Bosman: ungeschriebene Rechtfertigungsgründe

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der belgische Fußballer B möchte nach Vertragsablauf zum französischen Verein L wechseln. Eine Regelung sieht vor, dass der neue Verein eine Ablösesumme an den alten Verein zahlen muss. Der belgische Verein zweifelt an der Zahlungsfähigkeit des L und gibt den B daher nicht frei.

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Einordnung des Falls

Bosman: ungeschriebene Rechtfertigungsgründe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eröffnet und die Pflicht zur Zahlung der Ablösesumme stellt eine unterschiedslose Beschränkung dar.

Genau, so ist das!

Wie bereits gelernt, ist B ist als Profilsportler Arbeitnehmer i.S.d. Art. 45 AEUV und als Unionsbürger vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst. Da die Pflicht zur Zahlung einer Ablösesumme Arbeitnehmer daran hindern, sie davon abhält oder es für sie weniger attraktiv machen, ihr Herkunftsland zu verlassen (und damit Freizügigkeitsrecht wahrzunehmen), handelt es sich um eine Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Bosman-Formel).
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2. Die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann gemäß Art. 45 Abs. 3 AEUV durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Die in Art. 45 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Die Rechtfertigungsgründe sind auch dazu geeignet offene Diskriminierungen zu rechtfertigen. Die Pflicht zur Zahlung einer Ablösesumme hat nicht den Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zum Ziel. Vorliegend ist daher keiner der geschriebenen Rechtfertigungsgründe einschlägig.

3. Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit können Beschränkungen auch durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden.

Ja!

Der EuGH hat ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt, die Beschränkungen subsidiär zu den geschriebenen Rechtfertigungsgründen rechtfertigen können. Voraussetzung für die Rechtfertigung ist, dass es sich nicht um eine (offen) diskriminierende Maßnahme handelt, zwingende Gründe des Allgemeinwohls betroffen sind, die Maßnahme geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Der EuGH hat in dieser Rechtsprechung die Grundsätze der Cassie-Rechtsprechung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit übertragen.

4. Vorliegend sind zwingenden Gründe des Allgemeinwohls betroffen.

Genau, so ist das!

Der EuGH hat anerkannt, dass der Aspekt der Aufrechterhaltung eines sportlichen Gleichgewichts zwischen den Profifußballvereinen und auch die Förderung der Einstellung und Ausbildung junger Talente zwingende Gründe des Allgemeinwohls darstellen. Begründet wurde dies mit der großen sozialen Bedeutung von Sport und insbesondere Fußball in der Gemeinschaft.

5. Wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls gegeben sind, so ist die Maßnahme ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen bereits gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Maßnahme muss stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, damit sie gerechtfertigt werden kann. Insbesondere muss die Maßnahme geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

6. Die Pflicht zur Zahlung der Ablösesumme ist als verhältnismäßig anzusehen.

Nein!

Verhältnismäßig ist eine Maßnahme dann, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgt sowie geeignet und erforderlich ist, dieses Ziel zu erreichen. Die Maßnahme ist bereits nicht dazu geeignet, das Ziel zu erreichen. Sie kann nämlich nicht verhindern, dass reiche Vereine sich bessere Spieler sichern und dass finanzielle Mittel das sportliche Gleichgewicht beeinflussen. Das Gleichgewicht zwischen den Vereinen kann durch die Pflicht zur Ablösezahlung somit nicht hergestellt werden. Auch zur Förderung der Ausbildung junger Talente ist die Maßnahme nicht geeignet. Zwar mag sie Vereine motivieren nach jungen Talenten zu suchen, allerdings widmet sich nur eine begrenzte Anzahl an Spielern dem Berufsfußball, sodass die Aussicht auf eine Ablösezahlung zu unsicher ist, um zur Ausbildung junger Spieler zu ermutigen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sambajamba10

Sambajamba10

15.6.2024, 20:06:34

Die zweite Frage ist mE etwas unpräzise gestellt, da sie in dieser Allgemeinheit gerade zu bejahen ist. Man müsste ein vorliegend oder hier hinzufügen, damit gar keine Missverständnisse entstehen

デニスKaito

デニスKaito

2.9.2024, 10:45:45

Wollte genau das Gleiche anmerken.


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