Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Anfechtung nach § 123 BGB - Täuschung durch Dritte: Bürgschaftserklärung

Anfechtung nach § 123 BGB - Täuschung durch Dritte: Bürgschaftserklärung

4. Juli 2025

26 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

D möchte ein Darlehen bei der B-Bank aufnehmen, braucht aber einen Bürgen. Er überredet seinen Freund F, für ihn zu bürgen. Dabei täuscht D den F über sein Einkommen. F schließt daraufhin einen Bürgschaftsvertrag mit B. Als F die Täuschung erkennt, möchte er die Bürgschaft anfechten.

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Einordnung des Falls

Anfechtung nach § 123 BGB - Täuschung durch Dritte: Bürgschaftserklärung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D hat F durch eine Täuschung zur Abgabe der Bürgschaftserklärung „bestimmt“ (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

D hat den F zur Abgabe der Willenserklärung „bestimmt“, wenn über eine Tatsache getäuscht hat und die Täuschung zumindest mitursächlich für die Abgabe war. Tatsachen sind alle Umstände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Das Einkommen einer Person ist ein solcher Umstand. Da der Bürge grundsätzlich mit seinem gesamten Vermögen haftet und die Bürgenhaftung von der Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners abhängt, ist davon auszugehen, dass die vorgespiegelte Einkommenssituation zumindest mitursächlich für die Bürgschaftserklärung des F geworden ist. D hat F durch die Täuschung zur Abgabe der Bürgschaftserklärung bestimmt.
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2. F (= Anfechtender) möchte seine Willenserklärung gegenüber der B (= Anfechtungsgegnerin) anfechten. Käme eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn D im Lager der B stünde?

Ja, in der Tat!

Fallen die Person des Anfechtungsgegners und die des Täuschenden auseinander, so musst Du dich fragen, in welchem Verhältnis der Täuschende und der Anfechtungsgegner zueinander stehen. Wenn der Erklärende im Lager des Anfechtungsgegners stand, so muss sich der Anfechtungsgegner die Täuschung nach § 278 BGB analog als eigene zurechnen lassen. In diesem Fall ist eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB möglich, auf § 123 Abs. 2 BGB kommt es dann nicht mehr an. Im Lager des Vertragspartners stehen z.B. Stellvertreter, Verhandlungsgehilfen ohne Abschlussvollmacht und auch Vertreter ohne Vertretungsmacht, wenn später genehmigt wird.

3. F hätte die Bürgschaftserklärung nicht abgegeben, wenn er gewusst hätte, dass D nicht zahlungsfähig ist. Kann F daher die Bürgschaftserklärung gegenüber B wegen eines Irrtums über das Einkommen des D anfechten (§ 119 BGB)?

Nein!

Die Anfechtung ist nur möglich, wenn ein Anfechtungsgrund besteht. F irrte über das Einkommen des D und damit über dessen Liquiditätsverhältnisse. Dieser Irrtum betrifft allerdings nicht die Willenserklärung, sondern allein die Willensbildung im Vorfeld der Willenserklärung. Ein solcher Irrtum ist unbeachtlicher Motivirrtum.Beachte, dass für den Bürgen die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners deshalb ein unbeachtlicher Motivirrtum ist, weil die Zahlungsfähigkeit bzw. Nicht-Zahlungsfähigkeit gerade das bürgentypische Risiko darstellt.

4. B kannte die Täuschung des D oder musste sie kennen und muss sich daher die Täuschung des D zurechnen lassen (§ 123 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Kennenmüssen ist gegeben, wenn der Umstand infolge von Fahrlässigkeit nicht gekannt wird (§ 122 Abs. 2 BGB). D handelte bei der Täuschung aus eigenem Interesse, um das Darlehen zu erhalten. Dass B besondere Anhaltspunkte hatte, um das Vorliegen einer Täuschung des F anzunehmen, ist nicht ersichtlich. B kannte die Täuschung nicht und musste sie auch nicht kennen.

5. F kann die Bürgschaftserklärung gegenüber B wegen arglistiger Täuschung123 BGB) anfechten.

Nein!

B hat den F nicht getäuscht. Und die Täuschung des F durch D ist der B nicht zuzurechnen. D ist "Dritter" (§ 123 Abs. 2 BGB). Die Täuschung des F wäre B nur zuzurechnen, wenn B sie gekannt hätte, oder sie hätte kennen müssen. Beides ist nicht der Fall. F kann seine Bürgschaftserklärung nicht nach § 123 BGB anfechten.

6. Da D im eigenen Interesse auf F einwirkte, handelte D nicht im Lager der B und ist damit „Dritter“ i.S.v. § 123 Abs. 2 BGB. Ist die Täuschung des F durch D der B nur zuzurechnen, wenn B sie kannte oder kennen musste?

Genau, so ist das!

„Dritter“ im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB ist eine Person, die nicht „im Lager“ des Vertragspartners steht (Lagertheorie, § 278 BGB analog). Die Rechtsprechung legt den Begriff des „Dritten“ sehr eng aus. Im Zweifel ist der Täuschende als im Lager des Anfechtungsgegners stehend zu bewerten. D handelt in eigenem Interesse und nicht im Auftrag oder in Vertretung der B. D ist im Verhältnis zu B „Dritter“ (§ 123 Abs. 2 BGB). F kann seine Erklärung gegenüber B daher nur anfechten, wenn B Ds Täuschung kannte oder kennen musste. Nur in diesem Fall ist es gerechtfertigt, dass für B negative Folgen (= Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts) aus dem Handeln des Dritten (D) entstehen. Die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 Abs. 2 BGB sind enger als nach § 123 Abs. 1 BGB.
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