ggf. in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt wird. Eine Ausweisung zum Zwecke der Verwirklichung von Hs Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG wäre daher unverhältnismäßig. Hs Folgenbeseitigungsanspruch scheitert an der rechtlichen Unmöglichkeit der Wiederherstellung.Diese Lösung ist auch vor allem deswegen sachgerecht, weil H für die Nutzung seines Eigentums eine Entschädigung verlangen kann. Entschädigungsansprüche dieser Art ergeben sich entweder aus einer spezialgesetzlichen Regelung oder aus dem allgemeinen Staatshaftungsrecht (enteignender Eingriff, Sonderopfer).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

31.3.2023, 09:38:39

Liebes Jurafuchsteam, der FBA des H richtet sich hier -im Kern- auf die Ausweisung des G. Die Ausweisung muss aber die B - und nicht der H- vornehmen. Für die Ausweisung wiederum braucht die B -wie für jeden VA- eine

Ermächtigungsgrundlage

; in Betracht kommt hier die polizeiliche Generalklausel, welche auf Rechtsfolgenseite aber Ermessen einräumt. Nun habe ich gelesen (JuS 2012, 1079), dass in Obdachlosen-Drittbeteiligungsfällen das Ermessen der Behörde zugunsten des Eigentümers auf Null zu reduzieren ist; der FBA des H scheitert folglich nicht an der rechtlichen Unmöglichkeit. Wahrscheinlich ist beides vertretbar, ich finde es nur schwierig, dass in beiden Fällen die Lösung jeweils als eindeutig präsentiert wird. Vielen Dank und BG

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

31.3.2023, 19:44:24

Der FBA des H führt grundsätzlich erst zur Ermessensreduzierung in Bezug auf die Ausweisung als Ordnungsverfügung, da die Behörde insofern die sog. Folgenbeseitigungslast trifft, sie hat den rechtswidrigen Zustand schließlich herbeigeführt durch die Einweisung. Allerdings ist diese Rechtsfolge des FBA hier rechtlich unmöglich aufgrund der Grundrechte des G. Es tritt also gerade keine Ermessensreduzierung ein. Tatsächlich ist aufgrund der Situation das Ermessen der Behörde wenn überhaupt in andere Richtung reduziert, sodass sie den G nicht ausweisen darf, da dies unverhältnismäßig wäre.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

6.4.2024, 11:40:12

Könnte man den

Folgenbeseitigungsanspruch

bejahen und auf der Rechtsfolgenseite dem H eine Billigkeitsentschädigung einräumen? Oder ergibt sich der Entschädigungsanspruch zwingend aus anderen Anspruchsgrundlagen?

GELD

Geldhatmanzuhaben

18.7.2024, 08:13:25

Soweit du mit der h.L. gehst, kannst du bei (rechtlicher) Unmöglichekit eine Billigkeitsentschädigung annehmen. Lehnst du dies mit entsprechender Begründung ab, folgt das Staatshaftungsrecht.


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