+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Rechtsreferendarin R trägt aus Glaubensüberzeugung ein Kopftuch. Das Gericht weist darauf hin, dass sie das Kopftuch nicht tragen dürfe, wenn sie von Bürgern als Repräsentantin des Staates wahrgenommen werden kann, etwa auf der Richterbank. R sieht ihre Rechte verletzt.
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Einordnung des Falls
Kopftuchverbot im Rechtsreferendariat
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. R kann gegen das Verbot den öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruch geltend machen.
Ja, in der Tat!
Der öffentlich-rechtliche Abwehr und Unterlassungsanspruch ist nicht gesetzlich geregelt, aber allgemein anerkannt. Hergeleitet wird er aus der Abwehrfunktion der Grundrechte, dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie § 1004 BGB analog. Der öffentlich-rechtliche Abwehr- und Unterlassungsanspruch setzt voraus: (1) eine hoheitliche Maßnahme, die (2) einen Eingriff in ein subjektives Recht darstellt, der (3) rechtswidrig ist.
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2. R kann sich trotz ihrer Anstellung als Referendarin im öffentlichen Dienst auf die Grundrechte berufen. Deshalb kommt ein Eingriff in ihre Glaubensfreiheit (Art. 4 GG) in Betracht.
Ja!
Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG schützt als einheitliches, umfassend zu verstehenden Grundrecht nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln und zu leben. Die Eingliederung in ein sog. Sonderstatusverhältnis durch Anstellung in besonderer Beziehung zum Staat lässt die Grundrechtsberechtigung der betroffenen Personen nicht entfallen (BVerfG, Strafgefangenen-Entscheidung). R trägt ihr Kopftuch aus Glaubensüberzeugung. Rs Grundrechtsberechtigung wird durch die Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich nicht von vornherein oder grundsätzlich infrage gestellt. Durch das Verbot wird in ihre Glaubensfreiheit eingegriffen.
3. Die Rechtfertigung eines Eingriffs in das schrankenlose Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG scheidet von vornherein aus.
Nein, das ist nicht der Fall!
Auch Grundrechte, die keine Gesetzesvorbehalte enthalten, können durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden. Dies sind Grundrechte und Verfassungsgüter. Vorliegend ergeben sich verfassungsimmanente Schranken aus der negativen Glaubensfreiheit der Verfahrensbeteiligten von Gerichtsverfahren, denen R mit Kopftuch von der Richterbank aus beiwohnen will, aus dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) sowie aus dem staatlichen Neutralitätsgebot.
4. Kann R sich gegen das Verbot im Wege der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) bzw. im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 80 Abs. 5 VwGO) zur Wehr setzen?
Nein, das trifft nicht zu!
Anfechtungsklage und einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO setzen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes (§ 35 S. 1 VwVfG) voraus. Das Beschwerdegericht im Ausgangsfall (VGH Kassel) verneinte bereits den Regelungscharakter des Verbots, weil es sich unmittelbar aus dem einschlägigen Landesgesetz ergab. Selbst wenn man dies – mit guten Gründen – anders sehen wollte, fehlte es jedenfalls an der Außenwirkung. Denn das Verbot zielt lediglich auf die Amtsstellung der R innerhalb des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses des Referendariats ab. Statthaft ist hier ein Leistungsantrag.
5. Die Freiheit zum öffentlichen religiösen Bekenntnis der R überwiegt stets die negative Glaubensfreiheit der Verfahrensbeteiligten in dem Fall, dass sie auf der Richterbank Platz nähme.
Nein!
BVerfG: „Es erscheint nachvollziehbar, wenn sich Prozessbeteiligte in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen, wenn sie dem für sie unausweichlichen Zwang ausgesetzt werden, einen Rechtsstreit unter der Beteiligung von Repräsentanten des Staates zu führen, die ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennbar nach außen tragen.“
6. Die Freiheit zum öffentlichen religiösen Bekenntnis der R überwiegt stets das kollidierende staatliche Neutralitätsgebot.
Nein, das ist nicht der Fall!
BVerfG: „Das Recht auf den gesetzlichen Richter […] garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt. […] Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge durch Rechtsreferendare kann den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Auftrag der Rechtspflege und der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen.“ Die Entscheidung ist aufgrund der Argumentation des Gerichts hochgradig umstritten. In einer solchen Klausur kannst Du alles vertreten. Wichtig ist nur eine ausführliche und saubere Argumentation.
7. Eingriffe in schrankenlose Grundrechte zum Schutz verfassungsimmanenter Schranken bedürfen keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Nein, das trifft nicht zu!
Auch Eingriffe in schrankenlose Grundrechte unterliegen dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und setzen eine gesetzliche Eingriffsermächtigung voraus. Soweit ein Landesbeamtengesetz das Tragen von Kleidungsstücken verbietet, die geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen (wie z.B. § 45 Abs. 1 S. 2 Landesbeamtengesetz Hessen), reicht dies als Rechtsgrundlage aus.