Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Produzentenhaftung: Limonadenflaschen-Fall (Prüfpflicht und Qualitätssicherung)

Produzentenhaftung: Limonadenflaschen-Fall (Prüfpflicht und Qualitätssicherung)

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A hat sich eine Limonade des Herstellers H gekauft. Die Limo befindet sich in einer Mehrweg-Glasflasche. Als A sie öffnen möchte, explodiert sie wegen Mikrorissen im Glas. A wird verletzt. H verteidigt sich damit, dass die Risse auch nach Abfüllen entstanden sein könnten.

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Einordnung des Falls

Produzentenhaftung: Limonadenflaschen-Fall (Prüfpflicht und Qualitätssicherung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat eine Rechtsgutsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja!

Das Rechtsgut Körper umfasst sowohl die Körperverletzung als auch die Gesundheitsschädigung. Körperverletzung bedeutet Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder Befindlichkeit. Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. A wurde durch die Explosion der Glasflasche verletzt. Dies ist eine äußerliche physische Einwirkung auf den Körper.
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2. Verletzungshandlung des H ist in einem Unterlassen zu sehen.

Genau, so ist das!

Eine Verletzungshandlung kann jedes Tun, Dulden oder Unterlassen sein, das durch beherrschbares menschliches Verhalten gesteuert werden kann. Da rechtlich höhere Anforderungen an ein Unterlassen als an ein aktives Tun gestellt werden, ist eine Abgrenzung erforderlich. Aktives Tun liegt vor, wenn jemand eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut begründet oder erhöht. Ein Unterlassen liegt vor, wenn eine bestehende Gefahr, ohne sie durch ein Tun zu erhöhen, nicht abgewendet wird. Eine Glasflasche birgt die Gefahr zu explodieren, wenn sie Mikrorisse aufweist und mit einem kohlensäurehaltigen Getränk gefüllt ist. Diese Gefahr hätte H durch die Prüfung der abgefüllten Flaschen verringern können. Damit ist dem H ein Unterlassen vorzuwerfen.

3. H hat eine Verletzungshandlung begangen, indem er es unterlassen hat, die Flaschen nach ihrer Abfüllung auf Mikrorisse zu untersuchen.

Ja, in der Tat!

Der Verkehr erwartet vom Hersteller, dass er technisches und menschliches Versagen durch Sicherungsmaßnahmen im Rahmen des technisch und wissenschaftlich Möglichen weitestgehend zurückdrängt. Dementsprechend muss er durch ein geeignetes Verfahren eine fehlerfreie Qualitäts- und Funktionsprüfung sicherstellen. Die Intensität der Qualitätskontrollen und Sorgfaltsmaßnahmen richtet sich nach der Komplexität des Produkts und der Art der gefährdeten Rechtsgüter. Durch eine explodierende Glasflasche kann es zu einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit eines Menschen kommen. Daher ist es dem H zumutbar, das Produkt auf seine einwandfreie Beschaffenheit zu prüfen.Dem Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, dass es sich um einen bloßen "Ausreißers" handelt. Ein Ausreißer liegt vor, wenn der Fehler auch bei Vornahme aller nach Stand der Technik zumutbaren Vorkehrungen nicht zu vermeiden gewesen wäre. In diesem Fall liegt keine Pflichtverletzung vor.

4. H hat dieses Verhalten auch zu verschulden.

Ja!

Grundsätzlich müsste auch A beweisen, dass H es fahrlässig unterlassen hat, die Flaschen zu untersuchen (Beibringungsgrundsatz). Hiervon wird jedoch bei der Produzentenhaftung eine Ausnahme gemacht, weil es dem Geschädigten eines Produkts in der Regel nur schwer möglich sein wird, dem Produzenten eines Produkts das Verschulden bezüglich der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nachzuweisen. Daher muss der Produzent selbst beweisen, dass er die angemessenen Maßnahmen getroffen hat (Beweislastumkehr). Dies kann H im vorliegenden Fall nicht. Daher hat er die Rechtsgutsverletzung der A auch zu verschulden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Danger

