Widerrufsrecht bei Bürgschaft

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die B-Bank gewährt der G-GmbH ein Darlehen über €300.000 (7,5% Zinsen p.a). Geschäftsführer und Alleingesellschafter A übernimmt zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs eine selbstschuldnerische Bürgschaft in gleicher Höhe, wobei der Bürgschaftsvertrag in den Räumen der G-GmbH geschlossen wird. Am nächsten Tag hat A es sich anders überlegt. Er will die Bürgschaft widerrufen.

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Einordnung des Falls

Widerrufsrecht bei Bürgschaft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte ein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zustehen. Dafür müsste zunächst der Anwendungsbereich der §§ 312a-h BGB eröffnet sein (§ 312 BGB).

Ja, in der Tat!

Das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Anwendbarkeit der §§ 312a-h (§ 312 BGB), (2) außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag (§ 312b BGB) oder Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB), (3) keine Bereichsausnahme (§ 312g Abs. 2, Abs. 3 BGB). Zu 1: Nach § 312 BGB bedarf es für die Eröffnung des Anwendungsbereiches (a) eines Verbrauchervertrags (§ 310 Abs. 3 BGB), der (b) den Verbraucher zur Zahlung eines Preises oder zur Zahlung mit Daten verpflichtet (§ 312 Abs. 1, 1a BGB) und (c) keinem Ausnahmetatbestand unterfällt (§ 312 Abs. 2-Abs. 7 BGB).Das Widerrufsrecht aus § 312g BGB ist in Klausuren das beliebteste Widerrufsrecht!
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2. Handelt es sich bei der übernommenen Bürgschaft (§ 765 BGB) um einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB)?

Ja!

Ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) ist ein Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB). B handelte als Unternehmerin (§ 14 BGB). Nach ständiger Rechtsprechung handeln natürliche Personen wie A grundsätzlich und im Zweifel als Verbraucher. Außerdem ist die Übernahme einer Bürgschaft durch einen Gesellschafter bzw. Geschäftsführer mangels Kaufmannseigenschaft des Gesellschafters kein Handelsgeschäft (§ 350 HGB). Das Motiv des Gesellschafter-Geschäftsführers ist in solchen Fällen zwar (auch) das Fortbestehen des Unternehmens, er handelt in diesen Fällen jedoch grundsätzlich als Privater.

3. Die Übernahme der Bürgschaft stellt auch die Zahlung eines Preises dar (§ 312 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter Geltung des § 312 Abs. 1 BGB aF, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers verlangte, hatte der BGH im Jahre 2020 klargestellt, dass die §§ 312a-h BGB auf einen Bürgschaftsvertrag nicht anwendbar seien. Der Unternehmer als Sicherungsnehmer erbringe keine Gegenleistung gegenüber dem Bürgen. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers genüge nach dem eindeutigen Wortlaut nicht (RdNr. 16). Ebensowenig genüge die Leistung des Unternehmers an einen Dritten (RdNr. 17).§ 312 Abs. 1 BGB n.F. verlangt seit dem 1.1.2022 statt der „entgeltlichen Leistung des Unternehmers“ nun die „Zahlung eines Preises“.Der Begriff Preis indiziert indes weiterhin eine Gegenleistung des Unternehmers. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass durch den Austausch keine Änderung der Rechtslage beabsichtigt war.Die Übernahme der Bürgschaft stellt mangels Gegenleistung keine Zahlung eines Preises dar.

4. Ein Widerrufsrecht ergibt sich dann aber aus einer analogen Anwendung der § 355 BGB iVm §§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.BGH: Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Denn die §§ 312ff. BGB sollten ausschließlich Verbrauchverträge erfassen, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistungspflicht des Verbrauchers ausgestaltet sind (RdNr. 20). Demgegenüber sollten Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, ebenso wenig erfasst werden wie unentgeltliche Verbraucherverträge (RdNr. 21).

5. Die §§ 312ff. BGB müssen hier aber im Wege eine richtlinienkonformen Auslegung angewendet werden, weil die Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“ erfasst (Art. 3 Abs. 1 Hs. 2).

Nein!

Die Richtlinie hat nicht den Zweck, ausnahmslos alle Geschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern einzubeziehen, sondern nur solche, in denen der Verbraucher aufgrund der Umstände strukturell unterlegen ist. BGH: Der Richtlinie liege der Gedanke zugrunde, dass der Verbraucher sich bei Abschluss von Verträgen zu kommerziellen Zwecken in bestimmten Situationen gegenüber dem Unternehmer in einer geschwächten Verhandlungsposition befinde (RdNr. 29). Das sind vor allem solche Situationen, in denen er unvorbereitet oder unter Druck ohne Bedenkzeit Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder in Anspruch nehmen würde. BGH: Alle Überlegungen stellten danach auf eine Leistung des Unternehmers ab (RdNr. 29). Deshalb hilft hier auch eine richtlinienkonforme Auslegung nicht.

6. A hat kein Widerrufsrecht, weil es sich nicht um einen entgeltlichen Vertrag handelt.

Genau, so ist das!

Auch nach der Neufassung des § 312 Abs. 1 BGB ist für die Anwendbarkeit des Widerrufsrechts aus § 312g BGB zwingend erforderlich, dass sich der Verbraucher im Gegenzug für eine Leistung des Unternehmers zur Zahlung eines Preises verpflichtet (§ 312 Abs. 1 BGB).Der Bürgschaftsvertrag ist kein Vertrag, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Der Darlehensvertrag mit der GmbH ist ein separater, hiervon zu trennender Vertrag. Folglich hat A kein Widerrufsrecht (§ 355 iVm §§ 312g Abs. 1, 312b BGB).
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