Organisationspflicht

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 11-jährige A ist im Schwimmbad des Betreibers S. Nachdem er die Wasserrutsche benutzt, treibt er bewusstlos im Nichtschwimmerbecken und erleidet einen bleibenden Hirnschaden. Bademeister B konnte von seinem Standort das Becken nicht einsehen, hätte A aber retten können.

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Einordnung des Falls

Organisationspflicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat Körper und Gesundheit des A durch Unterlassen verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Verletzungshandlung kann jedes Tun, Dulden oder Unterlassen sein, das durch beherrschbares menschliches Verhalten gesteuert werden kann. Aktives Tun liegt vor, wenn jemand eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut begründet oder erhöht. Ein Unterlassen liegt vor, wenn eine bestehende Gefahr, ohne sie durch ein Tun zu erhöhen, nicht abgewendet wird. Die Abgrenzung erfolgt - wie im Strafrecht - nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Schwimmunfälle gehören zum natürlichen Risiko der Benutzung eines Schwimmbads und können nicht ganz verhindert werden. Hätte B jedoch rechtzeitig eingegriffen, hätte er A retten können. Es liegt somit ein Unterlassen vor.
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2. Ein Unterlassen ist nur rechtlich relevant, wenn eine Pflicht bestand, tätig zu werden.

Ja, in der Tat!

Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, Dritte vor Gefahren zu schützen. Die Schädigung durch Unterlassen bildet damit eine Ausnahme. Notwendig ist, dass den Schädiger die Pflicht zum Handeln traf. Diese kann sich aus Verkehrssicherungspflichten oder einer Garantenstellung ergeben.

3. B ist Garant für As Wohlergehen.

Ja!

Eine Garantenstellung kann sich ergeben aus (1) vorangegangenem gefahrerhöhendem Tun (Ingerenz), (2) Gesetz, (3) Vertrag, (4) Lebens- oder Gefahrgemeinschaft, (5) Ehe und Familie sowie (6) §§ 138, 323c StGB. Grundsätzlich trägt S die Pflicht, die Sicherheit der Schwimmbadgäste zu gewährleisten. Allerdings hat sich B durch seinen Anstellungsvertrag zur Übernahme dieser Pflicht bereiterklärt.

4. S hat Körper und Gesundheit des A durch Unterlassen verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Verletzungshandlung kann jedes Tun, Dulden oder Unterlassen sein, das durch beherrschbares menschliches Verhalten gesteuert werden kann. Aktives Tun liegt vor, wenn jemand eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut begründet oder erhöht. Ein Unterlassen liegt vor, wenn eine bestehende Gefahr, ohne sie durch ein Tun zu erhöhen, nicht abgewendet wird. Die Abgrenzung erfolgt - wie im Strafrecht - nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Wer ein Schwimmbad betreibt, hat das Risiko von Schwimmunfällen zu minimieren. Dazu kann der Betreiber Bademeister einsetzen. Ihn trifft hierbei die Organisationspflicht, die Bademeister dort zu platzieren, wo sie das gesamte Schwimmbad einsehen können. B war so platziert, dass er das Becken nicht einsehen konnte. Dies stellt eine fehlerhafte Organisation und damit ein Unterlassen dar.

5. S trifft die Verkehrssicherungspflicht, die Aufsichtsperson an einem übersichtlichen Ort zu platzieren.

Ja, in der Tat!

Verkehrssicherungspflicht bedeutet: Wer eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter treffen. Dem Verpflichteten muss die Gefahrenquelle zugerechnet werden und er muss die Möglichkeit haben, die Gefahr zu beherrschen. Wer ein Schwimmbad betreibt, unterhält eine Gefahrenquelle und hat das Risiko von Schwimmunfällen zu minimieren. Hierzu kann der Betreiber Bademeister einsetzen, die dort zu platzieren sind, wo sie das gesamte Schwimmbad einsehen können. Das war nicht der Fall. Dies stellt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

27.1.2022, 14:20:52

Würde der Bademeister letztendlich doch nicht haften, weil er ist nicht zu verschulden hat? Oder hat er es zu verschulden, dass er an einem falschen Platz sitzt? Im Grunde hätte er ja auch was sagen können, dass er das Nichtschwimmerbecken nicht sieht.