6.2.2021, 18:35:51

Ist nicht auch auf ein Abstellen auf positives Tun = Inverkehrbringen des fehlerhaften Produkts, möglich?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2021, 18:33:57

Hallo Danger, da könnte man letztlich auch darüber nachdenken und guten Gewissens bejahen, ohne dass sich am Ergebnis etwas ändert. Denn im Falle aktiven Tuns würde die Problematik auf die Ebene des Vertretenmüssens verlagert. Der BGH hat den Schwerpunkt der

Vorwerfbarkeit

indes im Unterlassen gesehen und dies insoweit bereits bei der

Verletzungshandlung

thematisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KD

K. Dilper

2.12.2021, 13:39:10

In der letzten Frage müsste es "zu vertreten" heißen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.12.2021, 14:28:48

Hallo K.Dilper, da wir uns hier im Deliktsrecht befinden, wo eine Haftung Verschulden (=

Vorsatz

+Fahrlässigkeit) voraussetzt, passt dieser Begriff hier. Das Vertretenmüssen wird dagegen im Kontext der vertraglichen Schadensersatzansprüche gebraucht. Schau Dir gerne auch die folgende Aufgabe zur Abgrenzung an: https://applink.jurafuchs.de/9tPoVop1Elb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

L.G

L.Goldstyn

28.5.2024, 18:57:21

Liebes Jurafuchs-Team, soweit ich mich erinnern kann, muss der Geschädigte nach der Rechtsprechung des BGH die Punkte „Rechtsgutsverletzung“, „Produktfehler im Zeitpunkt des Inverkehrbringens“ und „Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und Produktfehler“ beweisen, damit vermutet wird (=

Beweislastumkehr

), dass das Inverkehrbringen eines mangelhaften Produkts auf dem Verschulden des Herstellers beruht. Jedoch wird der Nachweis, dass der Produktfehler schon im Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorliegt, wird nur in Ausnahmefällen (Nachweis eines Konstruktionsfehlers oder identischer Fehler bei Produkten derselben Charge) gelingen. In aller Regel ist ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB deshalb abzulehnen. Unter anderem deswegen wurde das ProdHaftG eingeführt, das in § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG für Ansprüche aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG vorsieht, dass der Hersteller die Beweislast trägt, wenn streitig ist, ob der Fehler vor oder nach dem Inverkehrbringen entstanden ist. Ist das so korrekt? Falls ja, ergeben sich daraus Änderungen für die Beantwortung der Fragen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.5.2024, 19:52:10

Hallo L.Goldstyn, sehr gute Frage! Im Grundsatz hast Du völlig Recht. Die Beweislasterleichterungen greifen in erster Linie im Hinblick auf die Frage, ob der Hersteller seinen Verkehrssicherungspflichten bei Konstruktion, Fabrikation und Instruktion genüge getan hat. Der Geschädigte bleibt im Grundsatz aber dafür beweislastpflichtig, dass das Produkt fehlerhaft war, der Fehler zum Verletzungsschaden geführt hat UND der Fehler bereits bei Inverkehrgabe bestand (und das Produkt nicht z.B. erst nachträglich beschädigt wurde). In der hier zugrundeliegenden Limonaden-Entscheidung hat der BGH aber klargestellt, dass den Hersteller vor der Inverkehrgabe auch Prüfpflichten treffen können, um die Qualität und Funktion seines Produktes sicherzustellen. Sind diese bei einem Produkt notwendig und werden vom Hersteller unterlassen, dann wird auch bezüglich der Frage, ob das Produkt bei der Inverkehrgabe fehlerhaft war, die Beweislast zu seinen Lasten umgekehrt. Im zugrunde liegenden Originalfall war diese Tatsachenfrage vom Berufungsgericht noch nicht geklärt worden, weshalb der BGH diesbezüglich zurückverwies. Mangels entsprechender Angaben kannst Du für unseren Fall aber zugrunde legen, dass diese notwendig und nicht erfolgt sind. Ich hoffe, dadurch ist es noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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