Generalpräventive Gründe

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Italienerin B, die in Deutschland als angestellte Grafikdesignerin arbeitet, erschießt dort versehentlich ihren Bruder und wird verurteilt. Zur Abschreckung anderer ausländischer Arbeitnehmer wird B aus Deutschland ausgewiesen. B beruft sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit.

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Einordnung des Falls

Generalpräventive Gründe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist vorliegend eröffnet.

Genau, so ist das!

Arbeitnehmer i.S.d. Art. 45 AEUV ist jeder Unionsbürger, der während einer bestimmten Zeit weisungsgebunden Leistungen von einem wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV setzt zudem die Unionsbürgerschaft und einen grenzüberschreitenden Bezug voraus. Als angestellte Grafikdesignerin ist B weisungsgebunden und wird für ihre Tätigkeiten vergütet. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit garantiert gemäß Art. 45 Abs. 3c) insbesondere das Recht sich in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten, um dort einer Beschäftigung nachzugehen. B ist Unionsbürgerin, sodass auch der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Auch der grenzüberschreitende Bezug ist gegeben.
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2. Die Ausweisung der B durch die deutschen Behörden stellt eine unterschiedslose Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der sog. Bosman-Formel stellen alle Maßnahmen, die den Arbeitnehmer daran hindern, ihn davon abhalten oder es für ihn weniger attraktiv machen, sein Herkunftsland zu verlassen (und damit Freizügigkeitsrecht wahrzunehmen) Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar. Dies gilt also auch dann, wenn die Maßnahme unabhängig von der Staatsangehörigkeiten der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung findet (sog. unterschiedslose Beschränkungen) B wird vorliegend ausgewiesen, um anderen ausländische Arbeitnehmer abzuschrecken. Deutsche Staatsangehörige, die strafrechtlich verurteilt wurden, werden dagegen nicht ausgewiesen. Damit werden deutsche und ausländische Staatsangehörige vorliegend nicht unterschiedslos behandelt.

3. Bei der Ausweisung der B handelt es sich vielmehr um eine offene Diskriminierung.

Ja!

Eine Diskriminierung besteht darin, dass rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich bzw. rechtlich unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden. Eine offene Diskriminierung ist dann gegeben, wenn die Ungleichbehandlung auf dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit beruht. B wird nach ihrer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen. Deutsche Staatsangehörige, die strafrechtlich verurteilt wurden, werden dagegen nicht ausgewiesen. Damit werden rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt, wobei das Differenzierungskriterium vorliegend die Staatsangehörigkeit ist. Es handelt sich damit um eine offene Diskriminierung.

4. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot könnte gemäß Art. 45 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt sein.

Genau, so ist das!

Die in Art. 45 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Die Rechtfertigungsgründe sind auch dazu geeignet offene Diskriminierungen zu rechtfertigen. Die Ausweisung der B könnte vorliegend zum Schutz der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein.

5. Abschreckungsgründe allein sind geeignet eine Ausweisung zum Schutz der öffentlichen Ordnung zu rechtfertigen.

Nein, das trifft nicht zu!

Generalpräventive Gründe sind nicht zur Rechtfertigung geeignet. Vielmehr muss ein persönliches Verhalten des Betroffene vorliegen, welche die öffentliche Ordnung des Landes gegenwärtig gefährdet. Um dies festzustellen, muss eine individuelle Einzelfallprüfung stattfinden. Eine strafrechtlichen Verurteilung allein ist nicht geeignet die Ausweisung zu rechtfertigen. Bei der Abschiebung aus Gründen der Abschreckung handelt es sich um unzulässige, generalpräventive Erwägungen. Eine über die strafrechtliche Verurteilung hinausgehende Einzelfallprüfung wurde im Fall der B nicht vorgenommen. Es sind daher keine Rechtfertigungsgründe einschlägig.
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