+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E pachtet ein kleines Stück Land von Bauer B und errichtet dort eine Windkraftanlage. Er soll sie nach Ablauf der Nutzungsdauer (ca. 20 Jahre) wieder abbauen. B meint, er sei Eigentümer der Anlage geworden.

Einordnung des Falls

Sonderrechtsfähigkeit von Windkraftanlagen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B ist Eigentümer, wenn E die Anlage so mit dem Grundstück verbunden hat, dass sie wesentlicher Bestandteil geworden ist (§ 946 BGB).

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Genau, so ist das!

Was vom Rechtsverkehr als feste Einheit angesehen wird, erkennt auch die Rechtsordnung als eine Sache an (Publizitätsprinzip). § 946 BGB ist ein originärer Eigentumserwerb, d.h. Eigentum wird nicht durch Rechtsgeschäft übertragen, sondern kraft Gesetzes. Die Verbindung mit einer Sache ist ein Realakt, keine Verfügung. Wer sie vornimmt (beteiligter Eigentümer, Dritter, Naturkräfte) ist unerheblich. Für den Eigentumsverlust des anderen regelt § 951 BGB Ausgleichsansprüche und unter Umständen Wegnahmerechte.

2. Die Windkraftanlage ist fest mit dem Boden verbunden (§ 94 Abs. 1 BGB) und erfüllt damit die erste Voraussetzung eines „wesentlichen Bestandteils“.

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Ja, in der Tat!

Ob Sachen fest mit dem Boden verbunden sind, ist nach der Verkehrsanschauung zu beurteilen. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Trennung zur Beschädigung oder Änderung des Wesens der mit dem Grundstück verbundenen Sache führt oder die Trennung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist.

3. Sachen, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Boden verbunden sind, sind keine wesentlichen Bestandteile (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB).

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Ja!

§ 95 BGB schränkt § 94 BGB ein. Die Verbindung nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck ist somit die zweite Voraussetzung eines wesentlichen Bestandteils. Wenn die Voraussetzungen des § 95 BGB vorliegen, handelt es sich nicht um wesentliche Bestandteile, sondern um sog. Scheinbestandteile. Der Begriff Scheinbestandteil rührt daher, dass § 95 BGB im Wege einer gesetzlichen Fiktion die Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil ausschließt. Scheinbestandteile werden nach §§ 929ff. BGB übereignet.

4. Die Verbindung geschieht zum vorübergehenden Zweck (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB), wenn der Eigentümer die spätere Aufhebung der Verbindung von Anfang an beabsichtigt.

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Genau, so ist das!

Aus Gründen des Verkehrsschutzes muss hinzutreten, dass dieser Eigentümerwille mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt vereinbar ist.

5. E hat die Windkraftanlage dauerhaft mit dem Grundstück verbunden. Er beabsichtigte, diese auf dem Grundstück zu „verbrauchen“, d.h. sie ihre gesamte wirtschaftliche Lebensdauer dort zu belassen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Diese teilweise in der Literatur vertretene Auffassung hat der BGH abgelehnt: Würde man auf den Verbrauch abstellen, müsste man die Lebenserwartung der Anlage exakt bestimmen. Dies sei nicht möglich und würde deshalb die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Zudem bestünde ein praktisches Interesse daran, die Verfügungsbefugnis über Windkraftanlagen zu erhalten. Windkraftanlagen seien häufig kostenintensiv und fremdfinanziert und dienten als Sicherungsmittel (RdNr. 10ff.). Mangels dauerhafter Verbindung der Windkraftanlage mit dem Grundstück ist B daher nicht deren Eigentümer geworden.

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ZAV

Zavviny

22.9.2020, 09:39:27

Bei der letzten Antwort wäre zur Abgrenzug noch der Verweis auf die anderweitige Einordnung bei Solarpanels hilfreich. Diese verbleiben ja meist bis zum Ende ihrer Lebenszeit auf den Dächern und stellen daher (ohne dingliches Recht am Grundstück) keine Scheinbestandteile dar.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.11.2021, 18:06:38

Hallo Zavviny, in der Tat wird vielfach angenommen, dass Fotovoltaikanlagen zu einem wesentlichen Teil des Gebäudes werden. Der "Clou" der Entscheidung des BGH ist aber ja gerade, dass es ihm nicht genügt dass die Anlage bis zum voraussichtlichen Ende ihrer Lebenszeit auf dem Dach verbleibt. Die Nutzungsdauer sei nicht maßgeblich, sondern eben der Willen des Einfügenden. Auch bei Solarpaneelen müsste man nach der Ansicht des BGH also differenzieren, ob diese dauerhaft auf dem Dach verbleiben sollen (und damit wesentliche Bestandteile des Grundstücks werden) oder ob der Einfügende diese nur vorübergehend - wenn auch für lange Zeit - einbauen will (zB um sie später gesondert vom restlichen Grundstück weiterzuverkaufen). Im Regelfall dürfte aber tatsächlich der Wille zur dauerhaften Verbindung vorliegen (zur Vertiefung: Meier, sachenrechtliche Probleme von Photovoltaikanlagen bei Grundstücksübertragungen - Teil 1: Die sachenrechtliche Behandlung der Photovoltaikanlage, MittBayNot 2019, 548). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi

Sambadi

12.4.2023, 19:47:10

Also kommt es drauf an, ob eine genaue Zeit bestimmt wurde? Wenn der Eigentümer einer Anlage sagt „die bleibt da so lange bis sie den Geist aufgibt, also wahrscheinlich ca. 20 Jahre und danach Bau ich sie wieder ab“ wer die Beurteilung dann anders?

Sambadi

Sambadi

12.4.2023, 19:47:25

Wäre*


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