VIC

Victor

28.1.2022, 10:21:25

Er hat es zu Verschulden. Seine Aufsichtspflicht verletzt er zumindest fahrlässig. Wenn er seinen Verantwortungsbereich nicht überwachen kann muss er eine andere Möglichkeit schaffen. Dies war ihm zumutbar.

SCH

Schwanzanwaltschaft

6.2.2024, 12:47:37

Ich finde das irgendwie nicht so überzeugend. Das kennzeichnende Merkmal eines Arbeitnehmers ist doch gerade die Weisungsgebundenheit. Das heißt sofern S als Betreiber des Schwimmbads den Badenmeister auf einen Aussichtturm positioniert, von dem aus man das nicht-Schwimmerbecken nicht einsehen kann ( so wie es die Abbildung nahe legt) kann man die Überwachung dieses doch nicht dem Verantwortungsbereich des Bademeisters zuordnen ( da er entweder von dem Aussichtsturm Becken A überwachen kann, dann aber nicht Becken B oder zu Becken B geht und dann Becken A nicht überwachen kann). So erscheint es mir nahe liegender ein Verschulden des Bademeisters nur in Konstelationen anzunehmen in denen der Betreiber S durch seine Organisation dafür gesorgt hat, dass der Bademeister seiner Überwachungspflicht im Rahmen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt für den jeweiligen Bereich auch wahrzunehmen

jhelmi

jhelmi

8.11.2024, 10:26:19

Sehe ich genauso. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich bei den Bademeistern meist und jüngere Saisonarbeiter handelt, welche in einem solchen Betrieb i.d.R. nichts zu sagen haben.

rivertamdea

rivertamdea

16.1.2023, 11:35:49

Beschützergarant vs. Überwachergarant

rivertamdea

rivertamdea

16.1.2023, 11:38:16

Sorry, Frage oben zu früh abgeschickt. Ich habe ein bisschen ein Problem mit der Aussage, dass der Bademeister Garant für das Wohlergehen des A ist. Das klingt nach Beschützergarant, wäre der B hier aber nicht eher Überwachergarant für die Gefahrenquelle "Schwimmbecken" ? Im Ergebnis egal, aber ich würde es gerne verstehen. Oder ist er tatsächlich Beschützergarant für A?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.1.2023, 15:17:33

Hallo rivertamdea, eine Stellung als Beschützergarant besteht nicht nur in den Fällen der engen, persönlichen Verbundenheit, sondern kann auch durch (vertragliche) Übernahme der entsprechenden Stellung begründet werden. Dies ist im Fall des Bademeisters der Fall, der durch seinen Anstellungsvertrag die Pflicht übernimmt, die Badegäste zu schützen (vgl. auch BeckOK StGB/Heuchemer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 13 Rn. 36). Zusätzlich kann dies aber in der Tat auch noch zusätzlich mit der Stellung als Überwachergarant im Hinblick auf die eröffnete Gefahrenquelle "Schimmbecken" überlappen, sodass im Ergebnis auf beide abgestellt werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PET

Petrus

30.6.2023, 13:48:22

Vielleicht könnte man hier noch darauf hinweisen, dass es möglich ist Verkehrssicherungspflichten auf Dritte (hier auf den Bademeister) zu übertragen. Dann ist man aber nicht von jeglicher deliktischer Verantwortung befreit, sondern hat eine Pflicht den Dritten gescheit auszuwählen und zu überwachen.

Blan

Blan

22.8.2023, 07:24:04

Da hast du an sich Recht, jedoch denke ich, dass das im Rahmen des Arbeitsverhältnisses noch ausführungsbedürftiger geworden wäre (

Innerbetrieblicher Schadensausgleich

).

EVA

evanici

11.9.2023, 12:02:21

Ist die

Organisationspflicht

dann eine Ausprägung der Verkehrssicherungspflicht?

STE

Stella2244

16.3.2024, 17:41:29

Ja genau


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